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Sport: Der Schuss ging daneben

Sportschützen haben selten die Chance, berühmt zu werden – Sonja Pfeilschifter hat sie verpasst

Wie ein Tornado, der sich um sein Zentrum dreht, rollt ein Knäuel chinesischer Journalisten durch die Mixed-Zone des Markopoulo Shooting Centers. Sie drängeln, drücken, schieben. Im Auge des menschlichen Sturms bewegt sich Du Li, eine zierliche chinesische Sportschützin mit Pferdeschwanz. Der wilde Haufen nähert sich langsam den Journalisten anderer Länder, bringt eine eiserne Barriere ins Schwanken, schubst herumstehende Menschen – und verschwindet langsam durch eine Metalltür.

Das hätte auch Sonja Pfeilschifter passieren können. Vielleicht wären die deutschen Pressevertreter körperlich zurückhaltender gewesen, doch der sportliche Ruhm, den Du Li am Samstag ereilte, hätte auch der Bundeswehr-Unteroffizierin aus Eching zuteil werden können. Die chinesische Luftgewehrschützin hat mit dem neuen Olympischen Rekord von 502 Ringen die erste Goldmedaille gewonnen, die bei den 28. Olympischen Spielen zu vergeben waren. Einen Lorbeerkranz durfte sie sich auch noch auf den Kopf setzen. Sonja Pfeilschifter bekam gar nichts, sie landete mit 498,7 Ringen auf dem sechsten Platz. „Ich habe gar nicht daran gedacht, dass es die erste Medaille ist“, sagte die Deutsche.

Dass freilich fällt schwer zu glauben. Alle vier Jahre spielt sich das gleiche Schauspiel ab. Wer die erste Medaille für Deutschland gewinnt, wird für eine gewisse Zeit bekannt. In Sydney konnte der Bahnradfahrer Robert Bartko den ersten Erfolg für Deutschland verbuchen, später erhielt er einen Vertrag in einem Profiradteam. Für eine Randsportart wie das Schießen ist eine erste Medaille eine der wenigen Möglichkeiten, von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Ungewöhnlich viele deutsche Medienvertreter hatten Pfeilschifters Wettkampf verfolgt. Wenn Ralf Schumann mit der Schnellfeuerpistole in der kommenden Woche antritt, werden sich weniger auf den Weg zum Schießzentrum in Markopoulo machen.

Sonja Pfeilschifter aber nahm die vergebene Chance locker. „Es war klar, dass ich die ersten drei nicht mehr einholen kann“, sagte die 33-Jährige. Bereits nach dem Vorkampf, in dem sie sich eine Acht leistete, lag sie relativ aussichtslos zurück. Im vierten Durchgang des Finales verlor sie dann endgültig eine Medaillenchance. Während ihre sieben Konkurrentinnen ihren Schuss bereits abgegeben hatten, dauerte es sehr lange bis Sonja Pfeilschifter ihren Schuss auslöste. In Zeitnot sei sie aber nicht geraten, sagte die Niederbayerin. „Ich weiß, dass ich die Zeit habe, meine Atemtechnik ein zweites Mal anzusetzen.“ Doch auch die zweite Konzentrationsphase nutzte nichts: Sie schoss eine 9,1. Es war ihr schlechtester Schuss im Finale. Der vergebenen Möglichkeit auf nachhaltige Bekanntheit trauert sie jedoch nicht nach. „Ich habe mir diesmal keinen Druck gemacht", sagte Pfeilschifter. Seit drei Wochen gab sie keine Interviews mehr, um nicht unnötige Erwartungen zu wecken. Aber Ruhm ist manchmal ohnehin ein untreuer Begleiter. Als Du Li eineinhalb Stunden später das Schießzentrum durch den Haupteingang verließ, hatte sie der wilde Haufen wieder verlassen. Ihr Trainer hielt ihr die Türe auf. Immerhin.

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