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Sport: Das Ende des Zickenalarms

Die deutschen Volleyballerinnen haben ihren männlichen Kollegen einiges voraus: Erfolg und Geschlossenheit

Volleyball ist immer eine Sache des richtigen Timings. In der technisch anspruchvollsten Mannschaftssportart gilt das für Aufschlag, Zuspiel oder Block, aber auch für die Dramaturgie des Spiels. Wenn es eng wird, packen die Besten ihre härtesten Schläge aus. Was die entscheidenden Siegpunkte betrifft, haben es die deutschen Volleyballerinnen während der Olympia-Qualifikation in Baku (Aserbaidschan) zu einer erstaunlichen Meisterschaft gebracht: Am Ende hat das Team des koreanischen Bundestrainers Hee Wan Lee im Achterfeld den Weltmeister aus Italien, den Europameister aus Polen und die hoch eingeschätzten Russinnen hinter sich gelassen und sich das einzig vergebene europäische Ticket für Olympia gesichert. Der letzte Triumph gelang gegen Vize-Europameister Türkei: 3:0 (25:22, 25:16, 25:7) – souveräner geht es kaum.

Da können die männlichen Kollegen nicht mithalten. Sie konnten sich bei ihrer Qualifikation in Leipzig für Olympia nicht durchsetzen. Am Ende blieb den Männern nur die Erkenntnis, dass sich die zumeist jungen Spieler kontinuierlich entwickeln – aber langsamer als erhofft. „Wir werden zwar besser“, sagt Werner von Moltke, der Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes, „aber die anderen leider auch. Und so bleibt der Abstand immer gleich.“ Wobei Kapitän Wolfgang Kuck erkannt hat, dass seine Mannschaft nicht über jene mentale Stärke verfügt, die die deutschen Frauen in kniffligen Situationen so überzeugend agieren lässt: „Solche Bälle kannst du im Training nicht einfach üben. Das passiert im Kopf.“

Im Sommer dürfen nur die Frauen nach Athen fahren. Bis dahin zählt neben der Vorbereitung vor allem Erholung. Ein Kraftakt war das Turnier, schon nach dem Erfolg gegen Russland wünschte sich Angelina Grün „einfach nur Schlaf. Zum Feiern sind wir viel zu schlapp“. Doch beim finalen Akt gegen die Türkei waren alle Erschöpfungserscheinungen vergessen. Die Volleyballerinnen lieferten einen eindrucksvollen Nachweis neu erworbener Stärke. „Diese Leistung war unglaublich“, sagte Hee Wan Lee. Als die überragende Atika Bouagaa vom USC Münster den Matchball verwandelt hatte, ging alles unter im Taumel des deutschen Teams. Ein Betreuer hatte eine Flasche Sekt parat, kurz darauf prosteten sich die Spielerinnen zu. Spielführerin Angelina Grün sprach später von der „unglaublichen Moral, die wir hier gezeigt haben“. Und mit Pathos fügte sie hinzu: „Ich bin stolz, Kapitän dieser Mannschaft zu sein.“

Tatsächlich haben die deutschen Volleyballerinnen in den beiden vergangenen Jahren Erstaunliches geleistet. Nach dem blamablen Scheitern bei der WM im eigenen Lande hatten die Spielerinnen die fehlende Kommunikation mit Hee Wan Lee bemängelt, Verbandschef von Moltke dachte öffentlich über einen Trainerwechsel nach. Doch alle Beteiligten rauften sich zusammen, längst gilt die mannschaftliche Geschlossenheit als Erfolgsgeheimnis. Im Gegensatz zu früher „gibt es bei uns keinen Zickenalarm mehr“, sagt Zuspielerin Tanja Hart.

Der überraschende Erfolg hat auch Auswirkungen auf die Finanzen des Verbandes. Von Moltke bezifferte vorab ein mögliches Scheitern beider Hallenteams und eine damit verbundene Rückstufung in der Förderung durch den Bund mit einem Verlust von 100 000 Euro. Diese Etatlücke wird nun nicht entstehen. Von Moltke, der nach dem Scheitern der Männer in Leipzig den Sieg der Frauen in Baku vor dem Fernseher verfolgt hatte, ist erleichtert: „Jetzt atmen wir erst einmal durch, und dann beginnen wir mit der Planung für Olympia.“

Nach der Pause werden wieder die Personalien Hanka Pachale und Sylvia Roll auf der Agenda erscheinen. Die beiden Italienprofis waren weder vor vier Monaten beim Gewinn der EM-Bronzemedaille dabei, noch schmetterten sie jetzt in Baku für die Auswahl. Angesichts der inzwischen starken jungen Mannschaft ist es unwahrscheinlich, ob ein stabiles Mannschaftsgefüge auseinander gerissen werden sollte, um Spielerinnen zu integrieren, die den Wachstumsprozess nicht mit vollzogen haben. „Wer bei uns spielen will“, sagt Hee Wan Lee, „muss das mit hundert Prozent Engagement tun.“

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