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Olympische Sommerspiele 1968 in Mexiko

© dpa

DDR vs. BRD: Olympia in Mexiko und der deutsch-deutsche Kleinkrieg

Olympia 1968 bleibt bis heute vor allem wegen der Proteste schwarzer US-Athleten in Erinnerung – doch die Spiele vor 40 Jahren stehen auch für Umwälzungen im Verhältnis zwischen Bundesrepublik und DDR.

Vom Fallschirmspringen bis zum Tischtennis-Nachwuchsturnier – ein deutsch-deutscher Kleinkrieg über Symbole und Repräsentation beeinträchtigte Sportereignisse überall auf der Welt schon seit den fünfziger Jahren. Olympia aber war der Hauptkampfplatz der beiden deutschen Staaten. Vor den Spielen von Mexiko- Stadt, die an diesem Sonntag vor 40 Jahren begannen, hatte es bei den Sommerspielen 1956, 1960 und 1964 jeweils eine gesamtdeutsche Mannschaft gegeben. 1952 war erstmals nach dem Krieg wieder ein deutsches Team zugelassen worden – allerdings nur aus der Bundesrepublik. Die DDR setzte sich erst nach und nach mit ihrem Anspruch auf Anerkennung beim Internationalen Olympischen Komitee durch. In Mexiko marschierten dann zur Eröffnungsfeier am 12. Oktober 1968 zwei getrennte Teams ein – allerdings jeweils hinter einer schwarz-rot-goldenen Fahne mit den fünf olympischen Ringen darauf. Als Hymne erklang für beide Mannschaften Beethoven, die „Ode an die Freude“.

Die Spiele von Mexiko sind vor allem wegen des Protests schwarzer US-Athleten im kollektiven Gedächtnis haften geblieben. Aber sie waren auch Spiele der Umwälzungen im deutsch-deutschen Verhältnis – immer mit Blick auf München 1972, worauf beide deutschen Nationalen Olympischen Komitees mit ihrer Verhandlungstaktik hinarbeiteten. Bei der IOC-Session während der Spiele von 1968 wurde das „NOK der DDR“ (zuvor seit 1955 „NOK für Ostdeutschland“) erstmals als solches anerkannt. Und es wurde festgelegt, dass die DDR in München erstmals mit einem eigenen, vollständig unabhängigen Team mit DDR-Flagge antreten durfte.

Kampf gegen DDR-Insignien

Dem waren Jahre der Fehden über DDR-Insignien bei Sportfesten rund um die Erde vorausgegangen. Doch es war eine Sache für die Regierung der Bundesrepublik, die Organisatoren internationaler Sportfeste zu überreden, offizielle DDR-Symbole aus den Stadien zu verbannen. Nun aber mit der Aussicht konfrontiert zu sein, beim eigenen großen nationalen Schauereignis, den Spielen von München 1972, nur eine neutrale olympisch-deutsche Fahne statt der Flagge der Bundesrepublik zeigen zu dürfen, war etwas ganz anderes. Das Außenministerium zum Beispiel hielt dies für „eine Art nationaler Selbstaufgabe“. Solch ein Szenario, so die Gedankenspiele, könnte „weitreichende psychologische Konsequenzen“ für die Nation haben. Und hierin lag das Dilemma.

Willi Daume, der pragmatische Chef des westdeutschen NOK, war ohnehin längst mürbe geworden von den zähen Kontroversen um die gesamtdeutsche Mannschaft. Sie hatte zuletzt 14 Verhandlungrunden zwischen den beiden NOKs, 96 Konferenzen zwischen Sportverbänden und 60 Ausscheidungsturniere zwischen Ost und West notwendig gemacht.

In keinem anderen Bereich des öffentlichen Lebens waren Verantwortliche so sehr mit dem unabwendbaren Fakt der deutschen Teilung und den damit verbundenen Grabenkämpfen zwischen beiden Regierungen konfrontiert wie im olympischen Sport. Es ist kaum überraschend, dass der Pragmatiker Daume in seinen Reden gern Karl Jaspers zitierte. Der (west-)deutsche Philosoph hatte ein Jahr vor dem Bau der Mauer Aufsehen in den Medien der Bundesrepublik erregt, als er sagte, die Deutschen sollten ihre unrealistischen Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung aufgeben.

Das ungeliebte gesamtdeutsche Team

Zudem war die gesamtdeutsche Mannschaft in der Bundesrepublik unpopulär. Eine eigene DDR-Mannschaft galt für die Bundesbürger als das kleinere Übel. Bei einer bundesweiten Umfrage gaben 67 Prozent der Befragten an, dass es der DDR-Mannschaft erlaubt werden solle, in München ihre eigene Flagge zu zeigen und ihre eigene Hymne zu singen.

Ideeller Beistand für die Position der Bundesregierung kam von ungewöhnlicher Seite, wenn auch mit ganz anderer Stoßrichtung. An der Spitze des IOC stand ein Mann der ganz großen olympischen Visionen. Der Amerikaner Avery Brundage glaubte an den unpolitischen Sport, oder noch mehr: einen Sport, der politische Gegensätze überwinden kann. Ihn trieben grandiose Pläne um, nach denen der Sport die deutsche Wiedervereinigung locker herbeiführen könne. Als ihm zum Beispiel die illusorische Idee olympischer Spiele in Berlin 1968 angetragen wurde, sonnte er sich in weltpolitischem Ehrgeiz: „Das wäre wirklich sensationell und könnte mehr für den Weltfrieden erreichen als Kennedy und Chruschtschow zusammengenommen.“ Die Spiele in Berlin auszurichten, „würde das Ende der Mauer bedeuten und einen weiteren großartigen Sieg für den Sport“. Ein andermal befand Brundage, dass die Gründung eines gesamtdeutschen Teams und dessen langes Bestehen ein großer Sieg über die Politik sei, der dramatisch die Kraft der olympischen Bewegung verdeutliche. „Ich bedaure, dass wir umsonst warten mussten, dass die Politiker diesem glänzenden Beispiel folgten.“

Die Sportverbände beugen sich nicht

Die Position der Bundesregierung aber wurde immer weniger haltbar – zumal sich die Sportverbände ihrer Vorgaben nicht widerstandslos beugten. Schon bei den Leichtathletik-Europameisterschaften 1966 in Budapest war es zur Konfrontation gekommen. Entgegen den Versicherungen des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF wurden Wettkampf-Sieger aus der DDR mit vollen Insignien ihres Staates geehrt. Die Aufforderung zum Boykott lehnte das Team der Bundesrepublik ab, die Regierung musste machtlos von der Seitenlinie aus zuschauen.

Das Bundeskabinett sorgte sich, dass solche Ereignisse Fakten schaffen und die Bundesrepublik dazu zwingen könnten, die DDR-Flagge in München akzeptieren zu müssen. Zurecht, wie sich dann 1968 in Mexiko herausstellen sollte.

Die Spiele von München zurückgeben?

Aus Kabinettsprotokollen aus jener Zeit geht hervor, das sogar erwogen worden war, die Spiele sofort zurückzugeben – unter dem Vorwand finanzieller Probleme. Oder zumindest erst einmal die Finanzierung für München auszusetzen. Und sogar die Idee wurde geäußert, sportliche Finanzierung künftig davon abhängig zu machen, dass die Empfänger „lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik“ unterstützten. Gerüchte, das IOC habe bereits entschieden, die Spiele von 1972 nach Stockholm zu vergeben, machten die Runde.

Die DDR-Führung aber jubilierte und feierte den IOC-Beschluss über ein künftiges eigenes DDR-Team als „Ausdruck der Anerkennung der bestehenden Realitäten“. Dies sei „die endgültige Niederlage der auf der Alleinvertretungsanmaßung beruhenden Politik der westdeutschen Bundesrepublik in den internationalen Sportbeziehungen“, hieß es weiter. Und noch mehr sei das: „Ein Sieg der olympischen Idee.“

Der Autor leitet das germanistische Institut der Universität Cambridge. Der Text ist ein Auszug aus seinem Buch „The 1972 Munich Olympics and the Making of Modern Germany“, das in Kürze erscheint. Aus dem Englischen übersetzt von Markus Hesselmann.

Christopher Young

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