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Sport: Der Traum vom späten Abenteuer

Haas hofft mal wieder auf den Durchbruch im Tennis

Eigentlich wäre schon um 22 Uhr 30 Bettzeit gewesen, schließlich stand am nächsten Tag sein Zweitrundenspiel bei den US Open an. Doch Thomas Haas konnte sich dem Reiz des Fernsehers nicht entziehen, der ihm live aus dem Arthur-Ashe-Stadion den epischen Kampf zwischen Andre Agassi und Marco Baghdatis ins Hotelzimmer servierte. Als Agassi nach mehr als dreieinhalb Stunden endlich gewann, war es weit nach Mitternacht, bevor Haas den Kasten ausschaltete. Bereut hat er es nicht. „Es war witzig und phänomenal, da zuzusehen, es war Abenteuer pur“, beschrieb er hernach sein Erlebnis. „Solche Matches sind einfach unglaublich, dafür spielt man Tennis.“

Bis jetzt war es dem Deutschen selten vergönnt, an einer Partie, die die Zeit überdauert, einem historischen Sieg gar, teilzunehmen. Das Glück der günstigen Auslosung beschert jedoch dem zweiten Deutschen, der es bis in die dritte Runde des Turniers geschafft hat, ein Treffen mit Agassi, der bei seiner Abschiedsveranstaltung alle anderen überschattet. Statt auf Haas als besten deutschen Tennisspieler fällt damit unverhofft das Rampenlicht auf Benjamin Becker vor der Partie, die am Samstagabend (Ortszeit) angesetzt, jedoch von Regen und Sturm bedroht war. Der 25-Jährige, der die vergangenen vier Jahre mit College-Tennis im texanischen Waco verbrachte und es gerade erst unter die besten Hundert der Welt schaffte, durfte gar im großen Interview-Raum seine Geschichte den amerikanischen Medien erzählen.

Haas dagegen blieb einmal mehr nur ein unscheinbarer Nebenschauplatz nach seinem ungefährdeten Zweitrunden-Erfolg gegen den Niederländer Raemon Sluiter (6:4, 6:2, 6:3). Sollte er auf die plötzliche Aufmerksamkeit für den Kollegen Becker eifersüchtig sein, so lässt er sich das zumindest nicht öffentlich anmerken. Er schätze ihn als Sparringspartner, sagt Haas. Und dass er sich immer freue, wenn neue Leute auftauchten. Das klingt ein bisschen wie aus dem Munde eines Elder Statesman des deutschen Tennis – und so war es wohl auch gemeint. 28 Jahre ist Haas mittlerweile alt, seit zehn Jahren Tennisprofi, zum neunten Mal spielt er die US Open, ein Grand Slam-Titel fehlt bislang. Die amerikanischen Zeitungen erwähnen ihn stets als einen, der für eine Überraschung gut sei, aber mehr pflichtschuldigst denn überzeugt.

Nach all der Zeit im Tennisgeschäft, den Verletzungen und enttäuschten Hoffnungen hat sich Haas eingerichtet mit einem Platz um die Top Ten herum, hat den Trainer gewechselt und die Lebenspartnerin und nimmt wieder einen neuen Anlauf. Das Ziel im Augenblick ist ein Platz bei der ATP-WM Ende November in Schanghai, dem wichtigsten Turnier des Jahres nach den vier Grand Slams. Um dort hinzukommen, muss Haas in Runde drei den Amerikaner Robby Ginepri bezwingen. Im vergangenen Jahr trafen die beiden in New York ebenfalls aufeinander, damals siegte Ginepri in einem Fünf-Satz-Duell. „Das macht die Sache schon besonders“, sagt Haas, „natürlich will ich mich dafür revanchieren.“

Bei einer Niederlage bliebe dem Deutschen nicht einmal der Trost, zur Tennishistorie beigetragen zu haben. Sie wäre nur ein weiterer Allerweltseintrag in der Statistik. Wenn Haas es auf den Center Court schaffen will, muss er noch ein paar Mal gewinnen. Im Halbfinale könnte er auf Roger Federer treffen – oder im Finale auf Agassi. Als Akteur im Abenteuer, nicht als Zuschauer.

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