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Sport: Das Abenteuer des Verkannten

Berti Vogts hält nichts von Rache – aber er will mit seinen Schotten unbedingt gegen Deutschland gewinnen

Glasgow. Ein Tag ohne Regen ist hier wie ein Geschenk. Die Autos fahren links, das Lenkrad sitzt rechts. Die Männer tragen keine Röcke und sind trotzdem Schotten. Wir sind in Seamill, gut 50 Kilometer von Glasgow entfernt, knapp 30 Meilen vom Hampden Park, in dem am Samstag dieses Spiel stattfindet, das für ihn ein besonderes sein soll. Das glauben alle, nur er nicht. Er tut wenigstens so, der Berti Vogts.

Der Wind pfeift über die langen Sandstrände, die Möwen segeln knapp unter den Wolken und stoßen spitze Schreie aus. Vogts läuft durch den Sand. Allein. Kurze Hose, dicke Fußballerwaden, und er denkt nach, wie die Underdogs aus Schottland den Favoriten Deutschland schlagen können. Ein Abenteuer, in dem viele gern die Revanche des früheren Bundestrainers sehen. Manche behaupten, er werde entlassen, wenn es eine herbe Niederlage setze. „Quatsch", sagt Vogts.

Seit 14 Monaten ist er ihr Trainer. „Die Schotten fühlen sich an den Rand gedrängt. Alles wird von England aus gesteuert." Auch Vogts haben sie an den Rand gedrängt, in Deutschland. Es ist eine Mischung aus Verbitterung und dem Bekenntnis, „dass ich mich hier wohl fühle“. Warum sein Image in der Heimat so schlecht ist, darüber zerbricht er sich nach 102 Länderspielen, zwölf Niederlagen und dem EM-Titel 1996 immer noch den Kopf. „Ich habe meine Steuern bezahlt, keine Kinder entführt und keine Drogen genommen.“ Er steht auf und geht zum Mittagessen mit der Mannschaft. Er will sehen, ob sie etwa schon wieder Rührei, Bohnen und Toast essen …

Ja, auch die neue Ernährung kam mit ihm. Als er zurückkehrt, erwacht der Ehrgeiz. „Man sollte sich von unseren Ergebnissen nicht blenden lassen", sagt er. „Wir können die Deutschen schlagen, es wird hart, aber wir können es.“ Nach dem 0:2 gegen Österreich und dem 1:1 gegen Neuseeland klingt das, als pfeife er unverdrossen in den dunklen Wald.

Sie haben sich an ihn gewöhnen müssen. An zweimal Training am Tag und an seine Planungen. Frauenfußball, U 21, die Rainer Bonhof betreut, der Jugendbereich und die Nationalmannschaft. Er legt Konzepte vor und sitzt morgens um acht im Büro über dem Scottish Football Museum direkt im Hampden Park, in dem der Ball aus der legendären Partie von 1928 gegen England liegt. Die Schotten gewannen 5:1. Doch gute Ergebnisse gab es für Schottland schon lange nicht mehr.

„Man hat es hier verpasst, die Mannschaft 1998 umzubauen", sagt Vogts. Von ihm haben sie die Wunderheilung erwartet. Die Zeitungen waren voll wie daheim, weil es nicht lief. „In Deutschland kannst du Spieler auf verschiedenen Positionen einsetzen, in Schottland nicht. Es war mein Fehler, zu glauben, es gehe hier auch." Die schottischen Zeitungen zögern nicht lange, wenigstens da sind sie wie die Boulevard-Haudraufs aus England. Vogts’ Vertrag läuft bis 2006. Manche sagen, er habe keine Ahnung vom schottischen Fußball, er aber glaubt an seinen Weg. Und er hat „ein gutes Gefühl“ für das Spiel gegen Deutschland.

„Das ist reiner Sportsgeist“, sagt er, wenn er vom Sieg spricht. „Das Spielchen von Rache und Revanche spielen Rudi Völler und ich nicht mit.“ Er müht sich zu vermitteln, es gehe ihm gut. „Mit 56 Jahren ist dir vieles egal“, sagt Vogts. „Ich habe lange gebraucht, um mit all dem zurecht zu kommen, was um meinen Rücktritt als Bundestrainer passiert ist. Ein ganzes Jahr. Vielleicht war ich zu nett und freundlich?“ Er will verstanden werden und fühlt sich dennoch missverstanden. Abwehrend hebt er die Hände, dennoch umspült ihn eine Flut von Fragen, auf die er wohl nie eine Antwort erhält. „Wenn der Kopf zu ist, fahre ich raus an den Strand. Spazieren gehen, zwei, drei Stunden lang", erzählt Vogts. „Dann kommt irgendein Wildfremder und geht mit. Dann reden wir. Komisch ist, dass ich bei den normalen Menschen ein ganz anderes Image habe.“ Er hat nicht vergessen, wie sie ihn in Deutschland behandelt haben. Nicht die Kampagne einer Boulevardzeitung und alles andere. „Erst hauen sie mich in die Pfanne und dann rufen sie mich an, wenn Deutschland schlecht spielt oder Leverkusen Probleme hat.“

Probleme sind ihm geblieben. „Die Zeit der großen Namen ist vorbei. Viele leben hier in der Vergangenheit“, urteilt er. „Ich wurde für meine Ansicht über den schottischen Fußball kritisiert. Ein deutscher Sportsender berichtete, die Erfolge von Celtic Glasgow im Uefa-Cup wären Qualitätsbeweis genug. Im Achtelfinale gegen Stuttgart hat ein einziger Schotte mitgespielt“, kontert er. Erst in „drei, vier Jahren wird Schottland wieder eine gute Nationalmannschaft haben“. Und jetzt gegen Deutschland? „Wir werden schottisch spielen“, verspricht er. „Ich habe hier einen Job, der beinhaltet, dass wir Deutschland schlagen können. Mehr nicht.“ Er schaut auf die Uhr. Training. Am Strand bei den Möwen. Das Wetter hält. Es ist ein guter Tag in Schottland.

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