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Sport: Das Herz zerbricht

Chelseas erneutes Aus im Champions-League-Halbfinale dürfte Jose Mourinhos Abschied bedeuten

Lange nach dem letzten Schrei brummte es allen noch gehörig in den Ohren, wie nach dem Besuch eines viel zu lauten Rockkonzerts. So eine Schallempfindungsstörung macht das Verlieren keineswegs angenehmer; man konnte verstehen, dass die Gäste vom FC Chelsea sich nach zwei Stunden Höllenkrach ein wenig nach Stille sehnten. Frank Lampard, Didier Drogba, Kapitän John Terry und der Rest der Mannschaft stapften nach dem Aus im Champions-League-Halbfinale wortlos in den Bus. Sie konnten über die Enttäuschung nicht sprechen, also mussten sie schweigen. Ihrem Trainer, José Mourinho, gelang das natürlich nicht.

Der Portugiese schien lange nach dem Schlusspfiff wild entschlossen, seine Mannschaft mit lauten, falschen Tönen wieder groß zu machen. „Die Geschichte erinnert sich nur an den Sieger“, sagte er in Anfields wohltuend schalldichtem Trophäensaal, „sie wird vergessen, dass wir in 90 und in 120 Minuten die bessere Mannschaft mit den besseren Chancen waren. Es gab zwei Teams hier, aber nur die Blauen wollten gewinnen“.

Man kann nur hoffen, dass er diesen revisionistischen Unsinn selber nicht glaubte. Das Geschrei der Liverpooler Fans hatte wohl sein Urteilsvermögen vorübergehend aus dem Gleichgewicht gebracht. Liverpools 5:1 nach Elfmeterschießen war glücklich, aber verdient: Liverpool war zwar nicht sehr gut, aber klar besser als die Londoner. Als Liverpools Trainer Rafael Benitez mit der originellen Sichtweise seines Intimfeindes konfrontiert wurde, dachte er an einen Scherz. „Hat er das wirklich gesagt?“, fragte der Spanier verwundert.

Herzzerbrechend nannte José Mourinho sein zweites Scheitern im Champions-League-Halbfinale in seiner dritten Saison in London. Was seinem in der Liga so dominanten Team in Europa fehlen würde? „Sind Sie Journalist, Dichter oder Philosoph?“ fragte Mourinho zurück, was nur bedeuten konnte, dass er keine Ahnung hatte. Das zweite Scheitern gegen Benitez war für ihn nicht zu verkraften. Liverpool hatte Chelsea mit seinen eigenen Waffen geschlagen. In der „Nacht der langen Bälle“, wie die „Daily Mail“ schrieb, hatten die Hausherren schlichtweg mehr Kraft, Willen und Konzentration gezeigt. Liverpool hatte die besseren Torgelegenheiten, die besseren Elfmeterschützen, den besseren Torwart in Jose Reina. Und laut Kapitän Steven Gerrard auch eine gehörige Wut im Bauch, weil Chelseas Trainer sie als „kleinen Verein“ belächelt hatte.

All diese Faktoren reichten schon gegen ein Chelsea, das in Abwesenheit des Eigentümers Roman Abramowitsch bestätigte: am Ende des Tages stehen elf gegen elf auf dem Rasen, und die schönsten, größten Ölquellen der Welt helfen nichts, wenn der Mannschaft auf der Hatz nach allen Titeln im Frühling schlichtweg die Luft ausgeht. Zufall ist das nicht. Um Zersetzungstendenzen wie bei den Stars von Real Madrid vorzubeugen, hat Mourinho auf einem vergleichsweise kleinen Kader bestanden. Die Rechnung war allerdings ohne Verletzungen und Querelen im Verein gemacht worden. Das Kompetenzgerangel war fatal: Anstatt den gegen Mourinhos Willen gekauften Ex-Hamburger Khalid Boulahrouz in die Innenverteidigung zu stellen, verschenkte Mourinho erneut Michael Essien in der Abwehr. Chelseas bester Spieler fehlte im Mittelfeld, wo Lampard nicht auffiel.

Es gibt Menschen und Mannschaften, die in Niederlagen ihre eigene Größe entdecken. José Mourinho und sein Chelsea sind in Liverpool ein ganzes Stück kleiner geworden. „Mourinhos Ära ist zu Ende“, glaubt der „Guardian“. In Zukunft werden sich noch mehr Menschen in seine Belange einmischen. So bekommt er einen israelischen Sportdirektor vor die Nase gesetzt – falls er überhaupt in London bleibt.

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