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Sport: Der Conan des Fußballplatzes entspannt sich

Im Moment seiner größten sportlichen Schmach erscheint Oliver Kahn auf einmal weit gelöster, als die Welt ihn kennt

Berlin - „Nun lasst’s den Oliver trainieren“, sprach Markus Hörwick. Der Medienchef des FC Bayern München hätte der Journalistenschar auch zurufen können: „Und nun lasst’s wieder Alltag sein“, der Wunsch wäre derselbe geblieben. Alltag, fast hatte man den Eindruck, dass es genau der ist, nach dem sich Oliver Kahn inzwischen sehnt. Fast sah er gelöst aus, als er seinen Nicht-Rücktritt bekannt gab. Der degradierte Nationaltorhüter fügt sich ins Glied, und niemand muss sich fürchten vor Isegrimm Kahn? Die Sensationen im deutschen Fußball reißen einfach nicht ab.

Man kennt andere Bilder von ihm. Das jüngste lieferte das Spiel seiner Bayern gegen Werder Bremen am vergangenen Samstag, als er Gegenspieler Valdez griechisch-römisch niederrang und ihn in letzter Sekunde die Reste der Kinderstube davor bewahrten, Valdez nicht auch noch nach Art des Mike Tyson zu begegnen. Davor war es Mailands Andrej Schewtschenko, der Kahns Atem spüren musste, davor waren es Samuel Kuffour aus den eigenen Münchner Reihen, des Weiteren Andreas Herzog, auch der damals Münchner, Miroslav Klose, Heiko Herrlich, Thomas Brdaric, Stéphane Chapuisat – man könnte noch ziemlich lange weiter aufzählen, wer alles Kahn hat erleiden müssen, aber, fassen wir’s mit den Worten der Doggen- und Pitbullbesitzer zusammen: „Der tut nichts, der will nur spielen.“

Kahn, der Getriebene, der Besessene, der vor allem davon besessen ist, die Welt sei ein Dschungel. Darin hat er sich eingerichtet und ist dem Dschungel begegnet. Einmal, da spielte Kahn mit seinen Bayern in Mönchengladbach. Er stand vor den Gladbacher Fans. Es war die Zeit, als der Torwart wichtigster Gaglieferant für Harald Schmidt war, und es war die Zeit, als in den Stadien das wenig freundliche Lied gesungen wurde: „Da steht ein Affe im Tor, der ist so niedlich.“ So auch in Mönchengladbach. Der Ball rollte irgendwo weit weg von Kahn, kein Schiedsrichter schaute in seine Richtung, keine Kamera. Und da zog Kahn blank, zeigte den Fans seine rechte Gesäßhälfte, wahrscheinlich glaubte er, es dem Dschungel mal wieder gegeben zu haben. Ein Conan, der Barbar, des Fußballplatzes. Zuletzt war auch die wüste Frisur danach.

Manisch ist ein Wort, das einem zu diesem Kahn einfällt. Es ist wahrscheinlich doch noch etwas früh, nun von seiner Erlösung zu sprechen, nur weil er sogar gelächelt hat bei der Bekanntgabe seiner schlimmsten Schmach. Aber vorstellen kann man es sich schon, dass einer auch mal müde wird, ständig auf dem Sockel zu stehen, angerempelt zu werden, Kahn würde sagen „angepisst“, dass er es leid ist, Titan zu sein und Herkules, der die Welt schultert. Und das war er ja ein bisschen vor vier Jahren in Asien. Die Welt bestand zwar nur aus einer mäßig begabten Nationalmannschaft, aber wie Kahn diese ins Finale geführt hat, das war schon gigantisch. Im Finale patzte er. Die Wiedergutmachung wird ihm jetzt verwehrt – und es stimmt ja nicht, wenn er sagt, er habe zwei Jahre auf dieses Ziel hingearbeitet, in Wahrheit begann die Zielorientierung vor vier Jahren, als er nach Spielschluss in Yokohama am Pfosten gelehnt dasaß und Welt samt Dschungel verfluchte.

Er hat in der Folge allerlei Unsinn gemacht. Hat spätpubertiert, als er in Münchens P 1 den sehr jungen Mädels nachstieg, hat sich angewöhnt, fern in den Dschungel zu schauen, wenn er von den Journalisten vor den Kameras um Auskunft gebeten wurde, hat den Verlust von Testosteron beklagt („Wir brauchen Eier!“) – und war nicht aus allem der Schrei zu hören: „Ich, Gott der Torhüter! Ich Titan! Ich! Ich! Ich!“?

Allein, dass der Job des Torwarts keine Ich-AG mehr ist, das hat er übersehen. Und das hat ihn jetzt den Job gekostet. Man hat allgemein angenommen, dass Kahn sich nun verweigert, dass es ihm unerträglich ist, im Sommer den Konkurrenten Jens Lehmann vor den Spielen warm zu schießen. Das hätte auch gut ins Bild des blankziehenden, stets tobenden und gegen alle wütenden Kahn gepasst. In das des Menschen, der sich unverstanden fühlt von der Welt, von der Flugbahn des Balles und dem Schussbein des Stürmers. Dieser Kahn hat 48 Stunden, nein, geschmollt ist wohl das falsche Wort, dieser Kahn hat 48 Stunden getobt, gerast, berserkert. Dann stand er da, im blauen Hemd, der Kragen offen, schau an, rasiert und frisiert ist er auch (das zuletzt etwas eigenwillige hygienische Verhalten war seinem Stab von der „Bild“ zuletzt manch sorgenvolles Bild wert), und sagt, dass es wichtig ist, so wichtig, dass er im Sommer dabei ist. Es geht um die Sache. Nicht mal als Gedanke war zu hören, dass er eben auf dem Plan sei, wenn dem anderen ein Missgeschick passiere. Die Sensationen im deutschen Fußball reißen tatsächlich nicht ab.

Jens Lehmann hat kürzlich mal gesagt, dass er gerne Oliver Kahn London zeigen werde, wenn der sich plötzlich mal auf einen Sprung ansagt. Er hat auch hinzugefügt, dass er damit eher nicht rechne. Aber, wer weiß, vielleicht klingelt ja drüben auf der Insel das Telefon, und dann marschieren zwei gelöste und mit sich im Einklang befindliche Herren im mittleren Alter durch den Hyde-Park. Das könnte dann der Anfang einer wunderbaren Freundschaft sein. Und dies wäre dann die nächste Sensation.

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