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Nicht schon wieder. Bastian Schweinsteiger war fassungslos über seine vielen Fehlpässe. Foto: dpa

© AFP

Sport: Dampflok im Schlepptau

Sami Khedira übernimmt im Mittelfeld jene Rolle, die der müde Schweinsteiger nicht mehr ausfüllt.

Gleich nach dem Spiel stand Bastian Schweinsteiger einen Moment allein auf dem flutlichtumhüllten Rasen des Bernsteinstadions in Danzig und glänzte. Schweißgetränkt wie er war nach diesem Spiel gegen Griechenland. Er dampfte und schnaufte – Schweinsteiger kochte wie der Kessel einer Lok, der stundenlang unter Feuer gestanden hatte. Wenn er in diesem Moment in eine Tonne mit Eiswasser gestiegen wäre, was Nationalspieler machen, um rasch zu regenerieren, er hätte sie zum Sprudeln gebracht.

Vielleicht ist es ein bisschen ungerecht, aber man konnte in Schweinsteiger eine Rangierlok sehen, die nach Dienstschluss in den Schuppen tuckert. Hinter ihr ein Tagewerk, das irgendwie vergeblich gewesen war. Die Lok hatte an diesem Tag nicht alle Hänger in die richtigen Gleise geschoben, manchen während der Fahrt sogar verloren. Bastian Schweinsteiger, so viel war sicher, hatte mit seinem Wirken keine wirkliche Freude erzeugt und wohl auch selbst keine empfunden.

Schon zum Pausenpfiff gab es eine bedeutsame Szene: Sie zeigte, dass er der deutsche Spieler war, der am schnellsten in die Kabine verschwand. Nur schnell weg, sonst käme womöglich noch einer auf die Idee, ihn auszuwechseln.

Bastian Schweinsteiger gab dem Bundestrainer im ersten Abschnitt gegen destruktive Griechen reichlich Anlass, ihn vom Feld zu nehmen. Nach einer Viertelstunde hatte er dreimal den Ball verloren respektive ihn nicht zum eigenen Mann bekommen. Nach 45 Minuten war er fünfmal gescheitert. Eine untypische, weil unbefriedigende Quote für einen wie ihn, der doch das Spiel lenken und koordinieren soll, der die Defensive mit der Offensive zu verbinden hat, der Symmetrie und Statik im System verantwortet. Und dann das.

„Vielleicht hatten wir ein paar einfache Ballverluste, ein paar einfache Ballverluste zu viel“, sagte Löw hinterher, adressierte seine Kritik aber nicht. Letztendlich aber habe man die Griechen „mit vielem, was wir gemacht haben, schlichtweg überfordert“.

Vor allem mit dem, was Sami Khedira anbot, Schweinsteigers Nebenmann. Noch vor zwei Jahren, als Khedira nur ein paar ansehnliche Leistungen beim VfB Stuttgart und als Kapitän der Nachwuchs-Europameister auf der Habenseite hatte, war nicht ganz klar, ob er diesem so wichtigen Part in der Zentrale gewachsen sein würde. Heute lässt sein Spiel nicht den geringsten Zweifel. Im Gegenteil. Mit jedem Auftritt wachsen sein Wert und sein Ansehen. Er ist präsent, er treibt das Spiel, er lenkt und leitet es, und im Schlepptau bringt er auch noch Schweinsteiger ins Ziel. Khedira, deutlich größer und schwerer als Schweinsteiger, spielt draufgängerischer, leichtfüßiger, wachsamer, griffiger. Schweinsteigers Spiel gegen die Griechen erinnerte eher an den Gang einer alten Frau – einer alten Frau auf ihrem Weg zurück vom Markt mit zwei vollen Einkaufstaschen.

So füttert er die Diskussion über seinen Fitnesszustand. Zwei schwere Verletzungen innerhalb eines halben Jahres hatten den 27-Jährigen zurückgeworfen. Er konnte sich jeweils herankämpfen, biss sich durch ein paar Spiele. Einer wie er lebt ja von seiner körperlichen Konstitution, seinem Können und seiner Erfahrung und von seiner mentalen Robustheit. Bis ihm der Fehlschuss im Champions-League- Finale dazwischengekommen ist. Die EM-Vorbereitung verpasste er größtenteils, was man ihm im ersten Spiel gegen Portugal ansah.

Thomas Müller hatte seine eigene Sicht der Dinge. Nach dem ersten Spiel sei Schweinsteiger nachgesagt worden, dass er noch nicht fit sei, und nach dem zweiten, als er zwei Torvorlagen gegeben habe, sei er dann fit gewesen, sagte Müller und folgerte: „Dann kann er ja nicht jetzt wieder nicht fit sein.“ Was ist es dann? Muss Schweinsteiger jedes Mal sich selbst besiegen, seinen eigenen Schweinehund? Schon nach dem kniffligen Dänemarkspiel hatte er kaum ein Wort rausbekommen. Er sei so „müüüüde“.

Was soll erst Khedira sagen? Der 25-Jährige ist schon jetzt der beste deutsche Turnierspieler. Gegen die Griechen schoss er das wichtige, vorentscheidene 2:1. 90 Prozent seiner Pässe kamen an, er spulte 11,5 Kilometer ab, das zweitgrößte Laufpensum aller Spieler. „Sehr dynamisch, sehr präsent“, so charakterisiert Löw das Spiel des neuen Herrschers. Khedira sei zu einer Führungspersönlichkeit gereift, bei Real Madrid und nun „auch bei uns“. Überall da, wo Schweinsteiger gebraucht worden wäre, war Khedira. Ein Spieler, „der seine Position permanent verlässt, nach vorne geht, am Strafraum auftaucht, aber auch die Position hinten hält. Das spricht für ihn“, sagte Löw anerkennend. „Es ist gut für die anderen, die um ihn herumspielen, dass er da ist.“ Das hatte Löw auch mal über Schweinsteiger gesagt. Lange her.

Aber vielleicht ist es auch so, dass Bastian Schweinsteiger sich für die engen, für die schweren Spiele aufspart, fürs Halbfinale, eventuell fürs Finale. Er kann ein so wunderbarer Fußballer sein, einer der lenkt und leitet, einer der führt und dabei glänzt. Ohne zu dampfen und zu schnaufen.

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