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Sport: „Das hat mich sehr traurig gemacht“

Herthas Marcelinho über seine lange Liebe zum brasilianischen Fußball-Nationalteam - und eine große Enttäuschung

Marcelinho, erinnern Sie sich noch, wann Sie Fan der Seleção, der brasilianischen Nationalmannschaft, geworden sind?

Seitdem ich etwas vom Fußball verstehe. Die Weltmeisterschaft 1982 habe ich noch ganz deutlich vor Augen. Damals war ich sieben. Die Brasilianer hatten eine der besten Mannschaften, die ich je gesehen habe. Mit Socrates und Zico im Mittelfeld. Zico ist bis heute mein Lieblingsspieler.

Trotzdem ist Brasilien 1982 schon in der zweiten Finalrunde ausgeschieden.

Wahrscheinlich ist mir die WM deshalb so stark in Erinnerung geblieben: weil diese großartige Mannschaft so früh gescheitert ist.

24 Jahre – von 1970 bis 1994 – musste Brasilien auf einen WM-Titel warten. Das war die Zeit, in der Sie aufgewachsen sind.

So viele Jahre sind wir diesem Titel hinterhergelaufen. Das war eine traurige Zeit. Und nach jedem WM-Finale sind wir trauriger geworden. 1994 dann …

… als Brasilien gegen Italien im Endspiel stand …

… waren wir alle sehr nervös. Ich habe das Spiel in meiner Heimatstadt Paraíba gesehen. Es gab Elfmeterschießen. Das ist immer eine heikle Sache. Wir wussten, dass wir gute Schützen haben. Und trotzdem war diese Angst da, es wieder nicht zu schaffen. Ich weiß noch, wie glücklich die Menschen nach dem letzten Elfmeter waren. Sogar Mario Zagalo …

… der Technische Direktor der Seleção…

… ist nach dem entscheidenden Elfmeter vor Freude über den Platz gesprungen.

Pelé, den größten brasilianischen Spieler, haben Sie nicht mehr spielen sehen, weil Sie zu jung sind. Sind Sie ihm wenigstens einmal begegnet?

Oft sogar. Ich habe für den FC Santos gespielt, den früheren Verein von Pelé. Er ist häufig da, sieht sich das Training an.

Es ist also gar nichts Besonderes, ihn zu treffen.

Doch, natürlich. Pelé ist eine Person, die wir alle bewundern. Ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen – das ist jedesmal eine Freude. Selbst wenn er nur Hallo sagt.

Die Frage, wer der größte Fußballer aller Zeiten ist, Pelé oder Maradona, erübrigt sich wohl.

Für die ganze Welt ist Pelé der beste Fußballer – außer für die Argentinier. Pelé ist der einzige Spieler, der es geschafft hat, für ein Fußballspiel einen Krieg zu stoppen. Für mich ist Pelé der Beste. Danach kommen Maradona und Ronaldo.

Haben Sie vor Ihrer Zeit als Profi mal ein Länderspiel im Stadion gesehen?

Das ist eine lustige Geschichte. Als ich 15 war, hat Brasilien in meiner Heimatstadt ein Freundschaftsspiel gegen Uruguay bestritten. Die Seleção hat in unserem Stadion trainiert. Zwei Spieler waren noch nicht da, weil ihr Flugzeug Verspätung hatte. Der brasilianische Verband hat meinen Verein gefragt, ob er zwei Spieler für das Training abstellen könne. Das waren ein Freund von mir und ich. Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für eine Riesenfreude war, mit diesen großartigen Spielern trainieren zu dürfen. Das hat mich geprägt.

Haben Sie bei diesem Training ein paar Ihrer Tricks gezeigt?

Dazu war der Respekt viel zu groß. Ich habe den Ball immer schnell abgespielt.

Wahrscheinlich wollten Sie schon als Kind Nationalspieler werden.

Als Kind habe ich nicht einmal davon geträumt. Wo ich aufgewachsen bin, hast du keine Chance, Nationalspieler zu werden. Da fehlt dir die nötige Anerkennung. Erst als ich in Sao Paulo gespielt habe, habe ich mir über die Nationalmannschaft Gedanken gemacht. Da hatte ich das Gefühl: Ja, meine Zeit wird kommen.

Und wie war es dann, als Sie zum ersten Mal nominiert worden sind?

Das kann man gar nicht beschreiben. Ich war erst seit ein paar Wochen in Berlin und habe noch im Hotel gewohnt. Unser Trainer Felipe Scolari hat mich abends um zehn angerufen und mir gesagt, dass ich für das Qualifikationsspiel gegen Paraguay nominiert bin. Ich habe sofort mit meinen Eltern telefoniert, mit meinen Geschwistern, mit Freunden. Die ganze Nacht war ich wach, weil ich immer an die Nationalmannschaft denken musste.

Jetzt spielt die Seleção in Berlin, in Ihrer Stadt, und Sie sind nicht dabei. Sehen Sie eine Chance, Carlos Alberto Parreira, den Nationaltrainer, zu treffen?

Einige Nationalspieler haben schon bei mir angerufen. Es kann sein, dass ich sie im Hotel besuchen werde. Aber ohne den Hintergedanken, dass ich dabei vielleicht dem Trainer über den Weg laufe und ihn fragen kann, warum ich nicht nominiert worden bin. Das mache ich ungern. Wenn ich bei Hertha gut spiele und Tore schieße, werde ich meine Chance bekommen. Nicht dadurch, dass ich mit dem Nationaltrainer rede.

Hat Ihnen mal jemand erklärt, warum Sie nach fünf Länderspielen in der Qualifikation für die WM 2002 nie mehr für die Seleção berufen worden sind?

Bis heute nicht. Das hat mich sehr traurig gemacht, weil ich damals in einer schwierigen Phase der Qualifikation geholfen habe. Gegen Paraguay habe ich ein Tor geschossen. Gegen Bolivien war ich dabei, gegen Argentinien, Chile und auch im letzten Spiel gegen Venezuela, als wir die Qualifikation geschafft haben. Alle haben damit gerechnet, dass ich für die WM berufen werde. Ich auch. Dass ich nicht auf der Liste stand, war eine große Enttäuschung. Aber inzwischen habe ich das hinter mir.

Der neue Nationaltrainer vertritt eher den europäischen Stil, bei dem der Erfolg wichtiger ist als die Kunst. Spielen Sie vielleicht zu brasilianisch für die brasilianische Nationalmannschaft?

Sie haben Recht. Wir spielen jetzt ein bisschen anders. Mit mehr Disziplin. Trotzdem haben wir immer noch Spaß am Spiel. Wir dribbeln gerne. Wir tunneln gerne. Wir lupfen gerne. Ronaldinho zum Beispiel dribbelt nach wie vor. Brasiliens Spieler spielen mit großer Verantwortung. Aber auch mit der Freiheit, ihren Stil beizubehalten.

Die Fragen stellte Stefan Hermanns.

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