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Tennis-Streitfälle: Das dritte Auge

Umstrittene Tennis-Entscheidungen können durch eine technische Neuerung überprüft werden. Das "Hawk-Eye" ermöglicht Videosimulationen - eine Installation kostet jedoch 50.000 Dollar.

Berlin - Tennisprofi Stefan Koubek traute seinen Ohren nicht. „Das Match ist für dich vorbei“, hatte der Supervisor gesagt und ging zum Stuhlschiedsrichter. Dieser verkündete dann ganz offiziell: Der Österreicher ist disqualifiziert.

Diese Szene ereignete sich am vergangenen Donnerstag beim ATP-Turnier in Metz im Spiel gegen den Franzosen Sébastien Grosjean. Beim Stand von 5:7, 7:6 (7:4), 4:2 überzeugte Grosjean nach einem umstrittenen Ball den Schiedsrichter, den Punkt neu ausspielen zu lassen. Der Schiedsrichter habe sich offensichtlich von den französischen Fans beeinträchtigen lassen, sagt Koubek. Er bestellte daraufhin den Supervisor Thomas Karlberg auf den Platz. Als dieser die Entscheidung nicht revidieren wollte, beschimpfte ihn Koubek - und flog vom Platz.

Diskussionen dieser Art gab es in der Vergangenheit oft im Tennis. Sie können aber durch technische Neuerungen verhindert werden. Das „Hawk-Eye“ ermöglicht seit dem letzten Jahr das Überprüfen umstrittener Entscheidungen per Videosimulation. Was für den Fernsehzuschauer schon seit einigen Jahren möglich ist, können seit dem Turnier in Key Biscayne 2006 nun auch die Spieler auf dem Platz ermitteln. Durch komplizierte Technik kann die exakte Position des Balles, die Flugbahn und der Aufsprungpunkt genau berechnet werden. Dazu verfolgen die Kameras (siehe obenstehende Grafik) jeden Ball und speisen 24 Gigabytes Daten in eine Videosoftware ein. Auch Komponenten wie Wind und Bodenbelag werden miteinberechnet. Ein zentrales System führt alle Daten zusammen, die dann ein endgültiges 3D-Bild ergeben.

Rund 50 000 US-Dollar kostet die Installation eines Hawk-Eye-Systems – auf einem einzigen Platz. Deswegen wird das System bislang nur bei den Grand- Slam-Turnieren verwendet (bei den French Open wurde das System bislang nur fürs Fernsehen getestet) und nur einigen ATP-Turnieren. Und dort zumeist nur auf dem Centre Court.

Die Technologie, die den Namen ihres Entwicklers, des britischen Experten für künstliche Intelligenz Paul Hawkins, trägt, berechnet den Aufsprungpunkt des Balles bis zu drei Millimeter genau. Dadurch könne das System „wasserdicht“ beantworten, ob ein Ball im Aus war, sagt Hawkins. Es ist wesentlich genauer als das „magische Auge“, das nur beim Aufschlag eingesetzt wurde und oft fehlerhaft war.

Die Anzahl der so genannten „Challenges“, wie das Aufrufen des Videobeweises heißt, ist für jeden Spieler begrenzt: Er hat zwei Möglichkeiten (bei Wimbeldon drei) pro Satz, die Entscheidung der Schieds- und Linienrichter zu überprüfen. Liegt der Spieler richtig, wird ihm aber keine seiner „Challenges“ abgezogen. Geht ein Satz in den Tie-Break, bekommen beide Spieler eine weitere Überprüfungsmöglichkeit hinzu.

Die Einführung des Hawk-Eye-Systems wurde besonders von den traditionsbewussten Vertretern des Tennissports hart bekämpft. Roger Federer sprach von Geldverschwendung und mag den Videobeweis bis heute nicht. Im diesjährigen Wimbledonfinale fragte er nach vier gelungenen „Challenges“ seines Kontrahenten Rafael Nadal: „Kann man das Ding nicht ausschalten?“

Der Sport verliere dadurch seinen menschlichen Faktor, sagen Kritiker. Gemeint sind damit legendäre Gefühlsausbrüche à la John McEnroe. „Die Leute fanden es gut, wenn McEnroe die Blumendekoration zertrümmert hat“, sagt auch Stefan Koubek, der das Hawk-Eye dennoch begrüßt. Für die Zuschauer entsteht neue Spannung durch die Anzeige der Entscheidung auf Großleinwand im Stadion, die oft mit lauten Rufen der Zuschauer erwartet wird.

Das Hawk-Eye-System scheint sich durchzusetzen. Zu den Fürsprechern gehört auch der berühmt berüchtigte Platzrüpel John McEnroe, genauso wie André Agassi, der eine „ganz neue Dimension“ im Spiel sieht. Durch die „Challenges“ wird bei vielen Entscheidungen das Aggressionspotential aus dem Spiel genommen. Das findet auch Stefan Koubek, dessen Disqualifikation durch den simplen Ausruf „Challenge“ in Metz vielleicht hätte verhindert werden können. Dort ist das System aber noch nicht eingerichtet.

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