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Der Darts-König. Phil Taylor will seine Karriere bei der WM mit dem 17. Titel krönen.

© Lisa Ducret/dpa

Darts-WM in London: Tomas Seyler: "Psychospielchen auf der Bühne"

Tomas Seyler kommentiert die Darts-WM in London. Mit dem Tagesspiegel sprach er über dicke Bäuche, Tricks - und den scheidenden Rekordchampion Phil Taylor.

Von David Joram

Herr Seyler, verraten Sie uns bitte: Warum sind eigentlich alle Dartsspieler so dick?
(Lacht laut) Das stimmt doch gar nicht!

Viele sehen schon etwas umfänglicher aus, zumindest im TV.

Das sind eben ganz normale Typen, dick, dünn, groß, klein. Laufen Sie mal durch Ihr Büro: Da rennen auch nicht nur Bierhoffs rum, sondern Menschen mit Ecken und Kanten. Beim Darts zählen nur du und dein Pfeil, alles andere - ob du nun im Rollstuhl sitzt, nur ein Auge oder ein Bein hast - ist piepegal. Darts ist der Golfsport des kleinen Mannes.

Manche sagen, wer mehr Gewicht mitbringt, hat einen sichereren Stand beim Wurf.

Alles Quatsch! Man muss nicht dick sein, man braucht aber auch keinen Adonis-Körper. Die Spieler, die hier bei der WM antreten, können eben auch noch das Leben genießen und ein kleines Bäuchlein haben.

Wobei auch in der Dartsszene längst eine Professionalisierung greift, denken wir nur an die Einlaufmusik oder die Outfits und Spitznamen der Spieler. Was halten Sie von Peter "Snakebite" Wright, dessen Kopf stets ein Tattoo einer Schlange ziert?

Klar, Peter Wright tut da auch was fürs Merchandising, "Snakebite" hat schon eine Ausnahmestellung inne. Aber letztlich stehen auch die Spitznamen, besser gesagt die Kampfnamen, nur für den Charakter der Spieler, zumindest ursprünglich. Es gibt etwa den "Pieman": Das ist Andy Smith, der eben gerne englische Pies isst. Oder den "Muffin Man" Steve Hine, der ist von Beruf Bäcker.

Am bekanntesten ist Phil „The Power“ Taylor, mit 16 Titeln Rekordweltmeister. Er beendet seine Karriere nach der WM. Kann er mit 57 Jahren noch einmal gewinnen?

Ich würde mich sehr für ihn freuen, aber ganz ehrlich: Ich sehe ihn nicht im Finale, selbst das Halbfinale wird schwer. Man hat schon in Runde eins gesehen, dass er wackelt. Seine Vorbereitung – das sagt er ja auch selbst – war nicht optimal, er wirkt amtsmüde. Und im Halbfinale oder Finale muss man über ein, zwei Stunden liefern. Dass Taylor über solche Distanzen noch sein Spiel durchziehen kann, glaube ich nicht.

Was spricht für Taylor?

Früher hat Taylor oft Spiele gewonnen, weil er Taylor ist. Das ist nicht mehr so, selbst die jungen Spieler nehmen mittlerweile das Spiel furchtlos gegen ihn an, der Respekt ist nicht mehr so groß...

Aber?

Taylor ist ein Meister der Psyche. Den Trashtalk beherrscht er perfekt. Auch andere Kleinigkeiten, die den Gegner aus dem Rhythmus bringen, zelebriert er hin und wieder. Er kann die mentale Komponente schon vor dem Duell eröffnen.

Wie beim "Watergate" mit Daryl Gurney bei einem Turnier vor der WM?

Ja, so in etwa. Normalerweise schenkst du deinem Gegner vor dem Spiel ein Glas Wasser ein, wenn du als erster Werfer die Bühne betrittst, das hat Gurney aber Taylor verweigert. Und schon war der Psycho-Krieg auf der Bühne eröffnet. Im Vorfeld hatte Taylor gesagt, Gurney sei gut, aber so gut nun auch wieder nicht. Das Spiel hat dann übrigens Taylor gewonnen.

Taylors Technik ist quasi einzigartig. Er kann zwei Pfeile exakt so in das acht Millimeter breite Triple-20-Feld werfen, dass der dritte noch genau obendrauf passt. Geht mit Taylors Abgang auch die feine, sehr grazil wirkende Taylor-Technik verloren?

Taylor arbeitete stets hart am Perfektionismus, was seinen eigenen Stil betraf. Den idealen Wurf gibt es aber nicht. Bei der WM treten 72 Spieler an, da hat man dann 72 Wurfstile. Auch da zählt die Individualität.

Ein Meister am Mikro. Tomas Seyler, 43, ist dreimaliger deutscher Darts-Champion. An der WM nahm er viermal teil und schaffte es 2005 in Runde zwei. Für Sport1 kommentiert er seit 2011 die WM mit Elmar Paulke.
Ein Meister am Mikro. Tomas Seyler, 43, ist dreimaliger deutscher Darts-Champion. An der WM nahm er viermal teil und schaffte es 2005 in Runde zwei. Für Sport1 kommentiert er seit 2011 die WM mit Elmar Paulke.

© Sport1

Welche Rolle spielt das Publikum im Londoner Alexandra Palace, dem sogenannten "Ally Pally"?

Es ist das neutralste der Welt, aber auch das lauteste. Wer vor 3500 stimmungsvollen Fans aus 2,37 Meter über ein, zwei Stunden lang in acht Millimeter breite Streifen treffen kann, hat wirklich was drauf. Bei Golf, Snooker oder Tennis jubeln die Fans erst nach der Aktion, bei uns herrscht permanent die Lautstärke eines startenden Düsenjets. Da soll noch einer sagen, Darts sei kein Konzentrationssport.

England gilt als Mekka des Dartssports - wo steht Deutschland?

Nicht nur in England, auch in den Niederlanden ist in Folge der van Barneveld-Ära eine große Darts-Begeisterung entfacht worden. Die beiden Länder produzieren Talente ohne Ende, da hat Deutschland natürlich noch Rückstand. Aktuell liegen die deutschen Topspieler pro Aufnahme im Schnitt bei 85 bis 95 Punkten, während Spieler wie Taylor oder der Weltranglistenerste Michael van Gerwen einen Schnitt von 110 bis 115 bei möglichen 180 Punkten erreichen.

1,48 Millionen Zuschauer haben in Deutschland das letzte WM-Finale live im TV verfolgt. Welche Entwicklung trauen Sie dem Sport hier zu?

Darts ist auf jeden Fall sehr fernsehtauglich, obwohl wir aus deutscher Sicht ja keinen Boris Becker oder eine Steffi Graf im Teilnehmerfeld haben.

Wer gewinnt die WM?

Es gibt einige Kandidaten, die das schaffen können. Gurney spielt sehr konstant, auch Rob Cross traue ich viel zu. Und dann gibt es natürlich den Kreis der altbekannten Kandidaten: Taylor, van Gerwen, Raymond van Barneveld, Gary Anderson und Peter Wright.

Und wie oft sehen wir das perfekte Spiel, den 9-Darter, bei dem mit neun Pfeilen 501 Punkte ausgeworfen werden?

Realistisch ist nur ein 9-Darter pro Weltmeisterschaft - und den wirft van Gerwen.

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