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Hand und Fuß. Auch Uwe Seeler kann dem Hamburger SV derzeit nicht helfen.

© dpa

Bundesliga-Dino HSV: Die Elbdisharmonie

Der Hamburger SV war einmal Abbild seiner Stadt. Er stand für Geld und Noblesse. Inzwischen gibt es viel Zank und viele Niederlagen. Würde der Bundesliga etwas fehlen, wenn ihr einziges Dauermitglied abstiege? Ein Besuch.

Als Kind war Oliver Kreuzer Fan von Schalke 04. Ist schon eine Weile her und doch unvergessen, denn der Verein, in den man sich als Kind verliebt, er bleibt für ein Leben. Immer wieder hat Kreuzer den berühmten Fallrückzieher des berühmten Schalkers Klaus Fischer geübt, zu Hause auf Mannheimer Asche, „gab schon mal ein paar Schürfwunden, aber das war es mir wert, ich war Schalke-Fan durch und durch“.

Kurze Pause.

„Aber am Sonntag müssen sie leider dran glauben. Tut mir leid, aber wir müssen Klaus Fischers Schalker schlagen.“

Nach seiner Kindheit auf Mannheimer Asche hat Oliver Kreuzer Karriere gemacht und als Profi unter anderem für Bayern München verteidigt. Jetzt ist er 48 Jahre alt und verantwortet seit einem halben Jahr als Sportvorstand die Geschicke des Hamburger SV, des einzigen Vereins, der in 50 Jahren Bundesliga immer dabei war. Nichts gegen die neureichen Fußball-Unternehmen aus Wolfsburg oder Leverkusen, aber „für mich gab und gibt es in der Bundesliga vier große Klubs“, sagt Kreuzer. „Ganz oben die Bayern, dann Dortmund, Schalke und der HSV, und ich bin mir nicht mal sicher, ob Schalke vor dem HSV steht, also mal abgesehen von der jetzigen Tabellensituation. Aber können Sie sich eine Bundesliga ohne den HSV vorstellen?“

Die Bundesliga kann sich das schon vorstellen, dafür genügt ein Blick auf die Tabelle. Der HSV war mal eine der ersten Adressen auf der ganzen Welt, aber nach den Siegen der Freiburger und Frankfurter am Samstag steht er auf Platz 16, also ziemlich nah dran am Abstieg in die Zweite Liga. Wenn heute im ersten Spiel der Rückrunde gegen Schalke kein Sieg gelingt, wird das Krisengerede nicht nur weitergehen, sondern noch ein bisschen lauter werden. Sportvorstand beim HSV, das ist im Augenblick kein einfacher Job.

Der HSV sehnt sich nach Ruhe

Es sind frostige Tage in Hamburg. Im Reich der Metaphern ist Kälte immer grimmig und der pfeift Wind immer eisig, wenn es irgendwo nicht ganz so gut läuft. In Hamburg läuft zurzeit einiges nicht ganz so gut, also wirkt die Kälte hier besonders grimmig und pfeift der Wind besonders eisig. Und anders als in Berlin gibt es auch keinen Schnee, der dem Winter einen Anflug von Zauber verleihen könnte.

Hamburg – das ist Geld und Noblesse, beides bündelt sich im Adjektiv „hanseatisch“. Die Stadt ist berühmt für ihre klugen Geschäftsleute, die Pfeffersäcke, wie sie sich selbst nennen. Heute blicken die Pfeffersäcke irritiert auf den neuen Stadtteil Hafencity, wo das Geld beim Bau der Elbphilharmonie mit einer Wonne versenkt wird, wie sie das sonst nur vom Flughafen in Berlin kennen. Auf dem Kiez von St. Pauli stehen sich Staatsmacht und Autonome so feindlich gegenüber, dass der Kommentator des Deutschlandfunks schon „ukrainische Verhältnisse in Hamburg“ sah. Der Senat hat den Autonomen den Krieg erklärt und dabei zwischenzeitlich die halbe Innenstadt als Gefahrengebiet ausgewiesen. Wer die Staatskunst des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz ein wenig näher betrachtet, wird Klaus Wowereits Umgang mit den Flüchtlingen vom Oranienplatz als weitsichtige Politik preisen.

Und der HSV, ewiger Stolz einer stolzen Stadt? Sehnt sich nach der Ruhe und der Kontinuität und dem Erfolg, wie es von Hertha BSC gerade vorgelebt wird, wer hätte sich das einmal träumen lassen.

Andere Klubs werden wie Unternehmen geführt, in Hamburg regiert die Basis

Es war schon mal behaglicher an der westlichen Peripherie, im Bezirk Altona. Hier steht Deutschlands schönstes Fußballstadion, es hieß früher Volksparkstadion und wird jetzt alle paar Jahre neu nach potenten Sponsoren getauft. Der Weg zum Stadion ist gepflastert von HSV-Graffitis und Plakaten, auch die Mülleimer, Laternenmasten und Brückengeländer leuchten blau. Der HSV ist hier nicht irgendein Sportverein, er ist eine Macht, und früher war er sogar eine Weltmacht. Als Franz Beckenbauer 1980 aus dem New Yorker Exil nach Deutschland zurückkehrte, ging er nicht zu Bayern München, sondern nach Hamburg. 1983 gewann der HSV den Europapokal der Landesmeister, den Vorläufer der Champions League.

So weit vorn ist der Hamburger SV nur noch beim Geldausgeben. 100 Millionen Euro an Verbindlichkeiten haben sich in den vergangenen Jahren angesammelt. „Ich muss das aufarbeiten, was hier falsch gemacht wurde in den letzten vier, fünf verrückten Jahren“, sagt Oliver Kreuzer. „Man war hier einfach zu ungeduldig, hat sich immer unter den Druck gestellt: Diese Saison muss es aber klappen, und dafür nehmen wir richtig Geld in die Hand. Dabei sind viele falsche Entscheidungen gefällt worden, zu viele.“

Oliver Kreuzer - der Drittliga-Manager

Welches nun die richtigen Entscheidungen sind, darüber debattieren sie gerade in Hamburg. Laut, leidenschaftlich und nicht immer im angemessenen Ton. Es gibt da einen milliardenschweren Unternehmer namens Klaus Michael Kühne. Der Mann liebt den HSV und gibt gern Geld, will es aber auch in seinem Sinne investiert sehen. Als er im Sommer 2012 ein Darlehen gab, war das an eine nicht ganz unwesentliche Bedingung geknüpft, nämlich an den Kauf seines Lieblingsspielers Rafael van der Vaart. Der HSV spielte mit, und Kühne gewann Spaß am Mitmachen. Der Spaß ließ nach, als der Klub im vergangenen Sommer nicht Kühnes Favoriten Felix Magath als Sportvorstand bestellte. Sondern den ihm unbekannten Oliver Kreuzer, zuvor Manager des Drittligisten Karlsruher SC.

Als Kreuzer seinen Job in Hamburg antrat, hat er mal mit Kühne telefoniert, „das war ein sehr angenehmes Gespräch“, und deswegen habe er sich ja auch „so gewundert über das, was Herr Kühne so über mich erzählt hat“. Kühne empfand, so darf man das wohl sagen, den aus Karlsruhe akquirierten Kreuzer allein schon dessen Herkunft wegen als nicht angemessen für seinen HSV. Also pappte er ihm das Etikett an, mit dem sich Kreuzer wohl bis in alle Ewigkeit konfrontiert sehen wird: Der Drittliga-Manager.

In der Causa Kühne/Kreuzer spiegeln sich Anspruch und Hybris eines Unternehmens, das den Anschluss an die Wirklichkeit verpasst hat. Vor ein paar Jahren entschied sich der HSV gegen die Anstellung eines jungen Trainers, weil der unrasiert und mit Löchern in den Jeans daherkam. Der Mann hieß Jürgen Klopp. Die Konkurrenz aus München oder Dortmund wird längst im Stile von Wirtschaftsunternehmen gelenkt. Der HSV lässt sich immer noch von der Basis regieren, und nur die kann in letzter Konsequenz über eine Ausgliederung nach dem Vorbild aus München oder Dortmund entscheiden, wie sie vor einer Woche von der Mitgliederversammlung in Aussicht gestellt wurde. Das Rettung verheißende Model nennt sich HSV Plus, es wird getragen von ehemaligen HSV-Granden, deren Qualifikation vor allem darin besteht, dass sie ehemalige HSV-Granden sind. Weil aber der HSV bei der Modernisierung ein bisschen spät dran ist und bei Investoren nicht die große Wahl hat, ist er bei allen Erneuerungsversuchen abhängig von Egomanen wie dem Spediteur Kühne, der nach Kompetenz ruft und vor allem sich selbst meint.

In seiner Eigenwahrnehmung ist der HSV immer noch ein Weltklub, aber er ist beliebig geworden. Mit Managern und Trainern, die im Jahrestakt ausgetauscht werden wie der Name des Stadions. Zur Wahrung der Tradition steht schräg hinter dem Haupteingang ein gigantisches Denkmal, eine Bronze vom Fuß der HSV-Legende Uwe Seeler, er kickt einen imaginären Ball hinaus in die Welt. Seeler hat einen Enkel, er heißt Levin Öztunali, ist 17 Jahre alt und Jugendnationalspieler. Im vergangenen Sommer hat er den HSV verlassen, nicht in die weite Welt, sondern Richtung Leverkusen.

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