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Sport: Dehnen für Deutschland

Mark Verstegen, amerikanischer Fitness-Trainer der Nationalmannschaft, fühlt sich der nationalen Mission WM 2006 verpflichtet

„Je weniger Beine, desto besser“, sagt Mark Verstegen. Man kann einiges lernen über den Mann, in dessen Händen die Verantwortung über die Fitness der deutschen Nationalelf liegt, wenn er zu seiner Ernährung gefragt wird. Er antwortet mit einer griffigen Formel, und es scheint, als wolle er zu ihrer Erläuterung seinen ganzen Körper benutzen. Er unterstreicht jeden seiner kurzen Sätze mit schlichter, aber energischer Geste: „Am besten ist Fisch, der hat keine Beine. Dann Geflügel: zwei Beine. Erst dann Rind und Schweinefleisch: vier Beine.“ Er weitet die stahlblauen Augen und schaut seine Gesprächspartner mit fragendem Lächeln an. Verstanden? Great!

Mark Verstegen, Amerikaner im Format eines rustikalen Einbauschranks, antwortet oft mit griffigen Formeln, es ist ihm wichtig, verstanden zu werden. Er klingt dabei nicht besserwisserisch, er will überzeugen. Als Verstegen im vergangenen September erstmals zur Nationalmannschaft stieß, mussten indes erst einmal eine ganze Menge Leute von ihm überzeugt werden. Es war die Zeit des allgemeinen Misstrauens, als sich die Modernisierer der Klinsmannschen Wende über den DFB hermachten wie eine Abordnung von McKinsey über eine marode Tuchfabrik. „Fitness-Sheriffs“ war eine der gängigen, durchaus abwertend gemeinten Etiketten, die dem Mann aus Arizona und seinen Assistenten Shad Forsythe und Craig Friedman angeheftet wurden, als sie die zu Beginn recht verdutzten Nationalspieler im Entengang über den Platz watscheln ließen. Auch bei Dieter Hoeneß war das Frühwarnsystem angesprungen. Der Manager von Hertha BSC wähnte die Fittnestrainer offenbar als zentralen Bestandteil eines mysteriösen Komplotts und warnte eilig vor einer „Amerikanisierung des DFB“. Als Verstegen seine Übungen in dieser Woche in München vorführte, waren sie längst ein Stück Normalität.

Genau wie seine Formeln sieht Verstegen seine Hinweise als Angebote, nicht als Doktrin. Und doch schwingt in seinen Sätzen unterschwellig immer eine simple Botschaft mit: Höre auf uns, und du hast Erfolg.

Sein Glaube an das Machbare, an die eigenen Fähigkeiten und deren Optimierung ist so etwas wie der Refrain zu Mark Verstegens Lebensmelodie. In der High School stand er in den Auswahlmannschaften im Football, Basketball und Leichtathletik, für die Uni erhielt er ein Football-Stipendium. Als eine Verletzung seine Karriere beendete, begann er, mit anderen Sportlern zu arbeiten und gründete später die Firma Athletes Performance (AP), eine Art Dienstleistungsunternehmen für Leistungssportler. „Ich sehe mich als Diener der Athleten“, sagt Verstegen, „mein Traum ist, möglichst viele zu ihrer Bestleistung zu bringen.“ Das klingt sehr pathetisch und ein bisschen gewollt bescheiden, aber irgendwie nimmt man ihm das ab. Er kann Menschen anstecken mit seiner Zuversicht.

Der Mann aus dem Nordwesten der USA ist ein Pionier auf seinem Gebiet, und er hat viele prominente Anhänger gefunden: populäre Größen des US-Sports, auch Ski-, Tennis- oder Leichtathletik-Stars. Michael Stich nahm bereits Mitte der Neunzigerjahre seine Dienste in Anspruch. Zuletzt ließ sich Brett Favre, dreimaliger Footballer des Jahres und ein akribischer Arbeiter am eigenen Körper, ein persönliches Programm von Verstegens Leuten erstellen. Danach berichtete Favre zufrieden von Muskelkater in Muskeln, von denen er bis dahin nicht gewusst habe, dass es sie gibt.

Mittlerweile hört man ähnliches von deutschen Nationalspielern. Der Schalker Gerald Asamoah sagt: „Verstegen hat uns Dinge beigebracht, die wir im normalen Fußballtraining nie so richtig lernen, zum Beispiel spezielle Dehnübungen oder Sprinttechniken.“ DFB-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt schwärmt von „der modernen, qualitativ sehr hochwertigen Arbeit. Besonders effektiv sind sie darin, Spieler schnell zu machen.“ Bei jedem einzelnen werden die Trainingskomponenten Beweglichkeit, Stabilität und Schnelligkeit anders dosiert, ein an der Weltmeisterschaft 2006 ausgerichteter Zeitplan legt fest, wann welche Verbesserungen eintreten sollen. Der bisherige Fortschritt sei sehr zufriedenstellend, sagt Mark Verstegen, aber es liege noch ein harter Weg vor ihm und den deutschen Spielern.

Verstegen fühlt sich verpflichtet, Teil des deutschen Nationalprojekts WM 2006 zu sein, sei ihm eine große Ehre. Nicht zuletzt deshalb, weil er großen Gefallen an der Arbeitsweise der neuen Kollegen findet: Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Gründlichkeit.

Seine Augen leuchten, wenn er davon spricht. Vielleicht passt es deswegen bislang so gut in der Verbindung zwischen ihm und dem DFB: Manchmal könnte man Mark Verstegen glatt für einen Deutschen halten. Wäre da nicht diese unverschämt bedingungslose Zuversicht.

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