zum Hauptinhalt

Sport: „Dann bin ich eben nicht mehr lustig“

Herthas neuer Trainer Hans Meyer über das Geheimnis seines Medienerfolgs, über Späßchen, Lügen und Ironie

Herr Meyer, Sie sind jetzt seit einer Woche bei Hertha und sehen immer noch entspannt aus.

Das wundert mich selbst etwas. Die Woche war sehr intensiv. Ich will nicht kokettieren. Ich bin seit 32 Jahren Trainer, aber vom Arbeitsaufwand her nimmt diese Woche einen Spitzenwert ein: Ich habe mit 24 Spielern gesprochen, mit jedem wenigstens eine Stunde lang. Ich hoffe, dass ich mich nicht in den Charakteren irre. Die Spieler taktieren natürlich auch. Die letzte Wahrheit sagt keiner. Aber die meisten Unwahrheiten kenne ich schon.

Worum ging es in den Gesprächen?

Um alles. Um die Situation der Mannschaft, aber mich interessiert auch, welche Rolle der eine oder andere spielt. Und dann kriegst du plötzlich mit, dass jemand, von dem du denkst, dass er mittendrin ist, völlig außerhalb der Mannschaft steht – dass niemand mit ihm spielen will. Wer das ist, werde ich Ihnen natürlich nicht verraten.

Stört die Öffentlichkeit?

Um ehrlich zu sein: Am liebsten würde ich mit den Spielern in den nächsten Wochen ganz allein arbeiten – ohne Presse. Ich kann mich auf dem Trainingsplatz schlecht verbiegen. Dass ich manchmal laut werde, ist keine Masche oder Populismus für die Journalisten, die am Rand stehen. Bei Borussia Mönchengladbach habe ich noch schärfer auf Dinge reagiert, die nicht geklappt haben. Und wissen Sie, was ich hier mache? Hier gehe ich mit den Spielern in eine Ecke, damit niemand hört, was ich ihnen sage.

Warum tun Sie sich das alles noch einmal an?

So etwas ist immer von verschiedenen Faktoren abhängig. Aber die Begrenzung auf fünf Monate war ganz entscheidend. Meine Frau hat mir nur eine einzige Frage gestellt: Muss ich wegen eines Umzugs noch einmal einen Hammer in die Hand nehmen? Als ich das verneint habe, hat sie gesagt: Gut, dann unterstütze ich dich noch einmal.

Was muss eigentlich passieren, damit Sie länger als fünf Monate bei Hertha bleiben?

Nichts kann passieren. Nur eines würde mich drücken: Ich habe noch nie in der Champions League gespielt. Wenn Hertha doch noch Dritter wird, würde ich einmal zucken. Aber überrumpeln lassen würde ich mich nicht.

In den Medien sind Sie bisher sehr gut weggekommen. Beim Trainingsauftakt waren fast 2000 Menschen, und sie haben den Eindruck erweckt, als sei ihnen der Retter erschienen.

Wundert Sie das? Ich habe noch kein Spiel verloren, noch keinen falschen Spieler eingewechselt. Es gibt also noch gar kein Konfliktpotenzial mit den Medien.

Sie laufen sogar mit dem Prädikat Medienerfolg herum.

Das ist nun wirklich lächerlich. Mit solchen Begriffen habe ich meine Schwierigkeiten. Wenn die Hertha-Fans nur über solche unwichtigen Dinge wie Medienerfolg zu begeistern sind, wäre das schlimm.

Aber auch die Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle waren plötzlich ganz beschwingt.

Erst wenn wir das Spiel zum Rückrundenauftakt gewinnen, wird sich hier die Stimmung entscheidend verbessern, alles andere ist doch nur Hoffnung. Gehen Sie mal davon aus, dass ein anderer neuer Trainer das auch geschafft hätte. Mit meiner Person hat das nur sekundär etwas zu tun. Ich bin noch nie Meister geworden, ich habe nicht wie Jörg Berger sechs, sieben Klubs vor dem Abstieg gerettet. Was glauben Sie denn, wer in Berlin überhaupt registriert hat, dass ich mit Gladbach aufgestiegen bin und im nächsten Jahr die Klasse gehalten habe? Das ist doch kein Erfolg – außer für die Gladbach-Fans. Den meisten Menschen in diesem Land ist das doch scheißegal gewesen. Wenn anstelle von Meyer Trapattoni hier aufgetaucht wäre, hättet Ihr noch mal tausend Leute mehr gehabt.

War Ihnen der Auflauf in Berlin unheimlich?

Ich weiß doch, dass das schnell kippen kann. Ich kenne auch die Rufe „Meyer raus!“. Und die Fragen, die dann kommen: Ist er noch der Richtige? Ist er zu alt? Ist er schon zu lange da? Ist er zu sehr Ossi? Das mit dem Heiland Meyer kann ganz schnell in die andere Richtung schießen. Mit dem kleinen Zauberstab geht das nicht. Mit zu hohen Erwartungen hat man in Berlin schlechte Erfahrungen gemacht. Und die Medien haben daran einen großen Anteil. Vielleicht wurde die Mannschaft im Sommer überschätzt. Vor allem das klare Ziel, wir wollen Dritter werden, hat die Erwartungen gepusht.

Aber zunächst einmal haben sich doch wohl die Spieler überschätzt.

Soll ich Ihnen mal was sagen: Diese Mannschaft wurde von einigen von euch Journalisten dermaßen in diese Richtung gedrückt. Nach dem Motto: Die Feiglinge sollen sich endlich mal ein richtiges Ziel setzen. Dazu die stichelnden Fragen. Und als es anschließend nicht lief, wurde den Spielern das schön aufs Brot geschmiert.

Ohne dieses Ziel …

… wäre einiges leichter gewesen. Ich war immer ein Mann, dem man vorgeworfen hat: Der Meyer ist ein Pessimist. Wenn in Gladbach einer kam und sagte, wir müssen endlich mal weiter oben anklopfen, habe ich gesagt: Dann müssen Sie das Nötige dafür tun, damit dieses Ziel auch realistisch wird. Wunschdenken ist tödlich.

Man könnte sich ein leichteres Auftaktprogramm wünschen: Sie müssen nach Bremen und spielen dann gegen Stuttgart. Es könnte sein, dass Sie mit null Punkten aus den beiden Spielen starten.

Oh ja. Es kann sogar ganz gut für uns laufen, und wir haben trotzdem null Punkte. Mir braucht niemand vorzuwerfen, dass ich zu wenig Fantasie habe, um mir vorzustellen, was alles negativ laufen kann. Es wäre anstrengend, alles durchzukaspern.

Trotzdem: Mal angenommen, Sie gewinnen keines dieser Spiele. Dann heißt es: Wie kann der Meyer jetzt noch seine Späßchen machen?

Sie glauben doch wohl nicht, dass ich die dann noch machen werde. Ich weiß, dass die nicht hier hingehören, wenn die Leute draußen mit Tränen in den Augen am Zaun stehen. Dann werde ich eben nicht mehr lustig sein. Aber soll ich jetzt schon der Trauerstimmung Rechnung tragen?

Also geben Sie bei Ihren täglichen Pressekonferenzen nur den lustigen Hans.

Aber was können wir denn zur Stunde tun? Nichts. Wir haben kein hartes Thema. Wir haben alle einen warmen Kaffee, sitzen im Trockenen und reden im Ungefähren. Ihr habt nichts zu schreiben. Es sei denn, Ihr geht ins Archiv der „Bild“-Zeitung und holt die ganzen Lügen heraus, die über mich verbreitet worden sind. Aber diese Geschichten werden davon nicht glaubhafter. So, oder Ihr könntet euch zum „Spiegel“ begeben und noch einmal meine Stasiakten beleuchten – weil ich ja laut „Spiegel“ für die Stasi gearbeitet habe. Das ist zwar gelogen, bringt aber bestimmt wieder ein paar Leser mehr. Solche Dinge bringen mich zwar nicht mehr um den Schlaf, aber lustig wäre es auch nicht.

Nicht jeder kommt mit Ihrer ironischen Art zurecht. Warum sind Sie so?

Wir müssten einen Psychologen konsultieren. Vielleicht ist Ironie für viele Menschen ein zum Teil unerkannter Schutz. Manche interpretieren Ironie auch als Zeichen von Unsicherheit und mangelndem Selbstvertrauen. Ich persönlich kann mit Menschen gut, die ihre Sache zwar sehr ernst nehmen, aber auch über andere und sich selbst lachen können. Bestimmt komme ich bei manchen richtig blöd an, weil ich unernst erscheine.

Die Boulevardzeitungen veröffentlichen jeden Tag Ihre besten Sprüche.

Ich würde mir das gern ersparen. Anderen auch.

Wann sind Sie so ironisch geworden?

Geworden? Das war ich als Oberschüler schon. Meine Vier in Betragen hatte mit Sicherheit etwas damit zu tun.

War Ironie in der DDR vielleicht ein Mittel, Dinge zu sagen, die man sonst nicht sagen durfte?

Das würde ich so nicht sagen – weil das im Nachhinein suggeriert, dass ich ein ganz schlimmer Kritiker der vorhandenen Zustände gewesen wäre. Ich habe viele Dinge kritisch gesehen, aber ich habe auch lange gedacht, dass das System eine Alternative darstellen könnte. Am Ende nicht mehr, weil da abzusehen war, dass die DDR ökonomisch zum Scheitern verurteilt war. Ich bin so, wie ich bin. Das hat nichts mit der politischen Prägung zu tun.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt .

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false