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FC Bayern München: Dem Triple so nah

Nach dem Finaleinzug in der Champions League träumt der FC Bayern vom historischen Triumph – nur einer stemmt sich noch gegen die Euphorie.

Für einen kurzen Moment schien es, als wiederhole sich Geschichte doch. Die Mannschaft ließ sich vor Block B des Stade Gerland von den Fans des FC Bayern München feiern, enthusiastisch, enthemmt, als ihr Trainer Louis van Gaal ein wenig hinaustrat aus der Betreuergruppe am Spielfeldrand. Ein paar wenige Schritte nur, dann stand er alleine auf dem Rasen, ein paar wenige Schritte mehr, und er wäre wie einst Franz Beckenbauer 1990 nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in Italien gedankenverloren und in sich gekehrt umher gewandelt.

Aber van Gaal ist klug genug, keine Farce zu riskieren. Gerade noch rechtzeitig hielt er inne, schaute nach rechts, wo die Spieler Pogo tanzten, schaute hier hin, da hin und blieb dann hängen an der Anzeigetafel, auf der die Spielstatistik aufleuchtete. Wer wie viel Prozent Ballbesitz hatte, so ein Zeug halt, das vor einem Spiel keiner vorhersagen kann und nach einem Spiel kein normaler Mensch braucht – entrückt und verrückt genug ist van Gaal, um selbst in diesem Moment solche nüchternen Details zu studieren.

Nun ist der Gewinn einer Weltmeisterschaft eine Sache, der Einzug ins Finale der Champions League gegen Olympique Lyon eine andere und vergleichsweise nachrangige. Und doch war auch diese Frühlingsnacht am Dienstag an der Rhone eine nuit magique. Ein Schritt zu einer möglicherweise „historischen Saison, in der noch alles möglich ist, so etwas hatten wir ja auch noch nie“, wie Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge beim abschließenden Bankett in einem Hotel im Vorort Bron sagte. Nun, nicht ganz: Auch 1999 war der FC Bayern dem Triple ganz nah – am Ende stand er mit leeren Händen da. Nach dem Meistertitel verloren die Münchner damals das Champions-League-Endspiel mit 1:2 gegen Manchester United und dann das Pokalfinale gegen Werder Bremen im Elfmeterschießen. Auch deswegen warnt van Gaal: „Wir haben noch nichts gewonnen, wir können noch alles verlieren.“

In der Tat bedarf es vier weiterer Siege in dieser Saison, zwei in der Bundesliga gegen Bochum und Berlin, einer im DFB-Pokal gegen Bremen und einer im Finale gegen Inter Mailand, und der FC Bayern hätte Geschichte geschrieben. Aber wer sonst, wenn nicht diese Mannschaft, dieser Kader? Wie sonst, wenn nicht mit diesem Auftritt, diesem Selbstbewusstsein? Mit wem sonst, wenn nicht mit diesem Trainer, dem bislang noch in jeder misslichen Situation etwas Besonderes eingefallen ist?

Diesmal war die Idee, Hamit Altintop im linken Mittelfeld einzusetzen, um dort den gesperrten Franck Ribéry zu ersetzen. Altintop kennt den linken Flügel seit seiner Zeit bei Wattenscheid 09 nur vom Hörensagen. Er machte seinen Job so vorzüglich, dass er nachher von seiner „Spielintelligenz“ sprach, „wenn ihr es nicht tut, lobe ich mich eben mal selber“. Recht hatte er. Nur ein viertes Tor nach den drei fulminanten Treffern von Ivica Olic, das hätte er auch noch machen müssen.

Olic allein als Mittelstürmer wirbeln zu lassen war die zweite Idee des Trainers. Der Ertrag dieses Gedankens war zu besichtigen: Olic, 26. Minute, Olic, 67. Minute, Olic 78. Minute (wobei dieser letzte Treffer eigentlich irregulär war, weil mit blutendem Kopf erzielt, nachdem Olic kurz zuvor einen Schlag abbekommen hatte und die Wunden verletzter Spieler außerhalb des Spielfeldes gestillt werden müssen). Olic schwärmte vom „schönsten Tag in meinem Leben“, und gemeinhin wird man mit drei Treffern im Champions-League-Halbfinale auch zum Mann des Abends, aber nicht, wenn der Mann des Abends elf Männer sind, und nicht, wenn der Trainer van Gaal heißt. „Ich finde es ganz normal, dass Olic die Tore macht, weil er ja auch am nächsten zum Tor des Gegners steht“, sagte van Gaal, „tut mir leid, aber so denke ich eben.“

War vorher schon klar, dass van Gaal antizyklisch denkt und handelt. Zwar hat er den anfänglichen Anspruch, „ich bin wie Gott“ inzwischen dementiert, „ich bin nicht wie Gott“, aber das verringert van Gaals Allwissenheit natürlich nicht. „Ich wusste, dass Altintop auch sehr gut über links spielen kann“, „ich wusste, dass van Buyten und Demichelis nur jeweils eine Halbzeit spielen können“, „ich wusste, dass Lyon mit einer Zehn spielen wird“, einem zentralen Mittelfeldmann, „und dann habe ich mit Schweinsteiger und van Bommel den Druck so erhöht, dass er zu stark für die war“. Was nur eine kleine Auswahl der Statements in eigener Sache war. „Tut mir leid, ich habe schon wieder Recht gehabt“, Louis Almighty eben.

Kurz getrübt wurde die Stimmung, als Präsident Uli Hoeneß die Tragik im Hause Timoschtschuk bekannt gab. Der Defensivspieler, eigentlich fest eingeplant, war mitnichten, wie vorher verlautet wurde, wegen einer harmlosen Magen-Darm- Grippe in München geblieben, sondern weil im sechsten Monat die Geburt seiner Zwillinge gefährdet ist und er seiner Frau im Krankenhaus beistehen wollte. Eine Nachricht, mit der dann die reale Welt wieder einzog in den Rausch der Träume. Beenden konnte sie ihn nicht. Zu greifbar ist die Chance, sich noch dreimal zu besaufen an der Glückseligkeit.

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