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Gut gebrüllt, Trainer. Holger Stanislawski wird von Hoffenheims Spielern vor allem für seine emotionalen Ansprachen gelobt. Foto: Reuters

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Sport: Der liebenswerte Diktator

Trainer Holger Stanislawski schafft in Hoffenheim ein Gefühl der Zusammengehörigkeit

Wenn nicht nur Laufwege der Hoffenheimer Spieler, sondern die von Holger Stanislawski und seines Assistenten Andre Trulsen aufgezeichnet würden, käme sicher ein bemerkenswertes Stück zeitgenössischer Kunst heraus. Was die beiden am Spielfeldrand aufführen, gleicht oft einem experimentellen Tanztheater, ursprünglich, leidenschaftlich und ansteckend. Als der Trainer der TSG Hoffenheim einmal ruhig auf einem Fleck verharrte, dirigierte er, mitten auf dem Rasen stehend, seine Mannschaft bei ihrer Stadionrunde. Nach dem 1:0 über Borussia Dortmund lenkte der 41-Jährige seine Spieler wie ein Fluglotse vor alle vier Tribünenseiten. In dem Moment erschloss sich jedem, was Hoffenheims Kapitän Andreas Beck meinte, als er von Stanislawski sagte: „Er ist der Kopf der Mannschaft.“

Die Badener gewannen wie schon in der vergangenen Saison mit 1:0 gegen Borussia Dortmund. Diesmal aber fühlt sich der Sieg anders an. Die Mannschaft sei der Gewinner, so die offizielle Botschaft damals wie heute. Das ist diesmal aber eben nur die halbe Wahrheit. Vieles bündelt sich beim Cheftrainer. „Der Trainer sorgt für Emotionen an der Linie, das tut allen gut“, sagte Beck. Sejad Salihovic hatte mit einem fulminanten Freistoß zum Sieg getroffen.

Der Sieg fiel am Ende zwar glücklich aus, weil müde Dortmunder spät in Fahrt kamen und dann in der zweiten Hälfte viele Chancen ausließen. Zu dem Zeitpunkt waren Mario Götze und Shinji Kagawa nach Kraft raubenden Länderspieleinsätzen schon vom Feld gegangen. Dortmunds Trainer Jürgen Klopp beklagte sich über Auswirkungen der Lobeshymnen für den neuen Volkshelden Götze nach dem 3:2-Sieg über Brasilien.

Das Problem, mit Stars und den Auswirkungen solcher Fußballfeste umgehen zu müssen, hat Holger Stanislawski im beschaulichen Kraichgau nicht. Die Stars Luiz Gustavo und Carlos Eduardo sind weg. An deren Stelle ist der „liebenswerte Diktator“ oder „verrückte Hamburger“ (Stanislawski über Stanislawski) der Star, obwohl er sich dagegen wehrt und bei jeder Gelegenheit vom neuen „Wir-Gefühl“ einer Mannschaft predigt, als sei das die neue Religion in Hoffenheim. Das Ergebnis sei gar nicht so wichtig, habe er dem Team vor dem Spiel gegen Dortmund gesagt. „Wir wollten sehen, wie wir die Niederlage in Hannover wegstecken und wie diszipliniert wir spielen können“, sagte Stanislawski, der sich wunderte, „was hier alles rauskommt“. Die Journalisten hatten von der emotionalen Rede Stanislawskis an seine Mannschaft gehört. „Wenn jetzt noch einer die Farbe meiner Unterhose weiß, mach’ ich mir Gedanken“, sagte Stanislawski. Doch der Maulwurf, der Interna ausgeplaudert hatte, war schnell gefunden. „Das war Tom Starke im Fernsehen“, petzte Klopp. Der Keeper hatte von einer leidenschaftlicher Ansprache des Trainers berichtet, „wie ich sie als Profi noch nie gehört habe“.

Starke wollte sich trotz seiner guten Leistung nicht profilieren. Nach dem Aufstieg 2007/2008 wurde in Hoffenheim über Stars vom anderen Stern geredet und geschrieben. Deshalb wird nun von allen Seiten Wert darauf gelegt, als Team wahrgenommen zu werden. Das ist vor allem dank der Hilfe des „positiven Menschen“ (Mäzen Dietmar Hopp) Stanislawski möglich. Der überspielt mit seinem Charme alle Schwächen der Mannschaft: Die Probleme in der Abwehr, die Abschlussschwäche von Ryan Babel, er stuft bisherige Tabuthemen zu beiläufigen Alltagssorgen herunter, wenn er erzählt, man sei dabei „das Trauma der Herbstmeisterschaft von 2008 zu verarbeiten“. Damals war Hoffenheim nach einer famosen Hinrunde unsanft aus allen Träumen gestürzt. Im Training lebt Stanislawski dosierte Lockerheit vor und lässt zu Musik Wettbewerbe durchführen, an deren Ende die Strafe für die Verlierer aus einer Tanzeinlage vor aller Augen bestehen.

Der Sieg über Dortmund habe ihnen Selbstvertrauen gegeben, sagte Torwart Starke. Und trotzdem werden sie sich in Hoffenheim davor hüten, nun große Saisonziele zu formulieren. Diese würden das Team vermutlich nur hemmen. Man übt sich in Bescheidenheit. Und in kleinen Schritten.

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