zum Hauptinhalt
Mineiro

© dpa

Bundesliga: Herthas Schönheit ist geflüchtet

Irgendetwas stimmt nicht: Nach der Niederlage in Hamburg wissen die Berliner nicht, wo sie stehen. Dieses Spiel war ein mehr als vages Versprechen für eine bessere Zukunft.

Es war zehn nach fünf, als Brasilien vom Platz ging. Widerwillig und unsicheren Schrittes, ein Stückchen Brasilien musste quer über den ganzen Platz laufen, vorbei an allen Kollegen. Als Gilberto endlich die Berliner Mannschaftsbank erreicht hatte, war sein Landsmann Mineiro schon irgendwohin verschwunden, genauso unauffällig, wie er sich in den 84 Minuten zuvor auf dem Platz bewegt hatte. Trainer Lucien Favre hatte genug gesehen, als dass er den beiden zugetraut hätte, das Spiel beim Hamburger SV noch zu wenden. Da Andre Lima nicht eingewechselt wurde und Lucio verletzungsbedingt wohl für den Rest der Saison ausfällt, kam es am Samstagnachmittag zu einer Zäsur im Spiel von Hertha BSC: Zum ersten Mal seit fast einem Jahr stand bei einem Bundesligaspiel kein Brasilianer in der Berliner Elf.

Damals, am 16. Dezember 2006, war Gilberto beim 1:0-Sieg über Eintracht Frankfurt von 40 000 Zuschauern mit Ovationen verabschiedet worden, ebenfalls in der 84. Minute. Hertha beendete die Hinserie auf Platz fünf, direkt hinter dem späteren Meister VfB Stuttgart. Am Samstag ging Gilbertos Auswechslung unter in Hamburger Siegesstimmung. Und die unterlegenen Berliner wissen immer noch nicht so recht, wo sie stehen.

Das Spiel beim HSV ging auch ohne Gilberto und Mineiro 1:2 verloren. Aber Favres Verzicht auf seine brasilianischen Nationalspieler steht symbolisch für die kleine Krise, die Hertha durchmacht. Es ist dies nur vordergründig eine Ergebnis-Krise. Mit 16 Punkten aus zwölf Spielen steht Hertha im Soll, und in Hamburg kann man verlieren, „auch Bayern München hat sich hier schwer getan“, sagte Favre. Das Problem war nicht die Niederlage, sondern ihr Zustandekommen. In der ersten Halbzeit fand Hertha nicht statt, in der zweiten reichte es immerhin zu einer Willensleistung, zu mehr allerdings nicht. Auch das 2:0 gegen Bochum, der einzige Sieg in den vergangenen sechs Wochen, war keineswegs ein Produkt großer Fußballkunst. Es fehlen Kreativität, Schönheit, Leidenschaft. Es fehlt das brasilianische Element. Dieter Hoeneß reklamiert für sein umstrukturiertes Team Geduld. „Es kann nicht sein, dass vor ein paar Wochen alles toll war und jetzt alles schlecht sein soll“, sagt der Manager. Es ist nicht alles schlecht bei Hertha. Aber es war alles schon mal sehr viel besser.

Zum Beispiel am sechsten Spieltag, als Hertha nach dem 3:2-Sieg über Dortmund für ein paar Stunden auf Platz eins der Tabelle thronte. Hoeneß sagte an diesem 22. September, das sei „nicht irgendeinen Sieg, sondern ein grandioser Sieg“ gewesen. Hertha hatte die Dortmunder mit klugem Tempofußball ausgespielt. Da stimmten die Laufwege, immer wieder kam der vertikale Pass in die Spitze. Alles im Berliner Spiel schien einem System zu folgen, einstudiert in sich ewig wiederholenden Übungen. Da schienen Automatismen zu greifen, die eigentlich noch gar nicht greifen konnten, denn Favre war doch gerade zwei Monate im Amt. Dieses Spiel war ein mehr als vages Versprechen für eine bessere Zukunft.

Hertha hat das Versprechen nicht eingehalten. Spiele wie das in Hamburg wirken auf Herthas Fans deshalb so deprimierend, weil sie wissen, dass es auch anders geht. Doch die Schönheit des Berliner Fußballs hat sich verflüchtigt, keiner weiß wohin und warum. Es kann nicht allein an Lucios Ausfall liegen. Der kleine Brasilianer war auf dem linken Flügel ein belebendes Element, aber kein gestaltendes. Für diese Aufgabe waren in Hamburg Gilberto und Tobias Grahn zuständig. Sie sollten die kreativen, die überraschenden Momente schaffen. Der zaudernde Grahn ist dazu offensichtlich nicht in der Lage. Aber Gilberto beherrscht dieses Spiel, er hat es in seinen Berliner Jahren oft genug gezeigt. Auf der linken Seite gibt es in der Bundesliga wenige Spieler seiner Klasse. Beim 3:2 gegen Dortmund war er der beste Mann auf dem Platz. In Hamburg aber wirkte er so lustlos, als ginge ihn das alles nichts an. Sein Vertrag endet nach dieser Saison. Hertha würde Gilberto gern halten, aber sein Auftritt ließ sich schwerlich als Wunsch interpretieren, noch ein paar Jahre in Berlin zu bleiben.

Lucien Favre hat in Hamburg gesagt, er sei zufrieden mit Gilberto gewesen, aber etwas Gegenteiliges hat der Schweizer noch von keinem seiner Spieler behauptet. Das spricht für seine Integrität. Dass er seinen begabtesten Spieler dennoch vom Platz holt, spricht für Favres sportliches Urteilsvermögen. Und dafür, dass irgendetwas nicht stimmt bei Hertha BSC.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false