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Sport: Der stille Kommandant

Wie sich der unauffällige Markus Baur zum Handballer des Jahres entwickelte

Viseu. Wie oft hat Markus Baur in der Vergangenheit nicht schon den Schattenmann spielen müssen im deutschen Handball. Sie haben ihn mal Lückenbüßer, mal Notnagel genannt, so oft ist er vor großen Turnieren noch nachnominiert worden in die Nationalmannschaft. Vor den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta wurde er gar erst so spät berufen, dass er nicht einmal einen eigenen Kleidersatz bekam und im Trikot des verletzten Petkevicius antreten musste. Doch diese Zeiten sind lange passé. Spielt Baur doch heute, da die deutschen Handballer bei der Weltmeisterschaft in Portugal nach dem Titel greifen, einen zentralen Part bei diesem Unternehmen: In Auszeiten ist er es, der das Wort ergreift, er sagt die Spielzüge im Angriff an, er bestimmt den Rhythmus.

Bundestrainer Heiner Brand hat, als feststand, dass der etatmäßige Spielführer Daniel Stephan verletzungsbedingt ausfallen würde, Baur ja nicht nur deswegen zum Kapitän bestimmt, weil er dessen große Spielkultur und seine teilweise brillanten Ideen auf der wichtigen Mittelposition schätzt. Baur verkörpert die Vorstellungen Brands auf dem Spielfeld, und die große Routine des 32-Jährigen soll so junge Nebenspieler wie Pascal Hens beruhigen.

Längst ist Markus Baurs Wert auch den Fans bewusst. Wie das Fachorgan „Handball-Woche“ jetzt dem Tagesspiegel vorab bekannt gab, haben sie Baur zum Handballer des Jahres 2002 gewählt, mit großem Abstand vor Kreisläufer Christian Schwarzer (TBV Lemgo) und Stefan Kretzschmar (SC Magdeburg). Es ist Baurs zweite Ehrung nach 2000, und es darf als sicher gelten, dass ihm diese Auszeichnung wieder ein wenig peinlich ist. Wenn man ihn so anschaut in diesen Momenten, ist deutlich sein Unbehagen darüber zu spüren, dass sich so viele Augenpaare auf ihn richten. Deswegen mag er es auch nicht so gern, wenn man ihn anspricht auf seine neue Rolle als Kapitän. „Eigentlich hat sich damit gar nichts verändert in der Mannschaft“, sagt er dann, verschränkt die Arme und geht in Verteidigungshaltung. Er legt allergrößten Wert darauf, dass der Kapitän bei uns kein Zampano ist, kein Lautsprecher wie früher ein Lothar Matthäus im Fußball. Sie alle wüssten ja, dass ohne die Mitspieler nichts gehe. Nichts hat sich verändert? „Na ja, man kann dem Trainer vielleicht etwas mehr vorschlagen.“

Baur ist für seinen zurückhaltenden und bodenständigen Charakter bekannt. „Er hat schon früh Aufschneider gehasst“, sagt sein Vater Manfred und erzählt die Geschichte vom ersten großen Angebot, das den noch jugendlichen Baur erreichte. Damals versprach ihm der Trainer der deutschen Weltmeister von 1978, Vlado Stenzel, aus ihm beim TSV Milbertshofen einen Handballstar zu formen, und auch der Manager lockte ihn mit damals unvorstellbaren Summen nach München. Baur lehnte ab. Er wollte lieber zu Hause bleiben, am Bodensee beim heimischen TSV Mimmenhausen, weil er auf seine gewohnte Umgebung nicht verzichten wollte. Die Leute aus seinem Umfeld sagen: Geschadet hat es seiner Karriere nicht.

Gleichwohl: Es war ein langer, steiniger Weg zu der großen Wertschätzung, die Baur heute genießt. Weil er, wie auch sein Vater Manfred meint, „nicht immer dorthin geht, wo es wehtut“, will heißen: Er sucht die in seiner Sportart an sich unvermeidlichen Zusammenstöße auf dem Spielfeld zu vermeiden. Andererseits hatte Baur, der hofft, sein parallel laufendes Sportstudium in Frankfurt bald zu beenden, es laut seinem ersten Trainer auch nie nötig. „Er war immer schneller als die anderen, körperlich und gedanklich.“ Spätestens jetzt, nach Stationen in Pfullingen, Wallau-Massenheim, Niederwürzbach und Dutenhofen, werden seine Qualitäten geschätzt. Denn nun, da er beim TBV Lemgo neben Daniel Stephan für die Spielgestaltung zuständig ist, hält ihm niemand mehr ein zu körperloses Spiel vor. Ihm wird der Respekt entgegengebracht, den er verdient.

Respekt, das ist überhaupt die geeignete Vokabel. Geliebt werden ja Stars, und ein solcher ist Markus Baur nicht, und er will auch keiner sein. Aber wenn sie tatsächlich Weltmeister werden in Portugal, dann wird er sich auch damit abfinden müssen. Er könnte sich damit vermutlich arrangieren.

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