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Sport: Das Zahlenspiel

Hertha droht trotz Rekordschulden keine Insolvenz – denn Vereine haben Vorteile gegenüber Firmen

Berlin - Das nächste finanzielle Risiko war am Samstag zu begutachten. Yildiray Bastürk wurde nach einer Verletzungspause bei der 1:3-Niederlage in Bremen eingewechselt. Der Vertrag des Spielmachers läuft aus; der 27-Jährige könnte Hertha BSC zum Saisonende ablösefrei verlassen. Manager Dieter Hoeneß sprach auf der Mitgliederversammlung von einem „richtigen Kaliber“, das notfalls für Bastürk kommen würde. Die Mitglieder jubelten, dabei hatten sie gerade ernüchternde Zahlen bekommen: 16,8 Millionen Euro Rekordverlust, Rekordschulden von 55,4 Millionen.

Andere mittelständische Firmen müssten in solch einer Lage die Insolvenz fürchten. Doch Fußballunternehmen wie Hertha haben Vorteile gegenüber anderen Firmen, auch wenn sie selbst Kapitalgesellschaften sind.

Viele Banken räumen Vereinen großzügigere Kreditrahmen ein als anderen Firmen. Und der ist für die Insolvenz entscheidend. „Klubs stehen in der Aufmerksamkeit und haben es deswegen leichter, an Geld zu kommen als normale Unternehmen“, sagt Joachim Gassen, Professor an der Humboldt-Universität. Er beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Bilanzierung von Fußballunternehmen. Alleine um das eigene Image zu schützen, werde eine Bank einem Klub nicht so schnell den Geldhahn zudrehen. Gassens Antrittsvorlesung im Juni hieß: „Et hätt noch immer joot jejange: Fußball, Bilanzen und Kapitalmarkt.“ Im Hörsaal saß auch Ingo Schiller, Finanzgeschäftsführer von Hertha BSC.

Auch Hertha kann mit der Großzügigkeit der Banken kalkulieren. Zwar erkennt Gassen zum 30. Juni „alleine für die kurzfristigen Zahlungen eine Lücke zwischen Vermögen und kurzfristigen Verbindlichkeiten von 2,5 Millionen Euro“. Ingo Schiller verweist aber auf eine „große Kreditlinie“, die „absolut ausreichend“ sei. Sein Kollege in der Geschäftsführung, Dieter Hoeneß, hält den Verbindlichkeiten gern den Markenwert von Hertha BSC entgegen, den er mit bis zu 150 Millionen Euro beziffert. „Es wird sich immer jemand finden, der als Retter einspringt“, glaubt Gassen. „Ein Verein wie Hertha geht nicht pleite.“

Dabei ist die Lizenzspielerabteilung von Hertha BSC eine Kapitalgesellschaft: „Kommanditgesellschaft mit beschränkter Haftung auf Aktien“ lautet das Geschöpf, bei dem der Verein immer noch der Anteilseigner ist. Und diese Gesellschaft verbuchte im abgelaufenen Geschäftsjahr eine Neuverschuldung von 11 Millionen Euro. Zu den 55,4 Millionen Euro Verbindlichkeiten addieren sich 2,4 Millionen Euro Rückstellungen für ungewisse Zahlungen, etwa für die Berufsgenossenschaft der Spieler. Schiller sieht die Zahlen als ungünstige „Momentaufnahme“, weil zum Stichtag zwei verspätete Zahlungen in Höhe von 6,8 Millionen Euro gefehlt hätten. Wer zu spät zahlte, sagt der Klub nicht. Ohne ein umstrittenes Instrument sähen die Zahlen noch kritischer aus.

Dieses Instrument begünstigt – ganz legal – Fußballunternehmen. Sie können Tochtergesellschaften gründen und müssen jeweils nur Einzelbilanzen für die Gesellschaften vorlegen. Im Dezember 2004 hatte der Klub die Rechte GmbH & Co. KG gegründet. An diese Tochter hat der Klub Vermarktungsrechte für Logen abgetreten. Den Wert beziffert die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Tober & Co auf 28 Millionen Euro. Das Recht gilt ab 2008, doch der Wert ist längst in der Bilanz der Hertha BSC KGaA verbucht.

„In einem Konzernabschluss, wie ihn Kapitalgesellschaften eigentlich zu erstellen haben, würde die bilanzielle Überschuldung noch wesentlich dramatischer ausfallen“, sagt Joachim Gassen. Der Vermögenswert hätte zum Bilanzstichtag ohne die 28 Millionen nur 13 Millionen Euro betragen. Kritische Hertha-Mitglieder hatten in der Vergangenheit mehr Transparenz angemahnt. Gassen fordert von der Deutschen Fußball-Liga (DFL), dass Vereine einen Konzernabschluss bei der Lizenzierung vorlegen müssen: „Der Einzelabschluss einer Konzernmutter erlaubt keinen Einblick in die Lage des Gesamtkonzerns.“ Die DFL gab keine Stellungnahme dazu ab.

Finanzgeschäftsführer Ingo Schiller zeigte sich zuletzt wieder optimistisch. Zum 31. Oktober habe der Stand der Verbindlichkeiten nur noch 45,2 Millionen Euro betragen. Bis zum Jahre 2010 will die KGaA die Bankverbindlichkeiten halbiert haben. „Wir sind auf dem Weg“, sagt Schiller auf Nachfrage. Er nennt mit dem Hauptsponsorvertrag, dem Ausstieg aus der Stadionbetreibergesellschaft, dem Stadionmietvertrag und den Bankverträgen die wichtigsten Eckpunkte.

Die Suche nach einem strategischen Partner bleibt ein Plan. Hertha BSC braucht Eigenkapital. Fußballunternehmen sind chronisch knapp an Eigenkapital, die Muttervereine haben meist keines besessen. Hier kommt dem Klub die Lizenzierungsordnung der DFL in die Quere. Denn ein Großinvestor will in der Regel über die Verwendung seines Geldes mitbestimmen. Laut DFL muss die Mehrheit einer Kapitalgesellschaft aber in Vereinshänden bleiben. Der Mutterverein besitzt darüber hinaus allein das Recht, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Anders als in England haben darum deutsche Fußballfirmen Probleme, einen Investor zu finden.

Stefan Tillmann

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