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Mehr als reine Kopfsache. American Football zählt zu den körperbetontesten Sportarten überhaupt. Die härtesten Tacklings schaffen es Woche für Woche in die Fernseh-Highlights. Über Folgeschäden denken bislang die wenigsten Fans und Spieler nach.

© afp

Super Bowl: Das Beben nach den Erschütterungen

Im American Football häufen sich Kopf- und Hirnverletzungen – vor der Super Bowl tobt in den USA die Debatte um schwere Folgeschäden der beliebtesten Sportart.

Der Einwand kam von oberster Stelle. „Wenn ich Söhne hätte, würde ich mir genau überlegen, ob ich sie Football spielen lassen würde“, sagte US-Präsident Barack Obama unter der Woche.

Ungünstiger hätte der Zeitpunkt aus Sicht der National Football League (NFL) nicht sein können. Am Sonntag steht in New Orleans das Endspiel zwischen den San Francisco 49ers und den Baltimore Ravens (ab 0.10 Uhr, live bei Sat1) an. Doch anstatt sich von Vorfreude treiben zu lassen, diskutiert ein Teil der amerikanischen Öffentlichkeit über das Grundwesen der beliebtesten Sportart der USA. Obamas Äußerung war nur der erneute Anstoß zu einer Debatte, die schon länger schwelt. In der Vergangenheit hatten immer mehr ehemalige Spieler nach ihrem Karriereende über Folgeschäden geklagt. Besonders ein Leiden rückte dabei in den Mittelpunkt: Chronic traumatic encephalopathy, kurz CTE. Dabei handelt es sich um eine degenerative Gehirnkrankheit, die unter anderem durch Gehirnerschütterungen hervorgerufen wird. Einige Symptome sind Schwindel, starke Kopfschmerzen, Gedächtnisverlust, Persönlichkeitsstörungen.

All das war bei Junior Seau zu beobachten. Der spielte 20 Jahre als Verteidiger in der NFL. Seau zählte zu den besten seines Fachs, gnadenlos gegen sich und seine Gegner. Im vergangenen Mai, gut zwei Jahre nach seinem Rücktritt vom Profisport, wurde der ehemalige Linebacker tot in seiner Wohnung in San Diego gefunden. Ein Suizid, wie sich bald herausstellte. Seine Familie ließ seine Leiche bei Spezialisten für Hirnkrankheiten in Boston untersuchen. Ergebnis: Auch Seau litt an CTE. Er selbst hatte es geahnt, neben seiner Leiche fanden die Beamten einen Zettel. Darauf stand der Text eines alten Countrysongs: „Who I Ain’t“ – wer ich nicht bin. Ein Porträt von Seau, veröffentlicht in der „San Diego Union Tribune“, beschreibt seine massive Persönlichkeitsveränderung nach dem Ende seiner Laufbahn. Ein Geschäftspartner von Seau berichtete: „Es war sehr schwer, mit ihm am Telefon zu sprechen. Er war sehr vergesslich. Er sagte: ,Ich ruf dich gleich zurück’, aber das passierte zum Schluss nie. Wenn du ihn dann zwei Tage später wieder anriefst, konnte er sich nicht daran erinnern, mit dir gesprochen zu haben.“ Als Student wurde Seau noch ein fotografisches Gedächtnis nachgesagt. Auch soll er in seinem letzten Jahr an starken Stimmungsschwankungen gelitten haben.

Mehr als reine Kopfsache. American Football zählt zu den körperbetontesten Sportarten überhaupt. Die härtesten Tacklings schaffen es Woche für Woche in die Fernseh-Highlights. Über Folgeschäden denken bislang die wenigsten Fans und Spieler nach
Mehr als reine Kopfsache. American Football zählt zu den körperbetontesten Sportarten überhaupt. Die härtesten Tacklings schaffen es Woche für Woche in die Fernseh-Highlights. Über Folgeschäden denken bislang die wenigsten Fans und Spieler nach

© rtr

So ähnlich war es auch bei Dave Duerson. Der ehemalige Super-Bowl-Sieger mit den Chicago Bears tötete sich im Februar 2011 mit einem gezielten Schuss ins Herz. Anders als Seau schoss Duerson sich bewusst nicht in den Kopf. In einem Abschiedsbrief äußerte er ausdrücklich den Wunsch, sein Gehirn möge untersucht werden – deshalb der Brustschuss. Die ganze Welt sollte wissen, was Football aus ihm gemacht habe. Auch Duerson hatte CTE.

Die Familien von Duerson und Seau gehören zu denen, die jetzt per Sammelklage gegen die NFL vorgehen. Ihr Vorwurf: Die Liga würde ihre Spieler nicht ausreichend schützen.

In seiner langen Karriere litt Seau offiziell nie an einer Gehirnerschütterung. Seine Obduktion brachte andere Ergebnisse. Einmal stießen er und ein Mitspieler beim Training so hart mit den Köpfen zusammen, dass beide benommen zusammensackten. Sie einigten sich, den Teamärzten nichts davon zu sagen – obwohl sie die ganze folgende Saison an Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen litten.

American Football ist in den USA ein Spiel der starken Männer, nichts für zart Besaitete. Seau lebte dieses Klischee. Bei Verletzungen ließ er sich schon auf dem College nur abseits des Teams behandeln, niemand sollte seinen Schmerz sehen. Ein anderer Grund für das Imponiergehabe ist pure Existenzangst. Gerade mittelmäßige Spieler fürchten bei Verletzungen um ihren Platz im Team. In der NFL besitzen diese Spieler oft nur Einjahresverträge, wer als verletzungsanfällig gilt, hat es schwer, einen neuen Job zu bekommen. Zu groß ist die Zahl der Bewerber. Diese Probleme hatte Seau nie. Er war ein Superstar.

Die NFL geht inzwischen rigoros gegen gefährliches Spiel vor. Gerade unerlaubte Attacken auf den Kopf des Gegners werden mit hohen (Geld-)Strafen geahndet. Besteht bei einem Spieler der Verdacht auf Gehirnerschütterung, muss er sich noch am Spielfeld von einem unabhängigen Arzt untersuchen lassen. Beim Thema CTE gibt sich die Liga aber weiterhin defensiv. Dabei ist das Problem längst nicht mehr zu leugnen. Unter der Woche sagte Baltimores Ed Reed: „Ich kann mich morgens manchmal an nichts mehr erinnern, aber ich wusste ja, worauf ich mich einlasse.“ Reeds Teamkollege Bernard Pollard wurde angesichts der stetig verbesserten Physis vieler Spieler noch deutlicher: „Es ist ein Wunder, dass noch niemand auf dem Spielfeld gestorben ist.“

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