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Update

Nachruf auf Alfredo di Stefano: Der "Urtyp des Athleten-Fußballers" ist tot

Er führte Real Madrid zur bis heute erfolgreichsten Ära im europäischen Fußball, sein virtuoser Angriffsstil war revolutionär. Jetzt ist der "blonde Pfeil" Alfredo di Stefano mit 88 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Der Mann, um den FC Barcelona und Real Madrid verbittert feilschten, hatte zugelegt. Sechs Kilo zuviel säumten seine Rippen. Das Resultat eines der bizarrsten Transfer-Streits der Fußballgeschichte. Beide Klubs beanspruchten Rechte an Alfredo Di Stéfano – und wollten sich ihn nun, da sich keine Partei bewegte, für die nächsten vier Spielzeiten teilen. Der Argentinier sollte, Jahr um Jahr, je zwei Saisons in der Hauptstadt und in Katalonien spielen. Aber der Spieler weigerte sich. Der Poker endete erst nach Monaten, als Di Stéfano im November 1953 in einem Freundschaftsspiel für die Hauptstädter antrat – und in diesen 90 Minuten seinen bereits legendären Ruf als „Saeta Rubia“, als „blonder Pfeil“, nicht zu bestätigen vermochte. Als dann auch noch, so will es die Legende, Diktator Franco für den Wechsel in die Hauptstadt eintrat, gab Barcelona nach. Und bereute bitter den Verzicht auf den Wunderstürmer. Als die Katalanen nämlich ein paar Tage später ihr nächstes Auswärtsspiel in Madrid mit 0:5 verloren – und Di Stefano vier Tore geschossen hatte.

Dieses Debüt bei Madrid war, es ahnte nur noch niemand, der Beginn eines Mythos. Denn das nun folgende „goldene Jahrzehnt“ Reals, die sagenhafte Genese des „weißen Balletts“, von dem die „Königlichen“ bis heute zehren - die acht spanischen Meisterschaften zwischen 1956 und 1964, die fünf Siege in Serie im neu geschaffenen Europapokal der Landesmeister (1956-1960), der Sieg 1960 im Weltpokal –, all das wäre undenkbar gewesen ohne „Don Alfredo“. Er thronte noch über den großen Kollegen wie Santamaría, Pukas, Pachín oder Gento. Nicht umsonst verehrt ihn der spanische Romancier Javier Marías, ein glühender Madrid-Fan, in seinem Buch „Alle unsere frühen Schlachten“ wie einen Heiligen. Als Di Stéfano 1963 den Verein (Richtung Espanyol Barcelona) verließ, wurde er „so sehr mit dem Verein identifiziert“, erinnert sich Marías, „dass man sich anfangs die Mannschaft ohne ihn gar nicht vorstellen konnte“.

Aus "der Maschine" nach Kolumbien

Begonnen hatte der Aufstieg zu einem bewunderten Weltstar Ende der 1940er Jahre in Buenos Aires, wo er am 4. Juli 1926 im Hafenviertel Barracas geboren wurde. Schon sein Vater war Mittelstürmer bei River Plate gewesen, und auch Di Stéfano feierte als 20-Jähriger bei „La Maquina“ (die Maschine) seine ersten Erfolge. Hier gewann er 1947 seinen ersten von zwölf nationalen Titeln, und noch im gleichen Jahr, obwohl nur als Ersatzmann nach Ekuador angereist, mit Argentinien den Titel des Südamerikameisters – als Torschützenkönig. Schon zuvor hatte er sich lobpreisende Beinamen erworben. Der „blonde Pfeil“ ging auf Roberto Neuberger zurück, den Chefredakteur der Zeitschrift „River“. Wegen seiner Zuverlässigkeit, seines Fleißes und seiner atemberaubenden Kondition galt er in Argentinien aber auch als „El Alemán“ – der Deutsche.

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Als Di Stéfano 1949 für vier Jahre nach Kolumbien abwanderte, weil ihn ein Generalstreik in Argentinien am Fußballspielen (und Geldverdienen) hinderte, war er noch ein bulliger Torjäger, ein „Urtyp des Athletenfußballers, der seine Erfolge zunächst nur seiner Schnelligkeit und seiner Widerstandkraft verdankte“, so jedenfalls beschrieb ihn einst sein Mitspieler Néstor Rossi. Erst ab 1952 entwickelte er sich zu einem Strategen, der den Fußball auf eine neue Stufe emporhob. In einer Zeit des Spezialistentums nahm er, der vielseitige Allrounder, quasi das heutige Zeitalter vorweg, als er die Figur des Regisseurs und Vollstreckers in sich vereinigte. Schon in Kolumbien, dessen damalige Profiliga als „El Dorado“ in die Weltgeschichte des Fußballs eingegangen ist, rühmten die Kommentatoren dabei sein „schwereloses Spiel“, seine Technik, seine Brillanz, seine Übersicht. Fähigkeiten, die sich auch auszahlten: In den vier Jahren, in denen er das „Ballet azul“, das „blaue Ballet“ bei den „Millonarios“ in Bogotá dirigierte, war Di Stéfano bereits Millionär geworden.

Di Stefano revolutionierte den spanischen Fußball

Den Status eines Denkmals aber erarbeitet sich Di Stéfano in der Ära bei Real Madrid. Hier schoss er 405 Tore in 624 Spielen, hier revolutionierte sein virtuoser Angriffsstil den zuvor in der Defensive erstickten spanischen Fußball, hier fehlte er in der Zeit der fünf Europapokalsiege nur eine Partie. Und hier bildeten seine Gegner ein Spalier, baten um Autogramme und klatschten bei seinem Abgang Beifall. So geschehen 1959, als Real Madrid im Europapokalfinale in Glasgower Hampden Park einen 7:3-Sieg gegen Eintracht Frankfurt feierte, drei Tore hatte allein Di Stéfano erzielt. In dieser Zeit war er der Beste. „Sein Fußball ist universal, ist auf allen Längen- und Breitengraden zu Hause, weil er eben alle Qualitäten in sich einschließt“, rühmte 1964 eine Biographie den Mann, der in drei Nationalmannschaften (Argentinien, Kolumbien, Spanien) auf 41 Einsätze kam.

Auch nach seiner aktiven Zeit blieb Di Stéfano erfolgreich. Als Trainer holte er Meisterschaften mit den Boca Juniors (1970), dem FC Valencia (1971) und River Plate (1981), und mit Real Madrid siegte er 1985 im UEFA-Pokal. Vor allem aber mahnte allein sein großer Name die Klubführung Reals, an die großen Zeiten der 1950er Jahre anzuknüpfen – bis zum Gewinn der Champions League 1998. Jetzt schwirrt der „blonde Pfeil“ nur noch durch die Gedanken derjenigen, die ihn als Fußballer erleben durften. Am Montag ist Alfredo Di Stéfano im Alter von 88 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes in Valencia gestorben.

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