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© AFP

Der Kapitän: Michael Ballack im Tagesspiegel-Interview: Anführer sein ist gar nicht so schlimm

Er tauge nicht zum Chef, hieß es früher über Ballack. Jetzt trägt der 32-Jährige auf dem Platz die Verantwortung und vergleicht sich sogar mit Zidane – so könnte er auch Bundestrainer werden. Im Interview mit dem Tagesspiegel erklärt Ballack, wie er in die Führungsrolle hineingewachsen ist.

Herr Ballack, vor dem Spiel gegen Polen sind Sie zu jedem Mitspieler gegangen und haben mit allen gesprochen. Werden Sie das auch vor dem Spiel gegen Kroatien tun?

Früher haben das andere mit mir gemacht, jetzt bin ich Kapitän. Ich bin in einem Alter, in dem ich Einfluss auf die Spieler nehmen muss und will. Du merkst, wer noch einen kleinen Schub braucht und wer weniger. Gerade bei einem solchen Turnier musst du versuchen, alles rauszuholen und auf die Minute konzentriert zu sein. Einige junge Spieler bringen eine gewisse Unbekümmertheit mit, weil sie nicht so viel nachdenken. Die kann man auch mal in Ruhe lassen und es funktioniert.

Woher wissen Sie, was bei wem zu tun ist?

Ich habe mittlerweile ein Gespür für meine Mitspieler entwickelt, mit einigen spiele ich schon ein paar Jahre zusammen. Aber bei alldem muss ich auch selbst immer wieder meine Leistung abrufen, ich kann mich ja nicht nur mit den anderen beschäftigen. Je mehr ich auf dem Platz meinen Ansprüchen gerecht werde, desto effektiver kann ich auf die Mannschaft einwirken.

Wie viel Intuition ist dabei und wie viel bewusstes Handeln? Überlegen Sie vorher, was Sie ihren Mitspielern sagen?

So etwas lässt sich nicht planen. Fußball ist Tagesgeschäft, du siehst, wie ist einer drauf, wie kommt einer in die Gänge? Aber warum wollen Sie das alles wissen?

Wir wollen mit Ihnen über das Thema Führen sprechen. Sie sind der Anführer des deutschen Teams. Wie fühlt sich Führung an?

Die Frage hört sich beinahe so an, als sei es eine Strafe, zu führen. So schlimm ist es aber nicht. Ich kenne das Gefühl ja schon ein Weilchen.

Mag sein, aber es gab eine Zeit, da behagte Ihnen dieses Thema überhaupt nicht. Woher der Wandel?

Weil sich so etwas entwickeln muss. Nehmen Sie den Einzelsportler. Der ist alles in einem. Du bist auf dich angewiesen, darfst dir keine Schwächen erlauben, sonst verlierst du. Als Einzelkämpfer bist du dein eigener Anführer, du musst dich pushen, bist auf dich angewiesen. In einer Mannschaft gibt es Hierarchien, unterschiedliche Funktionen, die auf bestimmte Spieler zukommen. Das hat etwas mit dem Alter zu tun, mit Erfahrung und natürlich auch mit Leistung.

Ihre Leistung stimmte meistens. Wann haben Sie erkannt, führen zu müssen?

Ich war immer ein Spieler, der diese Führungsrolle nie in der Öffentlichkeit eingefordert hat. Jeder ist anders, und es gibt welche, die in eine solche Rolle verbal reindrängen. Bei mir entwickelte sich das zuerst über die Leistung. Es geht darum, wie du auf dem Platz auftrittst, wie andere Spieler dich sehen, wie wichtig du für die Mannschaft bist.

Wird man als Anführer geboren?

Vielleicht sah es bei mir automatisch so aus, auf Grund meiner Körperstatur und meiner Spielweise. Aber ich bin in die Führungsrolle erst nach und nach reingewachsen. Gefordert wurde es viel früher. Mehr von außen. Die Mannschaften, in denen ich gespielt habe, wussten aber immer, dass ich da bin, dass ich auch Verantwortung übernehm’.

Führen aber ist etwas anderes?

Klar. Du musst eine Mannschaft mitreißen können. Dabei kommt mir entgegen, dass ich im Mittelfeld nun mal auf einer Position spiele, auf der ich viel Einfluss auf das Spiel habe nach hinten und nach vorne. Dazu gehört wohl auch, dass ich nie der Typ war, der sich so viel gefallen lassen hat auf dem Platz. Dabei kommt es nicht immer nur auf die 90 Minuten am Wochenende an, sondern du trainierst die ganze Woche über, da baut sich viel auf, die Struktur innerhalb einer Mannschaft. Im Training spielt sich eine Menge ab. Die meisten sehen das, was am Wochenende im Stadion passiert. Dann kommen schnell die Urteile: Ja, da ist ein guter Spieler, der muss Verantwortung übernehmen, der hat das Zeug dazu. In der Mannschaft aber ist das schon lange geschehen.

War es also Ihr Fehler, die Rolle des Anführers nicht früher zu verlangen?

Dafür bedarf es einer gewissen Persönlichkeit, die reifen muss. Den einen drängt es mehr und eher in diese Rolle, weil er vielleicht merkt, dass die Medien eine tolle Plattform bieten, die interessant und aktuell ist. Dieser Typ sagt sich, prima, diese Plattform kann ich bedienen. So habe ich nie gedacht, auch wenn mir das negativ ausgelegt worden ist.

Es hieß, Sie taugen nicht zum Anführer…

Auch wenn ich der Typ war, der diese Rolle nie einforderte, so bedeutete das für mich ja nicht, dass ich diese nicht einnehmen wollte. Ich wollte es in ruhiger Form. Zinedine Zidane war auch so ein Typ, der einfach auf Grund seiner Spielweise und Klasse für die Mannschaft der Anführer war.

Gab es bei Ihnen einen Moment, in dem es klick machte, in dem Sie diese Qualität bewusst angenommen haben?

Diesen einen Moment gab es nicht, nein. Überall wo ich spielte oder spiele, musste ich mich durchsetzen. In Leverkusen, in München oder jetzt bei Chelsea. Zu jeder Zeit gab es dort gute und vielleicht sogar auch bessere Spieler. Es waren Spieler da, die ihre Position innehatten. Ich musste mir meine Rolle erkämpfen. Das ging dann relativ schnell, aber schon wieder wurde der nächste Schritt erwartet.

Das hieße, Sie taten das ganz bewusst?

Du wirst ja automatisch in eine solche Position gedrängt, wenn du gut spielst. Es heißt dann, dass du Verantwortung übernehmen sollst, dass du die Mannschaft mitreißen und führen sollst. So selbstverständlich geht das aber nicht. Natürlich gibt es Spiele, in denen du wichtige Tore machst oder große Spiele, in denen du besonders präsent bist. Dann machst du einen Schritt nach vorne, in der Mannschaft und in der Öffentlichkeit. Dein Standing wächst und du wächst als Spieler und als Persönlichkeit. Das ist ein Prozess, der dauert einfach.

Welcher Schritt in Ihrer Karriere war dafür der Wichtigste?

Der Wechsel zum FC Bayern. Man steht dort medial ganz anders im Fokus als in Leverkusen oder Kaiserslautern. Die Öffentlichkeit ist ein wesentlicher Part geworden im Fußball. Es gibt ja Spielertypen, die sind wirklich gut, aber die wollen halt nur Fußball spielen, die wollen nichts mit der Öffentlichkeit zu tun haben oder aber kommen damit nicht gut zurecht. Auf die Ausschläge nach oben und unten muss man vorbereitet sein. Dafür ist eine bestimmte Konstitution erforderlich. Du musst Kritik auch mal wegstecken können. Es gibt einige Spieler, die wollen sich dem nicht aussetzen, weil sie die negativen Begleiterscheinungen, wenn es mal nicht so läuft, einfach nicht ertragen.

Das trifft auf Sie aber nicht zu?

Ich habe mich jedenfalls nie abgeduckt. Wir wissen doch, wie das mediale Spiel funktioniert, wie Strömungen und Stimmungen aufkommen und beeinflusst werden. Ich bin meinen Weg gegangen. Es geht doch darum, dass man sich treu bleibt und im Sinne der Mannschaft immer loyal ist.

Was bedeutet das?

Die Mitspieler merken doch, ob da ein Spieler ist, der gefestigt ist, der charakterfest ist. Sie prüfen: Verkörpert der unsere Mannschaft? Ist das wirklich der, der mit allem zurechtkommt? Das kannst du natürlich nicht mit 22 oder 23. Das geht einfach nicht. Nehmen Sie den Bastian Schweinsteiger oder den Lukas Podolski, die haben jetzt 40 oder 50 Länderspiele. So viele hatte früher vielleicht ein gestandener 30-jähriger Nationalspieler. Beide brauchen Zeit zur Reife. Man darf ihnen nicht zu früh zu viel aufbürden.

Kann man Führen lernen?

Nein, lernen kann man das nicht. Führen muss man wollen!

Mit Ihrem Wechsel nach London haben Sie sich angreifbar gemacht: Sie mussten in einer fremden Sprache Ihre Ansprüche formulieren.

Falsch, denn das wesentliche Kriterium ist Durchsetzungsvermögen. Und das habe ich nicht in München gelassen. Wenn du immer wieder eine neue Herausforderung suchst und den Verein wechselst, insbesondere zu einem besseren, dann ist das riskant. Das ist wie eine Kampfansage an dich selbst und die Mannschaft dort. Es bedeutet nämlich, dass du in ein Gebilde einbrichst, das in aller Regel funktioniert. Du bist natürlich willkommen, weil du ein guter Spieler bist, aber du bekommst nicht alles auf dem Silbertablett serviert: So, wir haben jetzt für dich alles vorbereitet, nun übernimm mal bitte das Kommando.

Wie haben Sie es geschafft?

Neben der fußballerischen Qualität eben mit meiner Art und Weise. Ich habe mich nur so verhalten und eingebracht, wie ich das für richtig halte. Es gibt viele, die denken vielleicht gar nicht darüber nach und wollen einfach so einbrechen. Und scheitern dann oft.

Bei Ihnen hört sich das nach einem bewussten Vorgang an. Sind Sie nach London gegangen mit dem Vorsatz, dort zu führen?

Natürlich, sonst hätte ich diese Herausforderung doch gar nicht gesucht. Ich bin ein Spieler, der auf dem Spielfeld den Anspruch hat, eine bestimmte Position zu spielen und diese auch dominant auszufüllen. Ich kenne Spieler, ohne Namen zu nennen, mit denen ich zusammengespielt habe, da hatte ich das Gefühl, die wollen gar nicht wechseln, die sind mit ihrer Rolle zufrieden. Die hatten sich eine gewisse Position erkämpft, was Jahre gedauert hat. Diesen Vorgang noch einmal bei einem neuen Verein zu wiederholen, dazu bedarf es Durchsetzungsvermögen. Da wirst du als Mensch und als Spieler gefordert.

Sie hatten Startprobleme auf der Insel.

Was normal ist. Ich wusste allerdings, was mich erwartet, auch in der Presse. Die hat dann verlangt, dass ich mich sofort durchzusetzen und dieselbe dominante Rolle zu spielen habe wie zuvor. Vergessen wurde dabei nur, dass die Stufen bei mir immer höher und meine Mitspieler immer besser geworden waren. Das macht die Sache nicht einfacher.

Sie mussten kämpfen beim FC Chelsea.

Man versucht natürlich, diesen sportlichen Wettstreit um Führungspositionen erstmal einvernehmlich zu führen. Du triffst dort aber Athleten, mein Gott, die sind 22, 23 oder 24 und auf ihrem absoluten physischen Höhepunkt. Da musst du immer mithalten und deine fußballerischen Qualitäten reichen allein nicht aus. Da musst du auch Ellenbogen ausfahren und kannst dann eben nicht mit jedem Freund sein. Das geht auf diesem Niveau nicht, weil dein Konkurrent den gleichen Anspruch hat.

Sie waren verletzt, kehrten nach acht Monaten zurück und waren sofort der Chef. Wie geht das?

Als ich verletzt war, konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass ich mal den Klub als Kapitän aufs Feld führe. Ich hatte lange mit meiner Verletzung und mit mir zu kämpfen. Ich bin gestärkt aus dieser Situation hervorgegangen. Plötzlich hast du eine ganze andere Eigenmotivation. Ich kannte ja so etwas nicht. Ich war mal zwei Wochen draußen, hatte immer Ziele und Aufgaben, dieses Gefühl des Immer-Gewinnen-Müssens, um mal Oliver Kahn zu zitieren. Wenn du aber so lange raus warst, freust du dich über ganz einfache Dinge, etwa darüber, einfach wieder Fußball spielen zu können.

Kennen Sie Selbstzweifel?

Klar, aber nur was die Verletzung betraf. Ich hatte vier Monate keine Verbesserung bemerkt, aber dann konnte ich wieder laufen, am Ball arbeiten. Als der Knöchel die ersten Belastungen aushielt, wusste ich, dass ich es schaffe. Ich hatte nie Zweifel, dass ich da wieder rankomme oder die Erwartungen nicht erfülle. Dieses Selbstvertrauen, dass ich gut genug bin, hatte ich eigentlich schon immer. Sonst hätte ich diese Herausforderung auch nicht gesucht.

Herr Ballack, wer führt Sie, Ihr Kopf oder Ihr Bauch?

Beides, ich denke, man muss bei seinen Entscheidungen, selbst wenn sie im Kopf entstehen, immer ein gutes Gefühl haben, egal, was man tut. Klar macht man auch mal Fehler.

Kann man als Anführer Fehler zugeben?

Ja, warum nicht?

Es könnte an der Autorität kratzen.

Es kommt darauf an, wie stark die Fehler sind. Ich bin kein Trainer, ich stelle keine Mannschaft auf. Es gibt andere Anführer, die können schwerwiegendere Fehler machen. Als Fußballspieler kannst du eine schlechte Leistung bringen, trotzdem kannst du noch das entscheidende Tor schießen. Und dann bist du wieder der Mann. Über die Jahre habe ich vieles erlebt. Früher hat man gesagt, Dehnen ist gut, dann hat man wieder gesagt, Dehnen ist nicht gut. Ich denke, Fußball ist immer noch ein einfacher Sport. Mit relativ wenig Mitteln kann man relativ viel erzielen im Fußball, weil du innerhalb einer Mannschaft viel kompensieren kannst.

Sie müssen Ihre Rolle des Anführers sehr mögen. Im Sinne größerer Stabilität der Mannschaft beschnitten Sie sich um ihre offensiven Qualitäten. Haben Sie sich für die Mannschaft aufgeopfert?

Aufgeopfert? Ich weiß nicht. Arrangiert, sonst würde ich viel mehr Trara machen und eine Position einfordern, auf der ich mehr im Fokus bin und in der Offensive glänzen kann.

Womit wäre Deutschland erfolgreicher?

Wenn ich das Gefühl hätte, der eine oder andere wäre in einer anderen Position wichtiger, dann würde ich das sagen. So wie ich 2006 gesagt habe, dass wir mehr Stabilität in unserem Spiel brauchen. Ich habe nicht gesagt, so, jetzt stellt mal da einen zusätzlichen Sechser hin um mir den Rücken freizuhalten. Sondern ich habe auch gleich gesagt, ich möchte das selber machen, diese Position übernehmen und für Stabilität sorgen. Weil das gut für unsere Mannschaft war. Klar habe ich mich zurückgenommen, sonst würde ich etwas anderes spielen. Ich glaube aber, so sind wir besser.

Gewinnt Deutschland ohne Ihre Tore einen Titel?

Ich bin keine 23 mehr und muss hier keine vier oder fünf Tore schießen, um mich für einen tollen Vertrag anzubieten. Ich spiele bei einem Topklub, aber klar habe ich das Ziel, gut zu spielen und Tore zu schießen. Doch das steht halt nicht ganz oben, weil ich das schon nachgewiesen hab, dass ich das kann. Da brauche ich keinem was zu beweisen. Aber natürlich ist am Ende entscheidend, dass du mal einen Titel gewinnst. Du kannst als Einzelspieler gut spielen, wie jetzt in Moskau, aber am Ende zählt der Titel.

Wie lange wollen Sie noch führen?

Ich stecke noch mittendrin. Dieser Anspruch begleitet mich doch täglich. Das gehört zu meinem Leben. Und ich muss erst schauen wie es sein wird, wenn ich das nicht mehr jeden Tag habe. Vielleicht fehlt mir dann was, vielleicht suche ich mir was ganz anderes, ein bisschen mehr Entspanntheit, obwohl ich das jetzt nicht als sonderlichen Druck empfinde. Es gab mal Zeiten, als ich jünger war, da habe ich mich mit dem Thema Führung mehr auseinandergesetzt. Ich habe jetzt einen natürlichen Umgang damit gefunden.

Wer ist Ihr Nachfolger?

Schwer zu sagen.

Wenn Sie nicht mehr da sind, müssen Sie halt irgendwann Bundestrainer werden?

Ha, Sie sind ja gut.

Wieso lachen Sie? Schon einige vor Ihnen haben es vom Nationalmannschaftkapitän zum Bundestrainer gebracht…

… und derjenige hat nie daran gedacht. Genau so wenig wie Rudi Völler, der sich nie damit beschäftigt hat.

Ist doch aber ein verführerischer Gedanke, oder?

Auf jeden Fall ist es ein Beruf, der sehr viel mit Führung zu tun hat und mit Entscheidungskompetenz. Aber: Noch ist selten jemand das geworden, der sich vorher selbst ins Gespräch gebracht hat.


Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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