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Sport: Das Chaos ist leise

Der Banker tropft. Bügelfaltenhose, grünes Jackett, gelbe Krawatte.

Der Banker tropft. Bügelfaltenhose, grünes Jackett, gelbe Krawatte. Top gestylt steht Lars Hagedorn in der Schlange. Er ist völlig durchgeweicht nach 20 Minuten im Wolkenbruch. Auf seinem Jackett zeichnen sich riesige Wasserflecken ab. Aber was ein echter Union-Fan ist, der fügt sich in sein Schicksal. Und schließlich geht es hier, vor der Geschäftsstelle des 1. FC Union in der Hämmerlingstraße, um eine bessere Zukunft. Um Karten für das Heimspiel des Regionalligameisters gegen den VfL Osnabrück am Sonntag. Das Spiel des Jahres! Der Aufstieg in die Zweite Bundesliga steht bevor! "Die Karten werden schnell weg sein", sagt der 29-jährige Hagedorn, "meine Kleidung trocknet im Auto."

Früh um sieben kamen gestern, als der Vorverkauf begann, die Ersten. Ziemlich spät eigentlich - in Osnabrück, heißt es, haben hartgesottene Fans vor dem Kassenhäuschen gecampt. In Köpenick stehen um 9 Uhr an die 50 Fans im Regen, zehn haben es schon unters Dach geschafft, 30 harren im Trockenen vor der Kasse aus. 18 000 Plätze hat das Stadion an der Alten Försterei, es gibt nur noch Stehplätze. Rund 8900 schriftliche Bestellungen liegen vor, 1500 Tickets gingen nach Osnabrück, auf den Rest spekuliert die Menge. Mittendrin ist die 78-jährige Frau Helmer. Sie hat schriftlich bestellt - und dürfte an der nassen Schlange der Nicht-Besteller vorbei in den zweiten Stock gehen, zur trockenen Schlange der Besteller. Bloß weiß sie das nicht und auch sonst niemand. Keine Ausschilderung, nichts. Erst wer schon klatschnass ist, stellt fest, dass er ein höchst überflüssiges Opfer gebracht hat. Also, dalli, nach oben. Hier wird gefachsimpelt. "Ein 1:0 hilft wenig, dann müssten sie gegen Pfullendorf spielen oder so", sagt ein Busfahrer aus Fürstenwalde, der nach der Frühschicht schnell nach Köpenick gerast ist. Um 12 beginnt seine nächste Tour. Aber es geht nicht recht vorwärts im Flur vor dem Kartenzimmer. Endlich an der Tür, war wieder alles falsch: Mitglieder und Dauerkarteninhaber, auch Frau Helmer, hätten vorgehen können, direkt zu den Tischchen "A-K", "L-St" und "T-Z".

Der Rentner hinter "A-K" feuchtet den Finger an, blättert noch mal in seinem Kartenstapel. Wo sind die Tickets für Frau Helmer ? "Sie stehen zwar auf der Liste, aber die Karten sind nicht da. Gehen Sie mal runter zur Geschäftsstelle." Der Nächste bitte. Die Geldscheine steckt der Rentner in eine Plastikschale hinter sich. Einer der Mitarbeiter nimmt Schecks an, einer nicht. Die junge Aushilfskraft mit den blauen Strähnchen kommt nicht zum Luftholen, die ältere Kollegin, bei Heimspielen Kassiererin, stützt ihren Kopf auf die Hände und wartet auf "T-Z"-Fans. "Die Organisation ist hier schon immer schlecht", sagt sie fast fröhlich. Das Chaos ist leise, kaum einer meckert. Wann gab es das schließlich schon mal - Kartenbestellungen für Union! Nicht nur die Spieler müssen zweitligareif werden ...

Nach über zwei Stunden und fünf Schlangen hat Frau Helmer die Karten für sich und alle Bekannten. "Jetzt müssen wir nur noch gewinnen, damit wir jauchzen können", sagt sie vergnügt. Um halb elf sind 1500 unbestellte normale, 150 ermäßigte Stehplatzkarten und gut 20 Kinderkarten verkauft. Wer jetzt kommt und nicht vorbestellt hat, dem geht es gut: Er kann direkt zur Kasse durchgehen. Bekommt, wenn er will, 20 Karten auf einmal. Und wird kein bisschen nass.

Helen Ruwald

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