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Sport: Der Computer wechselt aus

Die Fitness deutscher Eishockeyspieler wird künftig schon während eines Spieles ausgewertet

Berlin - Eine Eishockey-Ausrüstung ist ohnehin sehr umfangreich. Insofern hätten einige seiner Kollegen schon ein wenig mürrisch dreingeschaut, neulich beim Länderspiel in Mannheim, erzählt Christoph Gawlik. In der Kabine bekamen die deutschen Profis vor der Partie gegen die Slowakei nämlich einen Brustgurt und ein Pulsarmband überreicht, erzählt der 19 Jahre alte Stürmer von den Eisbären. „Das mussten wir tragen“, sagt der Berliner. „Mir hat es aber nichts ausgemacht, ich war schließlich fit.“ Die zusätzliche Ausrüstung der Nationalspieler hatte nämlich einen einfachen Zweck: Die Fitnesswerte der Spieler wurden gemessen, während des Spieles per Funk gesendet und sofort ausgewertet – eine Neuheit im Mannschaftssport.

Jens Geist, leitender Trainingswissenschaftler des Olympiastützpunkts in München, hat das Projekt entwickelt. Beim Länderspiel in Mannheim saß der Sportwissenschaftler mit seinem Laptop auf der Tribüne gegenüber der deutschen Spielerbank. „Damit ich die Auswechslungen beobachten konnte.“ Auf seinem Computer liefen die Frequenzwerte der Spieler ein, im Brustgurt trugen sie einen Funkmechanismus. Geist war mit dem deutschen Kotrainer Klaus Merk per Funk verbunden. „So konnte ich ihm mitteilen, wie hoch die Belastung beim Einzelnen ist“, erzählt Geist. „Die Trainer konnten somit darauf reagieren, sie wussten wen sie wegen drohender Muskelübersäuerung nicht zu lange auf dem Eis lassen sollten und welchen Spieler sie häufiger einsetzen konnten.“

Im Spiel hatte Geist sein System zuvor nur im unterklassigen Eishockey ausprobiert. Womöglich wird er nun die Nationalmannschaft bis zur Weltmeisterschaft 2007 in Russland begleiten. Franz Reindl, Sportdirektor beim Deutschen Eishockey-Bund, ist begeistert von der Innovation. „So weiß man immer, auf welchen Spieler man wann setzen kann“, sagt Reindl. „In entscheidenden Phasen eines Turnier kann das ausschlaggebend sein.“

Das Messen der Fitnesswerte im Spiel sei nur ein Teil, sagt Geist. „Die bedeutsamere Geschichte findet im Training statt, da muss ich testen, was für eine Gesamtbelastung bei einem Spieler möglich ist. Da stelle ich fest, welche Spieler sensibler angepackt werden müssen. Ich muss individuelle Parameter, etwa die Herzfrequenzen der Spieler kennen, sonst kann ich ihre Werte im Spiel nicht interpretieren.“ Aufgrund der „Identitätswerte“ wisse man, ob ein Spieler bei „80, 90 oder 100 Prozent seines Leistungsvermögens ist“.

Die „individuellen Parameter“ ihrer Spieler kennen sie bei den Eisbären, sagt Peter John Lee. „Bei uns bekommt jeder Spieler zum Dienstantritt eine Hose, Turnschuhe und ein Pulsarmband“, sagt der Manager. Im Spiel haben sie die Pulsmesser zwar noch nicht getragen, aber im Training. Da werden die Berliner Profis seit einiger Zeit im physischen Bereich breit gefordert: Das, was früher ein Trainer machen sollte, wird von vielen Spezialisten gemacht: Vom „Power-Skating“- Coach, der den Spielern Beine macht, bis zum eigenen Torwarttrainer. Die physische Fitness der Spieler sei aber nur ein Punkt, sagt Lee. Psychische Fitness sei ebenso wichtig. Daher haben sie bei den Eisbären, die heute in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) Iserlohn empfangen (19.30 Uhr, Sportforum), auch einen Psychologen eingestellt. Markus Flemming, früher Torwart bei der Düsseldorfer EG, ist für die mentale Fitness der Spieler zuständig.

Der Diplompsychologe gehört zum „Arbeitskreis Sportpsychologie“, der sich um Hans-Dieter Hermann gebildet hat. Hermann ist der erste Psychologe der Fußball-Nationalmannschaft. Flemming sagt: „Es geht darum, dass die Spieler ihren Kopf trainieren. Das ist besonders bei den Torhütern wichtig, denn dort macht die Konzentration im Spiel bis zu 85 Prozent aus.“ Ein laut brüllender Motivationstrainer sei er aber nicht, sagt Flemming. „Ich will nicht auf dem Mannschaftsfoto erscheinen, der Sportpsychologe hält sich im Hintergrund.“

Der Sportwissenschaftler hält sich auch lieber im Hintergrund, sagt Jens Geist. „Unser Ziel ist, dass alle Spieler eines Teams auf hohem Niveau vorbereitet, gesund und belastungsfähig sind.“ In der DEL läge da noch einiges im Argen. „Wir vom Olympiastützpunkt bieten daher auch allen DEL-Klubs unsere Hilfe an.“

Das beim Länderspiel in Mannheim praktizierte System sei aber „noch in der Aufbaustufe“, sagt Geist. Auf einer Skala von 0 bis 10 sei man etwa „bei 6 oder 7“. Noch gäbe es Probleme mit der Technik. „Im Stadion habe ich die Geräuschkulisse als Störfaktor.“ Und natürlich die Spieler. „Von den Nationalspielern waren einige nicht so glücklich, als sie erfuhren, was sie unter der Ausrüstung da noch tragen mussten“, sagt Geist. Christoph Gawlik gehörte aber nicht dazu. Er hatte auch keinen Grund, seine Fitnesswerte stimmten: Der junge Berliner schoss zwei Tore beim 3:1-Sieg der verkabelten Deutschen gegen die unverkabelten Slowaken. Ein erster Sieg der neuen Technik?

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