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Sport: Der kurze Ritt zu Olympia

Hongkong ist kurzfristig Teil der Pekinger Sommerspiele 2008 geworden – und bereitet sich enthusiastisch auf die Reiterspiele vor

Als Tak Nang Li unlängst die Wohnungsanzeigen einer Hongkonger Zeitung las, wunderte sich der Pressesprecher des Hong Kong Jockey Clubs (HKJC). „Wohnung in Sha Tin zu verkaufen“, las er dort, „mit gutem Blick auf die Olympischen Spiele 2008.“ Die Bewohner der riesigen Wohnsilos am Ufer des Shing-Mun-Kanals können im kommenden Jahr per Fernglas die olympischen Entscheidungen im Dressur-, Spring- oder Vielseitigkeitsreiten verfolgen, eine Vorstellung, die Tak Nang Li allerdings seltsam findet. „Im Fernsehen sieht man das doch viel besser“, sagte er.

Immerhin, es könnte passieren, dass zu den 19 000 offiziellen Zuschauern bei den olympischen Reiterwettbewerben in Sha Tin einige Balkongäste kommen. Gegenwärtig lohnt sich der Blick aus den Fenstern der unansehnlichen Wohnsilos aber nicht. Nur wenige Bauten weisen darauf hin, dass neben der Pferderennbahn im Hongkonger Stadtteil Sha Tin vom 9. bis zum 21. August 2008 die Reiterwettbewerbe der Sommerspiele von Peking stattfinden werden. Lediglich ein mit Spezialsand ausgelegtes Viereck, die Flutlichtmasten und der Rohbau der Stallungen sind fertiggestellt. Die Zuschauertribünen fehlen, und das Hong Kong Sports Institute leugnet weiterhin nicht seine Fertigstellung in den siebziger Jahren. Dabei soll in dem blassgelben Gebäude mit den zerbrochenen Fensterscheiben in 14 Monaten die Polit- und Sportprominenz empfangen werden. Doch die Olympischen Spiele von Hongkong liegen trotzdem im Zeitplan – bedenkt man, dass die Stadt erst seit zweieinhalb Jahren weiß, dass sie Teil der Spiele ist.

Winfried Engelbrecht-Bresges lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Vor zweieinhalb Jahren war ich gerade in Europa, als mich ein Vorstandskollege anrief“, erzählt der Vorstandschef des Hong Kong Jockey Clubs und als solcher eine der einflussreichsten Persönlichkeiten Hongkongs. Ob es machbar sei, dass die Stadt die Reiterwettbewerbe ausrichte, lautete die Frage. Winfried Engelbrecht-Bresges antwortete: „Ich komme sofort zurück.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Organisationskomitee für die Spiele 2008 (Bocog) festgestellt, dass der ursprüngliche Plan, die Reiterwettbewerbe in Peking auszurichten, nicht durchführbar ist. Er hatte wegen der rigiden Veterinärsbestimmungen wie bei den Spielen in Sydney einen großräumigen Quarantänebereich vorgesehen. „Aus einem Umkreis von 25 Kilometern hätten in Peking jeder Hund und jede Katze herausgebracht werden müssen“, erzählt Winfried Engelbrecht-Bresges, „außerdem hätte ein riesiges Schlachthaus geschlossen werden müssen.“ Schließlich wandte sich das Pekinger Organisationskomitee an Hongkong, das seit 1997 als Sonderverwaltungszone (SAR) politisch zu China gehört. Die Stadt hat als Zentrum für Pferderennen Erfahrung mit den entsprechenden Veterinärs- und Quarantänebestimmungen. Engelbrecht-Bresges flog zurück und half innerhalb von vier Tagen eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. „Wir haben der Hongkonger Regierung gesagt, wir können es machen“, erinnert er sich, „aber es gibt zwei Nachteile: Das Hong Kong Sports Institute muss für zwei Jahre geschlossen werden, und wir brauchen den Golfplatz in Beas River für das Geländereiten.“ So kam es.

Im kommenden August werden nun 3000 Kilometer die Dressur-, Spring- und Vielseitigkeitsreiter von den Olympischen Spielen in Peking trennen. „Das ist natürlich nicht schön“, sagt die vierfache Dressur-Olympiasiegerin Isabell Werth, „aber es ist besser, als überhaupt nicht dabei zu sein.“ Es wird allerdings schwierig werden für die 200 Reiter, den olympischen Geist zu spüren. Statt in einem olympischen Dorf werden sie in einem Hotel in der riesigen, 750 000 Einwohner zählenden Trabantenstadt Sha Tin wohnen. Zwar wollen die Organisatoren für die Olympia-Teilnehmer Flugtickets nach Peking zur Verfügung stellen. „Hier gibt es 20 Flüge pro Tag nach Peking, das ist wie in den Bus zu steigen“, sagt Engelbrecht-Bresges. Doch die Athleten werden wohl eher auf den weiten Weg verzichten und sich eher in den vier labyrinthischen Einkaufszentren von Sha Tin verlaufen oder das Kloster der 10 000 Buddhas besuchen. Denn welcher Reiter lässt gerne sein Pferd länger alleine?

Zumal die feuchtschwüle Augusthitze eine Herausforderung für die Tiere darstellen wird. Im August misst Hongkong durchschnittlich eine Höchsttemperatur von 31,3 Grad und eine relative Luftfeuchtigkeit von 81 Prozent. Der HKJC baut zurzeit klimatisierte Stallungen und Trainingshallen. Die schwierigen klimatischen Bedingungen haben bei den Reitern bisher die größte Kritik hervorgerufen.

Die Bevölkerung hingegen begeistert sich für die Spiele. „Die Stadt hätte sonst nie eine Chance darauf gehabt“, sagt Tak Nang Li. Mehr als 12 000 Menschen haben sich bereits für Jobs als Olympia-Helfer gemeldet. „Die Stimmung ist positiv“, sagt der Sprecher des Hong Kong Jockey Clubs, „das wäre vielleicht anders, wenn für die Ausrichtung Steuergelder verwendet würden.“ Doch Hongkongs Bürger profitieren von der Sonderstellung des Hong Kong Jockey Clubs. Dieser ist eine gemeinnützige Organisation, die ein Monopol für Pferdewetten und Lotto besitzt. Mit jährlich 1,2 Milliarden Euro ist der HKJC der wichtigste Steuerzahler der Stadt. In den vergangenen zehn Jahren spendete der Klub eine Milliarde Euro für Wohltätigkeitsprojekte. Diese werden durch das 80 Millionen Euro teure Olympiaprojekt nicht beeinträchtigt. „Wir nehmen das Geld aus unserem operativen Budget“, sagt Winfried Engelbrecht-Bresges. Sein Klub ist für die Fertigstellung der Wettbewerbsstätten verantwortlich.

Was aber hat Hongkong von den Olympischen Spielen 2008, die weltweit mit Peking in Verbindung gebracht werden? Engelbrecht-Bresges sagt: „Diese Stadt hat eine Can-do-Attitüde, wir können so etwas auch in kurzer Zeit schaffen.“ Außerdem habe die Olympia-Ausrichtung eine politische Symbolik: Hongkong kommt auf diese Weise China zur Hilfe, dem politischen Mutterland.

In der kommenden Woche werden in den Hongkonger Reisebüros der „China Travel Services“ rund 60 000 Karten für die Reiterwettbewerbe in den Verkauf gehen. Die Preise sind noch nicht bekannt, sollen aber günstig sein. Wer leer ausgeht, hat noch eine zweite Möglichkeit, bei den Spielen dabei zu sein: Er kann eine Wohnung am Shing-Mun-Kanal kaufen. Das allerdings wird richtig teuer.

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