zum Hauptinhalt

Sport: Der Sieg des Geistes über den Körper

Von Erik Eggers Manchester. Klaus Toppmöller hatte es schon vorher gewusst.

Von Erik Eggers

Manchester. Klaus Toppmöller hatte es schon vorher gewusst. „Ich kenne meine Jungs“, verbreitete der Trainer Bayer Leverkusens nach dem grandiosen 2:2 im Champions-League-Halbfinalhinspiel bei Manchester United, „mir war nach dem letzten Wochenende klar, dass hier eine Trotzreaktion kommen würde". Allein dieser Satz sprach für die Respektlosigkeit, mit der die Mannschaft nach der Heimniederlage gegen Bremen nach Nordengland gefahren war. Keinesfalls wollte sie erneut eine Niederlage einstecken, das Gerede von einem zweiten Unterhaching sollte endgültig verstummen. Dass der Gegner Manchester United hieß, geriet zur Nebensache. Eine Majestätsbeleidigung, aber so war es.

Und so bot sich der Fußballwelt nichts anderes als eine veritable Sensation im Stadion Old Trafford, das Bobby Charlton einst „Theater der Träume" genannt hatte. Zweimal holte Bayer einen Rückstand in einer Art und Weise auf, die ein großes Team von einer gewöhnlichen Fußballmannschaft unterscheidet. Zweimal zogen die Leverkusener völlig unbeeindruckt weiter. Der erste Gratulant meldete sich nach dem Schlusspfiff am Telefon: Bundeskanzler Gerhard Schröder. „Wir sind eine große Mannschaft. Ich genieße es, hier und jetzt mit diesen Leuten zu spielen“, schwärmte Mittelfeldstratege Michael Ballack, der in der kommenden Saison zu Bayern München wechselt.

Nur in wenigen Momenten schimmerte jene Übermotivation durch, mit der das Leverkusener Spiel am Samstag noch in große Unordnung geraten war. Etwa in der Szene, in der sich Lucio nach dem Elfmeterpfiff gegen Zé Roberto den Ball griff und ihn auf die Tribüne drosch. Lucio fühlt sich immer persönlich gekränkt, entscheidet der Schiedsrichter gegen ihn oder will ihm gar jemand bei seinen atemberaubenden Sololäufen den geliebten Ball abnehmen.

Zum Glück für Bayer reagierte der Rest der Mannschaft nicht so wütend wie der Brasilianer, sondern abgeklärt, cool, auf die Chance lauernd. Wie eine europäische Spitzenmannschaft. Diese Chuzpe schockierte nicht nur das Publikum des nach einem Verständnis besten Klubs der Welt, sondern auch Weltstars wie Veron, Blanc und Scholes. „Wir wirkten nervös in der Verteidigung“, sagte Trainer Alex Ferguson, und das war eine gehörige Untertreibung angesichts der Machtlosigkeit, mit der seine Abwehr den fulminanten Angriffsoperationen etwa des überragenden Yildiray Bastürks zusehen musste. Eine beängstigende Vorstellung muss es für ManU sein, dass der kleine Türke auch im Rückspiel mit seinen Dribblings und Pässen mühelos die Defensive zerschneidet.

Der spielerisch betonte Stil Leverkusens scheint dem körperbetonten Spiel englischer Mannschaften nicht zu behagen. „Wir wussten, dass wir sie mit unserem Kurzpass-Spiel in Schwierigkeiten bringen würden“, sagte Toppmöller hinterher, „so konnten die ihre große Zweikampfstärke nicht ausspielen.“ Und tatsächlich ließen die Kombinationen der Leverkusener kein Tackling der Engländer zu. Wie eine Fata Morgana musste das auf den Favoriten wirken. Wie ein Sieg des Geistes über den Körper.

Dennoch hatte Alex Ferguson seinen Optimismus nicht verloren. „Wir werden mindestens ein Tor schießen in Leverkusen“, versprach der Schotte, der unbedingt das Endspiel gegen Real Madrid in seiner Heimat Glasgow bestreiten will. Und auch Toppmöller weiß, dass „Manchester jederzeit auch auswärts ein Spiel entscheiden kann".

Trotzdem muss Leverkusen, vor allem nach seinem furiosen Auftritt beim 4:2-Viertelfinalsieg gegen den FC Liverpool, nun als Favorit für das Rückspiel gelten. Die bislang immer verspotteten Leverkusener Fans übten schon einmal für höhere Aufgaben. In Manchester hatten sie, wer hätte das je für möglich gehalten, am Ende die akustische Herrschaft in Old Trafford übernommen. So mirakulös war das gewesen, was ihnen auf dem Platz geboten worden war, dass sie sich fünf Minuten nach Ende sogar trauten, mit „ManU, ManU – ha, ha, ha"-Rufen die verbliebenen heimischen Fans zu verhöhnen. Auch dieses Detail zeigte: Im europäischen Fußball ist am Mittwochabend eine Revolution ausgebrochen.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false