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Novak Djokovic steht fast im Spagat auf dem Rasen on Wimbledon.

© afp

Der Rasen in Wimbledon: Rutschpartie auf gefährlichem Grün

Neben dem frühen Ausscheiden einiger Topstars ist in diesem Jahr in Wimbledon ein weiteres Phänomen zu beobachten: Es gibt so viele verletzungsbedingte Aufgaben wie noch nie. Liegt es am Rasen?

Neil Stubley ist in diesen Tagen wahrlich nicht zu beneiden. Es ist sein erstes Jahr als Head Groundsman im All England Club, als oberster Verantwortlicher also über jeden Grashalm von Wimbledon. Und prompt war das Geschrei der Spieler über die Qualität des heiligen Rasens so groß wie nie zuvor. Permanent ist der 44 Jahre alte Brite mit mehreren Walkie Talkies gleichzeitig zugange, ständig auf einem der 20 Courts gefordert. Und dauernd steht Stubley unter Beschuss. Nie zuvor hatte man so viele Spieler ausrutschen sehen wie in diesem Jahr, und der Schuldige war schnell ausgemacht. Bis Donnerstag hatten insgesamt neun Spieler ihre Drittrundenpartie nicht antreten können oder gaben mittendrin auf. Das ist ein Novum in der Geschichte der Open Era.

Insgesamt mussten schon zwölf Akteure passen. Manche wiederum, wie Maria Scharapowa oder Caroline Wozniacki, zogen sich bei ihren Niederlagen Verletzungen zu, weil sie mehrfach den Halt verloren. „Dieser Platz ist gefährlich“, raunzte Scharapowa die Schiedsrichterin an und erklärte nach ihrem Aus, sie sei in ihrem ganzen Leben noch nicht „so oft in einem Match hingefallen“. Die Weltranglistenzweite Victoria Asarenka, die sich beim Sturz in der ersten Runde das Knie schlimm verdrehte und nicht mehr antreten konnte, ging noch weiter: „Bei mir war es übel, andere Spieler sind auch ständig ausgerutscht – der Club sollte mal untersuchen, was hier eigentlich los ist.“

Doch Stubley wird nicht müde zu betonen, dass man „zu hundert Prozent glücklich“ sei mit den Plätzen und sie nicht anders wären als in den Jahren zuvor. Über zwei Jahrzehnte hinweg hatte der legendäre Eddie Seaward darüber gewacht, dass die Halme täglich auf perfekte acht Millimeter getrimmt wurden. Er galt als „Rasenflüsterer“, seinen Lehrling schlägt nun umso lauter die Kritik entgegen. „Sobald es bloß etwas bewölkt ist“, monierte auch Novak Djokovic, „saugt das Gras die Luftfeuchtigkeit auf und es wird extrem rutschig.“ Die Rasenmischung ist die gleiche wie eh und je, das Wetter auf der Insel war es jedoch nicht. England erlebte den kältesten und nassesten Mai seit über 50 Jahren, so hatten die Courts offenbar nicht genügend Zeit, um ausreichend zu trocknen.

Rasen ist generell der rutschigste Untergrund im Tennis, ein unberechenbarer noch dazu. Und besonders in den ersten Runden des Turniers ist das schon immer so gewesen. In der zweiten Woche, wenn von den Grashalmen an der Grundlinie nur noch brauner Sand übrig geblieben ist, wird es dann besser. „Es liegt nicht an den Plätzen“, meinte der siebenmalige Grand-Slam-Sieger Mats Wilander, „die Spieler bewegen sich einfach nicht richtig. Deshalb stolpern sie.“ Die mangelnde Vorbereitung sei der Hauptgrund. Die Zeit zwischen der Sandplatz- und der Rasensaison ist extrem kurz, dabei gilt die Umstellung zwischen diesen beiden Belägen als die heikelste.

Monatelang sind es die Spieler gewohnt, auf Asche in die Bälle zu rutschen, nun stoppt der Fuß schon mal unerwartet an einem Erdhuckel, und man knickt um. Die Richtungswechsel sind zudem knifflig, und ohnehin müssen die Akteure nun deutlich tiefer in die Knie gehen und sich auf jeden Schritt konzentrieren. Wer sich etwas zu plump bewegt, rutscht aus. Vielen fällt das schwer, vor Wimbledon haben die meisten nur ein paar Matches auf Rasen gespielt. Wenn überhaupt, denn eine wie Scharapowa war direkt von den French Open ohne Wettkampfpraxis nach Wimbledon gereist – mit den sichtbaren Folgen. „So ist das eben“, meinte Stubley, „wir stehen hier immer im Fokus, aber wir tragen es mit Fassung.“

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