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Wer hinfällt, der muss auch wieder aufstehen - hat sich auch unser Kolumnist Mike Kleiß gedacht.

© picture alliance / dpa

Kolumne: So läuft es: Danke, Sackgesicht

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Bei unserem Kolumnisten war es das Ende eines Sprints, das der Beginn einer neuer Leidenschaft werden sollte.

Sehr stolz habe ich vor einigen Tagen auf meiner privaten Facebook-Seite gepostet: „Wenn einer vor fünfeinhalb Jahren dem dicken Raucher Kleiß erzählt hätte, dass er 2017 anlässlich des Marathons in Berlin zum Literatur-Marathon eingeladen wird, um aus ,Laufwunder’ vorzulesen, dem hätte der dicke Raucher Kleiß gesagt: Das ist so lächerlich unmöglich, wie ’nen Marathon zu laufen. Man sollte vorsichtig mit Worten sein. So läuft es!“ In der Tat ist es eine große Ehre, diese Einladung bekommen zu haben. Und ich freue mich wirklich unendlich auf die Lesung. Obgleich mich ein Kommentar eines ehemaligen Kollegen zu meinem Post sehr zum Nachdenken gebracht hat.

Gregor Glöckner ist ein begnadeter Journalist beim Radiosender SWR3, der Sender, dem ich unendlich viel zu verdanken habe. Gregor ist aber auch ein verdammt guter Fußballspieler. Er kommentierte: „... der beim Fußball alleine mit dem Ball auf dem Weg zum Tor aus schierer Kraftlosigkeit zusammengebrochen ist. Was für ein Bild!“ – und ergänzte seinen Eintrag mit einem Smiley. Gregor sprach diesen einen Moment an. Den Moment, der mich bis heute nicht loslässt.

Wir spielten mit der SWR3-Fußballmannschaft um den Mediencup. Ich habe verdrängt, gegen wen wir damals spielten. Es war in jedem Fall in meiner „besten“ Zeit. Nie war ich dicker. Und kurzatmiger. Und nie rauchte ich mehr. Die Kollegen spielten mich nicht wirklich oft an, denn sie wussten, dass ich in der Endgeschwindigkeit sicher schnell sein konnte. Aber bis ich meine 115 Kilo auf Kurs hatte, dauerte es eben.

Wie ein nasser Sack

Dann kam der Moment, in dem sie gar keine andere Möglichkeit hatten, als mich anzuspielen. Der Torwart des Gegners war aus dem Tor gekommen, ich stand ca. zehn Meter vor seinem Kasten, alleine. Mit einem perfekten Ball schickte mich Morgenshow-Moderator Sascha Zeus steil. Es waren nur zehn Meter. Und ich gab alles. Doch diese zehn Meter wurden gefühlt zu zehn Kilometern. Und bei Kilometer acht – also Meter acht – verließ mich einfach die Kraft. So sehr, dass ich die letzten zwei Meter weder laufen, noch den Ball einfach zwei Meter schießen konnte.

Wie in Zeitlupe fiel ich. Und fiel. Wie ein nasser Sack fiel ich auf den Rasen. Und dann war da einfach nur Stille. Und der Atem des Torwarts, der den Ball einfach aufnahm. Als ich mich endlich wieder hochgewuchtet hatte, lagen alle meine Mitspieler auf dem Rasen. Sie hatten ebenfalls keine Kraft mehr. Vor lachen! „War halt ein übles Loch im Rasen, hab’ ich übersehen“, keuchte ich. Das Gelächter wurde noch größer. Verständlich. Nie war eine Ausrede billiger. Erst kam der Schmerz der Schmach über mich. Dann der Wille: Die lachen eines Tages nicht mehr. Die nicht. Die Sackgesichter. Und dieser Moment war der Anfang.

Ich fing wieder mit dem Laufen an. Wenigstens sporadisch. Es dauerte noch weitere sechs Jahre bis ich täglich lief, aber es war ein Anfang. Und diese Momente des Erwachens sind wichtig und notwendig. Wer den Schweinehund überwinden will, braucht diese schmerzhaften Momente. Egal, ob man mit dem Laufen beginnen will oder ob der erfahrene Läufer wieder den Einstieg schaffen will. Es tut gut, wenn man nach Jahren wieder an den diesen einen Moment erinnert wird. Wir brauchen diese Gregors! So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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