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Zwischenstation Halbfinale. Dimitrij Ovtcharov hat in London noch viel vor.Foto: dapd

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Sport: Der letzte Europäer

WETTKAMPF DES TAGES: Dimitrij Ovtcharov ist hinter Timo Boll nur Deutschlands Nummer zwei, aber in London spielt er das Tischtennisturnier seines Lebens und fordert im Halbfinale den Weltmeister aus China heraus.

China zittert und sieht kreidebleich aus. Das spürte der Weißrusse Wladimir Samsonow zu seiner Überraschung, als er Chinas Tischtennis-Cheftrainer Liu Guoliang nach dem Spiel die Hand gab, wie es so üblich ist im Tischtennis. Samsonow hatte gerade gegen Weltmeister Zhang Jike verloren, aber erst im letzten Satz. Er hatte den Chinesen am Rand einer Niederlage. Nicht auszudenken, was das bedeutet hätte: Der Weltmeister scheitert im Achtelfinale. Allein die Vorstellung schien Liu Guoliang, selbst Olympiasieger und Mastermind seines Sports, richtig mitgenommen zu haben. Das fiel Samsonow sofort auf, als er Liu Guoliangs Hand schüttelte und vergeblich die Farbe in dessen Gesicht suchte. Sind die Chinesen vielleicht diesmal zu besiegen, wenn selbst der Großmeister seine Coolness verloren hat?

Diese Geschichte macht bei den Tischtennisspielern gerade die Runde. Sie ist auch schon bei Dimitrij Ovtcharov angekommen. Der hört sie gerne. Ovtcharov trifft an diesem Donnerstag im Halbfinale auf Zhang Jike (11 Uhr), um auszuspielen, wer von beiden wenige Stunden später um Bronze kämpft (15.30 Uhr) und wer um Gold (16.30 Uhr). „Ich gehe sehr optimistisch in dieses Spiel. China hat so viel Druck“, sagt Ovtcharov.

Dimitrij Ovtcharov, 23 Jahre alt, geboren in Kiew, aufgewachsen in Niedersachsen, Zwölfter der Weltrangliste, ist der letzte Europäer im olympischen Tischtenniswettbewerb. Diesen Part hat er von Timo Boll übernommen. Wenn im Tischtennis am Ende die Asiaten, vor allem die Chinesen, die Medaillen unter sich ausspielten, konnte sich Boll meist als Einziger zwischen sie schieben. Zuletzt bei der WM 2011, als Boll Bronze gewann. Doch in London schied Boll schon im Achtelfinale gegen den Rumänen Adrian Crisan aus, Dimitrij Ovtcharov dagegen spielt bisher das Turnier seines Lebens.

Im Viertelfinale besiegte er am Dienstagabend den Dänen Michael Maze. Der war lange verletzt, aber seinen Spielwitz hat er nicht verloren. Ständig denkt er sich böse Überraschungen für den Gegner aus, unerwartete Platzierungen und Schläge. Nicht leichter wurde es für Ovtcharov dadurch, dass beide gut befreundet sind. „Im vergangenen Jahr haben wir zusammen mit unseren Freundinnen ein paar Tage Urlaub in der Türkei gemacht. Er hat mich auch in meinen schweren Zeiten unterstützt und ich ihn in seinen“, erzählte Ovtcharov.

Die Begegnung schien Ovtcharov auch aus der Hand zu gleiten. Er gewann den ersten Satz, verlor dann die Kontrolle über das Spiel, lag mit 2:3-Sätzen hinten, kämpfte sich aber noch einmal zurück. Auch im finalen siebten Satz legte er noch einmal zu, und auf einmal war er es, der seinen Gegner auf dem falschen Fuß erwischte, in dem er seine Aufschläge lang und schnell spielte. „Das ist einer der glücklichsten Momente in meinem Leben“, sagte Ovtcharov. Am Ende revanchierte sich Maze bei ihm. Als Ovtcharov gerade einige Interviews gab, schlich sich der Däne von der Seite an – und zog Ovtcharov die Hose runter.

Der Spaß bei Olympia soll für Ovtcharov weitergehen, da kann ruhig ein Chinese kommen. „Ich habe Zhang Jike schon einmal geschlagen, 2010 bei den Danish Open. Wenn man dranbleibt, kann man solche Spiele auch gewinnen.“ Sein letztes Erlebnis gegen China war nicht ganz so glücklich. Bei der WM im Mai in Dortmund konnte er eine Führung gegen den Weltranglistenersten Ma Long nicht nutzen. „Ich war so bereit in Dortmund, aber was soll’s“, seufzte Ovtcharov am Dienstagabend. Dirk Schimmelpfennig, der Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB), versuchte außer Liu Guoliangs nervösem Händedruck noch weitere Indizien für Chinas Besiegbarkeit zu finden. „Ihre beiden Einzelspieler Zhang Jike und Wang Hao sind beide noch nicht Olympiasieger im Einzel geworden. Sie haben also inneren und äußeren Erwartungsdruck. Sie sind zum Siegen verpflichtet.“

Die Chinesen überlassen wieder einmal nichts dem Zufall. Ein chinesischer Geschäftsmann hat extra seine Wohnung um die Ecke der Wettkampfarena geräumt, damit sich chinesische Spieler zwischen Halbfinale und Finale noch einmal ausruhen können, ohne dafür ins olympische Dorf fahren zu müssen. „Wir sind aber auch gut vorbereitet“, sagte Schimmelpfennig. Der Präsident des DTTB werde gerne sein Hotelzimmer in der Nachbarschaft für Dimitrij Ovtcharov räumen.

Der Däne Maze zog

Ovtcharov im Viertelfinale

die Hose runter

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