zum Hauptinhalt
Imposante Bühne. Im Kuppelsaal des Olympiageländes finden die Fechtwettbewerbe der Makkabiade statt.

© AFP

Makkabiade in Berlin: Das jüdische Sportfest muss sich neu erfinden

Makkabiade, das war von Anfang an mehr Politik als Sport. Doch die junge Generation will bei aller Symbolkraft leichtere Spiele. Ein Sportfest als politisches Instrument passt nicht mehr in die Zeit.

Die Sportler von Makkabi Deutschland sitzen auf der Tribüne der Waldbühne und stöhnen. Sie haben keine Lust mehr. Es ist spät geworden, kalt ist es auch, und es stehen noch viele Redner auf dem Programm der Eröffnungsfeier, die alle dasselbe sagen werden. Dass diese jüdischen Sportspiele, die europäischen Makkabiade, etwas ganz Besonderes sind. Weil sie in Deutschland stattfinden, wo der Völkermord an den Juden geplant und auch durchgeführt wurde. Und weil sie auf dem Olympiagelände in Berlin ausgetragen werden, wo die Nationalsozialisten bis auf wenige Ausnahmen den deutschen Juden die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1936 verwehrten.

Die Athleten haben das schon am Tag zuvor gehört. Alon Meyer, der Präsident des jüdischen Sportverbandes in Deutschland, hatte im Hotel Estrel in Neukölln zu ihnen gesprochen. Meyer kann gut reden und man merkt ihm an, dass er sich dessen bewusst ist. Wenn ihm eine Botschaft wichtig ist, dann schlägt er eine schrille Tonlage an. „Ausgerechnet hier in Berlin“, quietscht es dann aus ihm heraus, „es hätte keinen symbolträchtigeren Ort geben können.“

Es ist zweifellos ein bedeutungsschweres Sportfest. Während der Sport sonst häufig das Politische von sich weist, verhält es sich mit der Makkabiade genau andersherum. Die gesellschaftspolitische Funktion der jüdischen Sportspiele ist noch nie bestritten worden, sie wurde und wird vielmehr hervorgehoben. Die Makkabiade ist ein Werkzeug, mit dessen Hilfe erinnert wird an das, was war. Aber auch an das, was ist und was noch kommen soll. Die Makkabiade soll einen Teil zur jüdischen Identitätsbildung beitragen.

Der sportliche Wettbewerb wird von dieser Bedeutungslast ein wenig erdrückt. 2300 Athleten aus 36 Nationen messen sich in 19 Sportarten in diesen Tagen in Berlin. Doch spielen sie die Nebenrolle. Wer das Deutsche Sportforum auf dem Olympiagelände besucht, stößt auf viele Athleten und wenige Besucher. Es ist eine recht exklusive Veranstaltung, zumal nur jüdische Sportler an den Wettbewerben teilnehmen dürfen. Dabei sind die Entscheidungen für Zuschauer kostenfrei und auch der eine oder andere Spitzenathlet befindet sich neben dem Gros an Breitensportlern im Teilnehmerfeld. Sportler wie der Schach-Großmeister Georg Meier oder die deutsche Fecht-Nachwuchshoffnung Mark Perelmann etwa.

Sportler stöhnen über Redner, die alle dasselbe sagen

Auf dem Gelände bewegt sich unter der Woche auch Alon Meyer. Er scherzt mit den Teilnehmern von Makkabi Deutschland, erkundigt sich telefonisch nach dem Befinden eines verletzten medizinischen Betreuers und quatscht mit einem Athleten über neue Trainingsanzüge. Meyer ist unentwegt am Machen und Organisieren. Der Mann ist zum Gesicht dieser Spiele geworden. Meyer ist 41 Jahre alt und versteht sich als Vertreter eines selbstbewussten und betont deutschen Judentums.

Das tut auch der 34-jährige Oren Osterer, der Organisationschef der europäischen Makkabiade in Berlin. Osterer sagte kurz vor den Spielen einen Satz, der in Teilen der jüdischen Gemeinschaft nicht gerne gehört wurde: „Das sollen, überspitzt formuliert, keine Holocaust-Gedenkspiele werden.“ Es war der Versuch, den Sport in den Mittelpunkt zu rücken. Er hatte wenig Aussicht auf Erfolg.

Die ältere jüdische Gemeinschaft pocht auf die Symbolkraft solcher Veranstaltungen. Schon im Vorfeld hatte es Knatsch zwischen den Generationen in der Vergabefrage gegeben. Die Makkabiade in Berlin, auf dem Olympiagelände? Das war für einige Ältere nur schwer vorstellbar. „Natürlich gab es auch Skepsis“, sagt Meyer. „So lange Menschen mit der KZ-Nummer auf dem Unterarm leben, ist das für manche zu früh.“

Meyer und Osterer versuchen den Spagat hinzubekommen zwischen heiteren und nachdenklichen Spielen. Doch das ist schwierig, an einem Ort wie in Berlin noch schwieriger als anderswo. Und eben weil die Symbolkraft dieser Spiele in Berlin so groß ist, waren die beiden enttäuscht, dass sie nicht das erhoffte Budget für die European Maccabi Games einsammeln konnten.

Deutsche Firmen ließen Veranstalter im Stich

Die deutsche Wirtschaft ließ die Veranstalter im Stich. „Wir haben uns da viel mehr erwartet. Da kam gar nichts. Das hat mich traurig gemacht“, sagt Meyer. Statt der eingeplanten sieben Millionen Euro konnten nur rund fünf Millionen Euro aufgetrieben werden. Deutsche Unternehmen beteiligten sich bis auf wenige Ausnahmen lediglich an Sachsponsoring wie Rucksäcken oder anderer Ausrüstung. „Es werden nette Spiele. Aber nicht das, was wir uns vorgestellt haben“, sagte Osterer dem Deutschlandfunk kurz vor den Spielen.

Imposante Bühne. Im Kuppelsaal des Olympiageländes finden die Fechtwettbewerbe der Makkabiade statt.

© AFP/Schwarz

Weil das erhoffte Geld ausblieb, bezahlen viele Athleten ihre Teilnahme an der Makkabiade selbst. Um die 1000 Euro kostet es für jene, die keine Zuschüsse benötigen. Sportler wie Leo Weiss und seine Tochter Leah zahlen die Beiträge gerne, um dabei sein zu können. Leo Weiss ist 58 Jahre alt und Makkabianer durch und durch. 1973 bestritt er seine ersten jüdischen Sportspiele im Tischtennis. Seitdem ist er immer dabei. Sein Vater war gebürtiger Wiener und musste im Dritten Reich nach Palästina fliehen. Dort schloss er sich einer Untergrundarmee an, ehe er zurück nach Österreich kam und im Jahr 1959 schließlich nach Frankfurt am Main weiterzog.

Leo Weiss hat, wie viele Teilnehmer, das an Juden begangene Unrecht durch die Familiengeschichte unmittelbar miterlebt. Deswegen findet er, dass der Respekt vor der Geschichte geboten sei. Die jüngere Generation sei eine Spaßgeneration. Er blickt seine Tochter an und sagt: „Das heißt aber nicht, dass sie kein Geschichtsverständnis hat.“ Leah sieht das ähnlich. Zwar sind auch ihr die offiziellen Reden bei den European Maccabi Games, wie die europäische Makkabiade offiziell heißt, zu viel. Die 21-Jährige sagt aber auch: „Die Botschaft dieser Spiele ist wichtig.“

Die Alten sehen die Jungen als Spaßgeneration

Und die Botschaft dieser Spiele lautet: Wir sind da, hier in Deutschland, wo man unsere Vorfahren verfolgt, vertrieben und getötet hat. Aber warum eigentlich wird diese Botschaft durch die Makkabiade transportiert?

Daniel Wildmann ist ein renommierter Historiker, der sich viel mit der Geschichte und der Bedeutung des Sports im Judentum beschäftigt hat. Wildmann erzählt, dass die Makkabiade ihre Wurzeln in der Gründung jüdischer Turnvereine Ende des 19. Jahrhunderts im Kaiserreich hatte. Diese Vereine waren wichtig für deutsche Juden, weil die Mitgliedschaft in einem Verein wichtig für das gesellschaftlichen Leben war. Und im Kaiserreich war Juden der Zugang zu manchen Vereinen versperrt. Die Lösung war, eigene Vereine zu gründen. Es war die frühe Ausgrenzung von Juden im Sport, die später auch in die Makkabiade-Bewegung mündete.

Wildmann glaubt, dass die aufgeladene gesellschaftspolitische Bedeutung der jüdischen Sportspiele heutzutage kaum gerechtfertigt ist. „Ein politisches Instrument, um drängende gesellschaftliche Fragen auf den Tisch zu bringen – wie die jüdische Turnbewegung in der Kaiserzeit – ist die Makkabiade sicherlich nicht mehr“, sagt er und ergänzt: „Für die Jugendlichen an der Makkabiade sind die Spiele vor allem auch ein inner-jüdisches soziales Event. Und dies ist sicherlich auch keine schlechte Sache. Vielleicht ist es aber an der Zeit, dass sich die Makkabiade neu erfindet.“

Wie genau eine neu erfundene Makkabiade aussehen könnte, darauf hat auch Daniel Wildmann keine Antwort. Der Wunsch liegt nahe, dass sie sportlicher, dass sie leichter wird. Doch ist dies der Wunsch der jüngeren jüdischen Generation. Die ältere kann und will nicht vergessen, was ihr angetan worden ist. Deswegen soll das Vergangene der Gegenwart immer beiwohnen. Der Sport soll hierbei keine Ausnahme bilden. Schließlich gehört er zum Leben dazu.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false