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Im freien Fall. Rafinha konnte mit dem FC Bayern die wichtigen Spiele zuletzt nicht mehr gewinnen.

© afp

Der FC Bayern München nach dem 0:3 in Barcelona: Guardiolas Erkenntnisse im Grenzbereich

Das drohende Aus in der Champions League könnte beim FC Bayern einen Umbruch einleiten - der bayerische Pragmatismus war gegen den FC Barcelona wirkungslos.

Der letzte Akt einer bemerkenswerten Reise dauerte nicht einmal eine Halbzeit lang. Kurz vor Mitternacht kam die Mannschaft des FC Bayern München im Bankettsaal des gleich neben dem Estadi Camp Nou gelegenen Hotels an, 40 Minuten und ein paar Happen vom Buffet später waren die meisten Spieler schon wieder verschwunden, abgetaucht im Bus, der sie zu ihrer Unterkunft auf einem Hügel in der Nähe von Barcelona brachte. Nur Xabi Alonso und Thiago hatten noch Energie für eine Verlängerung – und der Trainer. Pep Guardiola blieb auch noch, als sich der Vorstandstisch schon zu leeren begann. Nichts ließ er sich anmerken, ob und wie sehr ihm diese 0:3-Niederlage im Halbfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Barcelona aufs Gemüt schlug – und die Tatsache, sich in dieser Saison mit dem Meistertitel begnügen zu müssen.

Guardiolas ehemalige Mannschaft führte Guardiolas aktuelle in der letzten Viertelstunde der Partie vor, weil ein Gegentor die gesamte bis dahin so stabile Ordnung über den Haufen geworfen und damit den Münchnern bereits vor dem Rückspiel am kommenden Dienstag die Hoffnung auf das Erreichen des Finales am 6. Juni in Berlin geraubt hatte. Er halte nichts „von Durchhalteparolen. Die Chancen sind nicht mehr groß“, sagte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge in seiner Bankettrede, um danach doch noch Hoffnung zu verbreiten. „Wir heißen Bayern München und manchmal gibt’s bei Bayern München dann auch noch so was wie ein Fußballwunder.“

2009 demütigte Barca den FC Bayern

Ein bisschen hat Guardiola seine Ideale verraten, weil er mit zu wenig Mut nach vorne hatte spielen lassen. Aber genau genommen blieb ihm personell gar nichts anderes übrig, seine Alternativen für eine offensive Pep-Taktik saßen daheim in München mit lädierten Muskeln, Sprunggelenken oder Bändern. „Das war die beste Art, gegen Barcelona zu spielen“, sagte Guardiola. Zumindest ist es die beste Art in der Situation, in der sich der FC Bayern derzeit befindet. „Dieses Barça“, sagte er, „ist nur durch Ballbesitz zu stoppen.“ Die 53 Prozent, die die Statistik ausweist, waren aber zu wenig.

Das Ende des Fußballabends erinnerte an den Auftritt sechs Jahre zuvor, da hatten die Katalanen die Münchner beim 4:0 ebenfalls schwer geschlagen und gedemütigt. Damals, unter Jürgen Klinsmann, war der FC Bayern von Anfang an plan- und chancenlos gewesen, dieses Mal hielten sie – zwar mit etwas Glück und dank Torhüter Manuel Neuer – die Partie 77 Minuten lang offen. Die Erkenntnis ist allerdings nicht so sehr viel anders als 2009, wenngleich auf einem sehr viel höherem Niveau. Die Bayern gehören mittlerweile regelmäßig zu den vier besten europäischen Vereinen, müssen nun aber aufpassen, dass sie diese Rolle im Elitezirkel nicht wieder loswerden, denn gegen Barcelona, stellte Sportvorstand Matthias Sammer fest, „sind wir sportlich an unsere Grenzen gestoßen“.

Lahm: "Ballbesitz ist unsere Identität"

Das 0:3 war mehr als ein Triumph des Hochgeschwindigkeitsfußballs mit dem zweifachen Torschützen Lionel Messi über den bayerischen Pragmatismus. Vermutlich ist dieser kleine Argentinier für jeden Gegner zu schnell, aber die Probleme des FC Bayern offenbarten sich am Mittwochabend im Camp Nou deutlich – und sie sind nicht nur den vielen Verletzten geschuldet. „Wir haben vor einer Woche im Pokal gegen Dortmund das Spiel hergeschenkt – und heute schon wieder“, sagte Jerome Boateng. Beide Male stellte sich nach dem Gegentreffer eine seltsame Aufgeregtheit ein, die gar nicht zu der Souveränität der vergangenen drei Jahre passte. „Da müssen wir uns einfach etwas cleverer und ruhiger verhalten“, fand Sammer.

So wie der Gegner. Barcelona ist immer noch auf Ballbesitz aus, so wie in den vier Jahren unter Guardiola, aber statt gegen einen defensiv orientierten Gegner bis zur letzten Minute anzurennen, nimmt sich die Mannschaft auch mal eine kleine Auszeit – und lauert auf Konter. Vor allem dem etwas betagten Ü-30-Mittelfeld der Münchner könnte das entgegenkommen. „Ballbesitz ist unsere Identität“, sagte Kapitän Philipp Lahm. „Aber unsere Identität ist es nicht, dass wir dann Konterchancen zulassen.“

Beginn einer neuen Ära?

Dass Bastian Schweinsteiger in der Nachspielzeit vor dem gegnerischen Strafraum ein Fehlpass unterlief, der zu Neymars 3:0 führte, ist nicht nur der allgemeinen Verunsicherung in der Mannschaft zuzuschreiben, sondern auch mangelnder Frische, sowohl in den Beinen als auch im Kopf. Der 30-Jährige hatte zuvor viel Laufarbeit leisten müssen, und war am Ende seiner Kräfte. Vielleicht trägt auch der Trainer zur Nervosität auf dem Platz bei, weil er in jedem Spiel das System mindestens einmal ändert und draußen wild gestikuliert. In guten Phasen wie der Vorrunde mag das die Spieler erreichen, aber in der derzeitigen Verfassung überträgt sich womöglich die Aufgeregtheit des Trainers auf die Spieler.

Eine deutliche Abreibung, wie sie der Meister am Mittwoch erlebte, kann auch den Beginn einer neuen Ära einleiten. Bei Barça hatte es nach dem Halbfinal-Aus gegen die Münchner 2013 allerdings noch ein Jahr gedauert, ehe der Klub die Erkenntnisse umsetzen konnte. Der FC Bayern muss sich schneller neu erfinden. Und Guardiola auch, um die höchsten Ansprüche zu erfüllen. Die an ihn, aber auch die, die er an sich hat.

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