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Stabübergabe. Christian Gross (l.) verlässt Stuttgart nach nicht einmal einem Jahr. Sein bisheriger Assistent Jens Keller (r.) trainiert die Schwaben einstweilen interimsmäßig. Foto: dapd

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Sport: Der Herbst kommt, der Trainer geht

Nach schweren Zerwürfnissen entlässt der VfB Stuttgart Christian Gross – Kotrainer Jens Keller übernimmt

Eigentlich fand die Entlassung von Christian Gross vor fast zwei Wochen statt. An diesem Donnerstag rieb sich mancher beim VfB Stuttgart verwundert die Augen, und fasste Gross’ Äußerungen auf einer turnusmäßigen Pressekonferenz als provokanten Angriff auf, den man sich nicht gefallen lassen würde. Die Reaktion erfolgte allerdings erst elf Tage nach der sechsten Saisonniederlage gegen Eintracht Frankfurt. Gestern setzte der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga den 56 Jahre alten Gross vor die Tür und machte ihn wenige Tage vor dem Kellerduell gegen Schalke 04 mit deftigen Vorwürfen allein für die Krise verantwortlich. Gleichzeitig präsentierte man dessen bisherigen Assistenten, den ehemaligen VfB-Profi Jens Keller, als Nachfolger.

Gross’ Vertrag lief bis Saisonende; wie lange der 39 Jahre alte Keller im Amt bleibt, ist ungewiss. „Herr Keller wird vorerst auf der Bank sitzen und das Training leiten. Und wir werden die Entwicklung abwarten“, sagte VfB-Präsident Erwin Staudt. Die Entscheidung sei am Montag gefallen, so Staudt. „Dies ist eine der schwierigsten Situationen der Vereinsgeschichte, ich nenne das bewusst Ausnahmezustand. Wir haben allergrößte Sorge.“

Gross zeigte sich enttäuscht von seiner Entlassung. „Ich finde es sehr schade. Ich war überzeugt davon, dass ich das schaffe und wir da unten herauskommen – so wie im Winter auch“, sagte er der „Bild“. „Ich bin überzeugt von meiner Arbeit. Wir wären da mit harter Arbeit wieder herausgekommen.“ Manch anderer war sich da nicht mehr so sicher und sah in den jüngsten Attacken von Gross den Versuch, die eigene Entlassung zu provozieren.

Seit Wochen wurde dem 56 Jahre alten Schweizer nachgesagt, nicht mehr mit voller Überzeugung hinter seinem Job zu stehen. Gross, im Dezember 2009 als Nachfolger von Markus Babbel verpflichtet, stellte mehrfach die Personalpolitik des Klubs in Frage und schien die Bindung zu seinen Spielern zu verlieren. Zudem waren die Spannungen zwischen ihm und dem neuen Manager Fredi Bobic unübersehbar. Kurzum: Gross hatte es sich am Ende mit allen verscherzt, nachdem sein Anlaufpunkt, der vorherige Manager Horst Heldt, den Verein im Groll Richtung Schalke 04 verlassen hatte.

Gross musste in der Saisonvorbereitung über Wochen ohne Manager auskommen und fühlte sich alleingelassen. „Der Verein hat seine Priorität auf die Fertigstellung des Stadions ausgerichtet“, sagte er und zeigte, wie wenig er mit den Vorgaben des Klubs einverstanden war, auf junge Spieler zu setzen. Das zog scharfe Konterattacken von Aufsichtsratschef Dieter Hundt nach sich, der Gross in den vergangenen Tagen öffentlich wie einen Schulbuben maßregelte. Der VfB gehöre, was den Etat angehe zum ersten Drittel der Liga. Man habe über „13 Millionen Euro“ in den Umbau der Mannschaft investiert.

Am Dienstag gab es ein letztes Gespräch mit Gross, den Manager Bobic anschließend scharf angriff: „Ich habe keine Lösungsansätze von ihm gesehen. Dienst nach Vorschrift kann man in so einer Situation nicht machen.“ Jetzt gehe es „einzig und allein um den Klassenerhalt. Der Fokus liegt auf dem Spiel in Schalke.“ Nachfolger Keller kündigte an, „Herz“, „Leidenschaft“ und „Leistungswillen“ zu vermitteln. Gross, meinte Keller, sei ein sehr „dominanter Trainer“, und es sei „schwierig“ gewesen, „immer Gehör zu finden“.

Die Trainerentlassung aber bringt auch die Vereinsführung um Staudt, Finanzchef Ulrich Ruf und Hundt in die Kritik. Der Vorgabe, junge Spieler einzusetzen, um den teuren Stadionumbau bewältigen zu können, folgten Panik-Transfers wie der des 34-jährigen, in Turin aussortierten Mauro Camoranesi. Klubchef Staudt gestand ein, man müsse sich Gedanken über die häufigen Trainerwechsel machen. Als sei es eine lieb gewonnene Tradition, müssen im Herbst in Stuttgart die Trainer gehen. Gross kam nicht mal auf ein Jahr. „Wir hinterfragen uns, auch ich hinterfrage mich, aber ich bin noch zu keinem Ergebnis gekommen“, sagte Staudt.

Mancher in Stuttgart sieht das grundlegende Problem in der Vereinsführung, der sportliche Kompetenz fehlt, die sich aber wie Dieter Hundt ständig einbringt. Vom Plan, seinen „guten Bekannten“ Daum zu holen, habe sich der mächtige Aufsichtsratschef vorerst verabschiedet. Wenn allerdings die Angst noch größer wird, das neue Stadion nächsten Sommer in der Zweiten Liga eröffnen zu müssen, sind wohl alle Varianten denkbar. Ohne baldige Siege wird auch Jens Keller schnell wieder gehen müssen, und dann steht das nächste Trainer-Casting an.

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