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Sport: Das Kulturspiel

Erfolg im Tischtennis ist ein nationaler Auftrag in China – schon in der Schule

Andere Länder, andere Sitten: Auch im Sport gilt dieser Satz. Wir beschreiben heute zum letzten Mal in unserer Serie, welche Sportarten Nationen prägen und warum das so ist.

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Die Ju Yi Grundschule liegt in einer ruhigen Seitenstraße in Schanghai, ein bisschen abseits des großen Gebirges aus Hochhäusern. Ein kleiner Laden neben dem Schultor mit Schlägern, Bällen und Trikots im Schaufenster ist der auffälligste Hinweis darauf, dass die Schüler von Ju Yi in Chinas populärstem Kunsthandwerk ausgebildet werden. Sie lernen das Tischtennisspiel.

Etwa 2000 Schulen gibt es in China, die sich um Tischtennis kümmern, und die Ju Yi Grundschule ist eine der besten von ihnen. Die Anerkennung dafür bekommt sie zum Beispiel an diesem Tag. Dreißig ehemalige Weltmeister steigen aus einem Bus, um sich die Schule anzusehen. Einige von ihnen haben hier früher selbst trainiert, He Zhili zum Beispiel. Sie wurde 1987 in Neu-Delhi Weltmeisterin im Damen-Einzel. Sie laufen vorbei an Mädchen und Jungen in der Schuluniform aus weißen Hemden, schwarzen Hosen und grünen Halstüchern, die mit Trommeln und Trompeten eine Fanfare spielen. Nach einigen Ansprachen im Schulhof schauen die Weltmeister von einst ihren möglichen Nachfolgern beim Training zu.

Eine Schule wie Ju Yi ist im Grunde ein Institut zur Bewahrung des Volkseigentums. Denn das ist Tischtennis für die Chinesen. Mögen Fußball und Basketball durch die Öffnung des chinesischen Marktes und die aufkommende Medienvielfalt noch so populär geworden sein – Tischtennis gehört zur Kultur der Chinesen.

Auch die Kommunistische Partei Chinas ist ein Förderer dieses Sports, weil er für jedermann geeignet ist und damit gut zu ihrer Ideologie passt. Etwa 50 Millionen Menschen sollen in China regelmäßig Tischtennis spielen. Der stellvertretende Sportminister Yang Shuan erzählt: „In den Provinzen treffen sich die Arbeiter in der Mittagspause zum gemeinsamen Spielen.“ Außerdem gibt es öffentliche Hallen, in denen man sich zum Spielen verabreden kann.

Ein Vereinssystem für den Breitensport gibt es jedoch nicht, China ist keine Freizeitgesellschaft, und deshalb ist Tischtennis mehr noch ein Nationalsport als ein Volkssport. Im Tischtennis gewinnen die Chinesen immer noch die meisten internationalen Titel, 2008 wollen die besten chinesischen Spieler ihre Karriere mit dem Olympiasieg in Peking krönen. Wenn Ke Yuan Xin, der Schulleiter von Ju Yi, gefragt wird, was er für seine wichtigste Aufgabe halte, antwortet er: „Nachwuchs für China ausbilden.“ Aus seiner Antwort klingt die Hochachtung vor einem nationalen Auftrag heraus. Ke Yuan Xin ist ein kleiner Mann mit der Ausstrahlung eines Gelehrten. 62 Jahre ist er jetzt alt, seit 41 Jahren bringt er Kindern das Spielen bei. In einer Broschüre über die Schule ist er mit drei Orden an der Brust abgebildet und außerdem mit vielen erfolgreichen Spielern.

Was den Chinesen Tischtennis bedeutet, davon können auch die Schüler einiges erzählen. Von den 300 der Schule erhalten 70 eine Ausbildung in Tischtennis. Die zehn Jahre alte Xu Zi Lin etwa sagt: „Ich trainiere jeden Tag vier Stunden, zwei am Vormittag und zwei am Nachmittag.“ Dazu kommen noch Einheiten mit Krafttraining oder auch mal ein Fußballspiel. Macht ihr diese Anstrengung nichts aus? „Nein“, sagt sie. Wenn Xu Zi Lin einmal ein Mädchen in ihrem Alter aus Deutschland treffen würde, dann würde sie zuerst fragen: „Spielst du mit mir Tischtennis?“

Ihre Mentalität, aber auch das hohe Ansehen und die Tradition des Sports erleichtern den Schülern wohl den Verzicht auf vieles. Wer nicht aus Schanghai kommt und im Internat wohnt, sieht seine Eltern meist nur viermal im Jahr. Die Jungen leben zu acht in einem Zimmer. Dafür können sie sich genauso Videospiele leisten wie Gleichaltrige aus Westeuropa. Es ist ein Privileg, eine der besten Tischtennisschulen des Landes zu besuchen und damit eine der besten der Welt.

Xu Zi Lin trainiert im zweiten von drei Stockwerken in der Schule. Je höher, desto älter sind die Schüler und desto besser spielen sie. Die ältesten von ihnen sind elf Jahre alt. Sie trainieren in dem Raum, in dem auch die Vitrinen mit Pokalen stehen, und ihre Fähigkeiten reichen aus, um in Deutschland jetzt schon in der Regionalliga zu spielen. Noch ein paar Jahre, und sie könnten auch Spiele in der Bundesliga gewinnen.

Wegen ihres immensen Trainingsumfangs sind die Chinesen schon sehr früh sehr gut, doch wenn sie Mitte zwanzig sind, neigt sich ihre Karriere meist dem Ende entgegen. Wer das Zeug zu einem Meister hat, erkennt Schulleiter Ke Yuan Xin jedoch nicht nur an der Technik: „Es kommt auch darauf an, welche Antworten die Kinder geben und wie sie ihren Tag verbringen.“ Für die Chinesen ist Tischtennis ein ganzheitlicher Sport.

Bisher erschienen in unserer Serie: Thaiboxen in Thailand (12.6.), Pétanque in Frankreich (14.6.), Badminton in Indonesien (18.6.), Hurling in Irland (20.6.), Eisschnelllaufen in den Niederlanden (24.6.), Football in den USA (26.6.), Laufen in Kenia (10.7.), Stockkampf in Südafrika (15.7.), Glíma-Ringkampf in Island (24.7.) und Cricket auf Barbados (20.8.).

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