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Sport: Der Ball fliegt nicht von allein

Sport ist Politik, Geschäft und manchmal illegales Glücksspiel. Die Verbände folgen dem Markt und verraten dabei das Spiel. Drei aktuelle Thesen zum Unwesen im Wesen des globalen Sports

Frage eines Reporters an den ehemaligen Fußballspieler Olaf Thon: Herr Thon, Sie haben einmal als 18-Jähriger bei einem 6:6 im Pokal für Schalke drei Tore gegen die Bayern geschossen. War das ein episches Spiel? – Antwort von Olaf Thon: „Nein, das ist Fußball. Das hat mit Ethik nichts zu tun.“

Olaf Thon also hat die Welt, die sich um den Ball dreht, verstanden. Sport und Ethik haben sich längst auseinanderentwickelt, immer öfter erscheinen sie gar wie Gegensätze. Jedem Fan ist inzwischen klar: Ein 2:1 wird nicht immer nur auf dem Rasen entschieden. Es hängt auch an den geschriebenen Regeln und ungeschriebenen Gesetzen für das Spiel, an jenen Menschen also, die den Rahmen setzen für die Tore. An hochherrschaftlichen Herren in Sportverbänden. An Sponsoren. Auch an möglichen Betrügern, die mit Geld und falschen Siegen locken. Deshalb müssen die Medien den Sport genauso kontrollieren wie sie die Politik kontrollieren. Das Fernsehen, oft Mitveranstalter und Präsentator von Sportereignissen, nimmt sich hier unnötig selbst aus dem Spiel. Dabei geht es in der Ball- und Biathlon-Welt oft um Steuergeld und stets um das Vertrauen von Kunden, in diesem Falle der Fans, auf einen Wettbewerb, dessen Ergebnis offen ist.

Wie sehr ist Sport noch er selbst, was eigentlich ist sein ethischer Kern? Dazu einige aktuelle Thesen:

These 1

Die Regeln im Sport definieren Verbände, die keine eigene Ethik haben.

Das Wort Ethik hatte nicht immer etwas mit sittlichen und moralischen Grundsätzen zu tun. Vielmehr begründete Aristoteles vor 2500 Jahren die Ethik ganz allgemein als Philosophie über das menschliche Verhalten. Im Fußball-Weltverband Fifa beispielsweise sind einige interessante menschliche Verhaltensweisen zu beobachten. Nur insofern kann man noch von einem ethischen Dachverband sprechen.

Ganz im Sinne von Aristoteles hat die Fifa die Ethik in eine Kommission verbannt. Hier wird nicht etwa nachgedacht über moralische Maßstäbe, hier wird nur nachgefragt nach allzu offensichtlichen Verfehlungen im größten Sportverband der Welt. Aber nur, wenn es gar nicht anders geht und es die aktuelle Fifa-Führung anordnet. Denn die Mitglieder der Ethikkommission werden von der Fifa- Exekutive bestimmt, die diese kontrollieren soll. Diese Rückständigkeit in Sachen Transparenz ist schon ein Fortschritt: Bis 2006 war die Ethikkommission noch mit Fifa-Exekutivmitgliedern besetzt, die sich höchstselbst kontrolliert haben.

Und so blieben unglaublich viele Unglaublichkeiten folgenlos, die die Fifa als glaubwürdige Sportpolitik verkauft. Etwa, dass Präsident Joseph Blatter mit vordemokratischen Methoden und wohl auch mithilfe einiger befüllter Briefumschläge ins Amt kam (vor 13 Jahren übrigens). Dass Fifa-Vizepräsident Jack Warner 2006 an WM-Tickets über das Reisebüro seiner Familie mitverdiente. Dass vier Fifa-Exekutivmitglieder angeblich 20 Millionen US-Dollar bekommen haben sollen, damit sie die Fußball-WM nach Katar vergeben. (Dem Vorwurf, immerhin erhoben im englischen Unterhaus, ist nicht vehement, geschweige denn juristisch entgegengetreten worden, wie selbst der Chef der Deutschen Fußball-Liga Reinhard Rauball beklagt.)

Die Unglaublichkeiten nehmen kein Ende, weil niemand ihnen ein Ende setzt. Jüngste Beispiele: Vor der Fifa-Präsidentenwahl in diesem Jahr ging eine Millionenspende an den karibischen Fußballverband – zum Verbandsjubiläum. Mit Korruption hat das natürlich nichts zu tun. Die Entwicklungshilfe der Fifa hat sich mit 600 Millionen Dollar pro WM-Periode längst zu einer Art Reptilienfonds für Stimmenkäufe entwickelt. Und was international vorgelebt wird, geht national weiter. Fifa-Exekutivmitglied Ricardo Teixeira hat sich für die anstehende Fußball-WM in Brasilien ein Organisationskomitee gezimmert, dessen Teilhaber von allen WM-Gewinnen profitieren. Die Teilhaber sind: Brasiliens Fußballverband mit seinem Präsidenten Teixeira und eine Privatperson namens Teixeira. Der Brasilianer ist übrigens Schwiegersohn von João Havelange, dem Vorgänger von Blatter. Der wusste von all diesen Geschäften natürlich rein gar nichts und hat sich gerade mit 75 Jahren wieder für vier Jahre wählen lassen.

Nun wurde eine Lösungskommission einberufen, die ebenso am kurzen Arm der Fifa hängt wie die Ethikkommission. Kontrolle von außen gibt es nicht. Reformen von innen auch nicht. Denn der Fifa fehlt ein Kern – zumindest, wenn man annimmt, dass Geld allein keiner sein kann. Mit der Vergabe der WM 2022 nach Katar hat die Fifa das Spiel Fußball verraten. An ein stein- und sandreiches Minireich ohne Stadien, ohne Fußballkultur, ohne Fans und – die anreisenden WM-Gäste werden es sicher bedauern – ohne Bier. Bei 50 Grad im Schatten (und es gibt in der Wüste kaum Schatten) wird stattdessen „Pocari Sweet“ gereicht – ein Getränk aus Wasser, Zucker, Geschmacksverstärker, Säuren, Natriumchlorid, Kaliumchlorid, Laktat und Magnesiumkarbonat.

Die meisten Fußballverbände, mit Ausnahme der Fußball-Mutter England, haben sich dieser wahnwitzigen Entscheidung gefügt, die wohl nur mit Wahlabsprachen und anderweitigen Gefälligkeiten zu erklären ist. Auch der in Dankbarkeit für die eigenen Weltmeisterschaften der Männer und Frauen erstarrte deutsche Fußball spielt Blatters Macht-Ränke mit und zeichnet ihn noch mit seinen höchsten Orden aus. Moral verwechselt der DFB offenbar mit Moralin.

These 2

Der Sport folgt den Märkten. Aber niemand kontrolliert das.

Katar ist genannt. Jetzt soll die Wüsten-WM vielleicht in den Winter verlegt werden. Sämtliche Spielpläne weltweit müssten umgestellt werden, um diesen Fehler zu reparieren. Und die WM käme den Olympischen Winterspielen in die Quere – außer natürlich, die würden zeitgleich nach Doha vergeben. Auch das scheint ja inzwischen möglich.

Die letzten Vergaben großer Sportereignisse folgten wie in der Wirtschaft nur den Märkten. Die Olympischen Winterspiele 2014 finden im russischen Sommerbadeort Sotschi statt: Hier gibt es keine Wettkampfstätte und keinen Wintersport, dafür eine lebendige russische Dopingtradition. Die Winterspiele 2018 sind gerade ins südkoreanische Pyeongchang vergeben worden – dort allerdings wird kein Wettkampf ausgetragen, sondern in zwei Retortenstädten nebenan. Der Gewinner dieses Spiels steht schon fest: Sponsor Samsung. Das IOC leistet sich zwar eine weniger korruptionsanfällige Vergabe der Spiele durch seine Vollversammlung, nicht durch zwei Dutzend Exekutivmitglieder wie bei der Fifa. Aber man kann dem Berliner Landessportchef Klaus Böger zustimmen, wenn er sagt: „Wenn es nur noch um Märkte geht, muss man sich überlegen, ob man den ganzen Zirkus noch mitmacht. Ich habe den Eindruck, dass man die Unfehlbarkeit des Papstes eher infrage stellen darf als die des IOC.“

Die Politik jedenfalls, auch die deutsche, scheut es, sich der Macht der Märkte entgegenzustellen, auch im Sport. Stattdessen gewähren Staaten großzügig Steuerfreiheiten für große Sportveranstaltungen, weil die sonst woanders stattfinden würden. Die Rolle des kritischen Hinterfragers bleibt den Medien vorbehalten, dabei bleiben Bewerbungs- und Infrastrukturkosten nicht selten am Steuerzahler hängen, während die Marketingeinnahmen in die Zentralen des internationalen Sports fließen. An Organisationen also, die wie die Fifa über Milliardenrücklagen verfügen, aber in der Schweiz als eingetragener Verein fungieren und deshalb ihren Reibach kaum besteuern müssen.

Auch in der Bekämpfung des Dopings und des Wettbetrugs lässt die gewählte Politik den autonomen Sport gerne mal machen und denkt ungern über schärfere Gesetze nach. Das Ergebnis ist oft ein 1:2 im Kampf gegen Betrug. Die Sportverbände prahlen zum Beispiel mit Blutkontrollen bei Weltmeisterschaften, lassen aber im Alltag die Anti-Doping-Agenturen am Hungerarm hängen – dabei sollen diese doch die viel ergiebigeren Trainingskontrollen der Athleten organisieren. Mit drohender juristischer Verfolgung und härteren staatlichen Sanktionen bei fehlender Fairness oder Transparenz bei gleichzeitig spürbaren Sperren innerhalb des Sports wäre zuweilen ein 2:1 möglich.

These 3

Der deutsche Sport weiß nicht, was er will.

Sommerspiele oder Winterspiele? Berlin oder Hamburg oder doch wieder München? Eines jedenfalls scheint festzustehen: Am Ende verlieren immer die Deutschen. Die Olympiabewerbungen des vereinten Landes endeten weit vor dem olympischen Strafraum: Berlin 2000 war dilettantisch organisiert, aber großkotzig intoniert. Leipzig 2012 war zu klein konzeptioniert und endete im kleinkarierten Streit, München 2018 immerhin war inhaltlich stimmig, aber schlicht falsch getimt. Man kann Klaus Wowereit schon folgen, der im Tagesspiegel fragte: „Versteht eigentlich noch jemand, wie das IOC denkt?“ Man könnte aber auch ergänzen: Versteht eigentlich noch jemand, was der deutsche Sport will?

Thomas Bach, deutscher Sportchef und im IOC starker Vize mit Präsidentenambitionen, müsste es eigentlich wissen. Aber er spielt auf Zeit: Mal sehen. Wir überlegen und entscheiden dann, vielleicht dieses Jahr, vielleicht später. Schau’n mer mal. Darüber staunt selbst der sonst so apathisch wirkende IOC-Präsident Jacques Rogge, wenn er sagt: „Man muss sich nach eigenen Stärken ausrichten, nicht nach denen anderer. Will man gewinnen, muss man den Wettbewerb suchen.“ Der Deutsche Olympische Sportbund aber hat gerade keinen großen Plan für das sportbegeisterte Land, das Großereignisse so gut organisieren kann. Es ist in der eigenen Taktik gefangen und lässt nun auch die Chance auf das für Europa durchaus aussichtsreiche Bewerbungsrennen um die Sommerspiele 2020 verstreichen. Denn wichtiger als Olympische Spiele im eigenen Land scheint zu sein, dass Bach im IOC Karriere macht und diese nicht mit einer gewichtigen zweiten deutschen Kampagne belasten will.

Aber warum ist das wichtig? Und wie lauten die Ziele von Bach im IOC, was will und kann der deutsche Sport mit ihm erreichen oder verändern? Niemand außer Thomas Bach weiß das. Und im deutschen Sport fragt keiner nach.

Bei den Regenten von König Fußball schaut es nicht anders aus. Theo Zwanziger, gerade in die Fifa-Regierung eingerückt, hat von Blatter angeblich Reformen verlangt – nicht öffentlich, in einem privaten Gespräch. Danach bejubelte er neben ihm die Frauenfußball-WM auf der Ehrentribüne. Hier stellt sich ebenfalls die Frage: Wofür steht der deutsche Sport eigentlich? Wofür steht er ein? Für ethische Werte, nachhaltige Veranstaltungen, transparente Vergaben, hartnäckigen Kampf gegen Doping?

Eine Antwort wäre wichtig, überlebenswichtig. Denn der Sport hat nur diese eine Faszination: das einfache unvorhersehbare Spiel. Das muss er schützen – auch vor sich selbst. Auch mit kritischer Hilfe von außen.

Der Autor ist Sportchef des Tagesspiegels. Den Vortrag hielt er als Gastreferent beim Sportforum der SPD mit dem Titel „Alles sauber, oder was? Ethik und Moral im Sport“.

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