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Sport: Der gequälte Schuss

Biathletin Uschi Disl sind die Fans an der Strecke oft zu laut – dann trifft sie die Zielscheibe nicht

Berlin. Nur zwanzig Meter sind die kreischenden Fans in Ruhpolding vom Schießstand der Biathleten entfernt. Hier die Zuschauer, die sich mit viel Glühwein aufgewärmt und mit dem „Anton aus Tirol“ in Stimmung gebracht haben und die eins nicht können – still sein. Dort die Sportler, die sich nur eines wünschen – Ruhe. Schließlich ist die Scheibe 50 Meter entfernt und hat nur einen Durchmesser von 11,5 Zentimetern. Beim Stehendschießen wohlgemerkt, im Liegen sind es sogar nur 4,5 Zentimeter. Höchste Konzentration ist gefragt. „Die Leute bejubeln jeden Treffer, und wenn man nicht trifft, hört man ein langes uuuuhhh“, erzählt Uschi Disl, „das ist nicht einfach“. Sie selbst ließ sich gehörig aus der Fassung bringen beim Weltcup vergangene Woche, handelte sich im Sprint vier Strafrunden ein und wurde nur 16. Zwei Tage später im Verfolgungsrennen hatte sie bis zum letzten Schießen die Chance auf einen Platz unter den ersten drei. Doch drei Fehlschüsse bei fünf Versuchen waren zu viel. Disl fiel auf Rang neun zurück. „Beim Laufen beflügelt das Anfeuern, beim Schießen nicht“, erzählt sie.

Heute geht sie beim Weltcup in Antholz in Südtirol über 15 Kilometer wieder an den Start. Und ist erleichtert, dass „es dort familiärer zugeht. Da ist es nicht so laut.“ Darauf kann Disl bei der Weltmeisterschaft in Oberhof nicht hoffen, die in zweieinhalb Wochen beginnt. Dort werden noch wesentlich mehr Fans als in Ruhpolding anfeuern. „Die Fans sind aber 100 Meter vom Schießstand weg, das ist ganz angenehm“, sagt Disl. Der Heimvorteil sei keiner. Zu viel Druck, zu viel Lärm.

Dabei ist es für Disl in dieser Saison bisher gut gelaufen. Sie ist mit 33 Jahren die älteste, erfahrenste und bislang auch erfolgreichste Biathletin im deutschen Team. Anfang Januar gelang ihr in Pokljuka (Slowenien) der erste Weltcupsieg der Saison, einmal wurde sie Zweite, dreimal Dritte ein Einzelrennen. Im Gesamtweltcup ist Disl als Vierte beste Deutsche. Bei Olympischen Spielen hat sie acht Medaillen gewonnen, darunter zwei Mal Gold mit der Staffel, bei Weltmeisterschaften 15 Medaillen, dazu kommen 22 Weltcupsiege – die Staffel nicht eingerechnet. Gold hat sie bei WM und Olympia bisher ausschließlich mit der Mannschaft geholt, alleine war es immer wieder Silber und Bronze. In Nagano 1998 hätte es über 15 Kilometer fast mit dem Olympiasieg geklappt – wäre da nicht dieser letzte Schuss gewesen.

Ihre Schießleistungen hätten sich durchaus stabilisiert, sagt die Bayerin, „ich habe viel trainiert. Im Jahr komme ich auf 10 000 bis 12 000 Schüsse“. Doch Erfahrung allein reicht nicht, das muss Disl immer wieder feststellen. So wie bei ihrem Staffeleinsatz beim ersten Weltcuprennen des Winters in Kontiolathi. Disl musste vier Strafrunden laufen, die Deutschen wurden nur Fünfte. „Beim Stehendschießen bin ich nicht zur Ruhe gekommen. Da hat es mich hin- und hergehauen wie einen Kuhschwanz“, erzählte sie damals. Das Problem ist: Darauf kann man sich nicht vorbereiten, mal kommt man zitternd zum Schießstand, mal nicht. „Da hat man plötzlich die Nähmaschine“, sagt Disl. Der Pulsschlag ist außer Kontrolle, mal zu niedrig, wenn es in Schussfahrt zum Schießen ging, mal zu hoch, wenn die Athleten sich gerade einen Anstieg hoch gequält haben. Gleichmäßig atmen heißt es dann, „man muss seinen Rhythmus finden und dann schießen“.

Heute in Antholz gibt es keine Strafrunden. Für jeden Fehlschuss beim 15-Kilometer-Einzelrennen erhält der Sportler eine Strafminute. Doch Disl vertraut auf ihre Laufstärke, „eine Minute Vorsprung kann ich auf viele Konkurrenten herauslaufen“. Und vor den Fans muss sie sich auch nicht fürchten. Die sind weit genug weg. Und leiser.

Helen Ruwald

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