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Sport: Deutsche Fußballtalente in England: Drei Schlafzimmer und täglich eine Runde Golf

Robert und Sebastian sitzen beim Mittagessen, und Marcel setzt sich einfach dazu. Robert ist 16, Sebastian ist 18, Marcel Desailly ist 34 und Weltmeister.

Robert und Sebastian sitzen beim Mittagessen, und Marcel setzt sich einfach dazu. Robert ist 16, Sebastian ist 18, Marcel Desailly ist 34 und Weltmeister. Der Franzose ist nicht der einzige Star am Tisch: Einen Fünfliter-Kanister Orangensaft teilen sich Robert und Sebastian außerdem mit dem Holländer Jimmy Floyd Hasselbaink und dem Engländer Dennis Wise.

Was aussieht wie die Werbeveranstaltung eines Sponsors, ist für Robert Huth und Sebastian Kneißl Alltag. Seit vergangenem Sommer spielen sie in der Juniorenmannschaft des FC Chelsea in London. Die Nationalspieler sind nicht alleine auf der Insel. Englische Klubs haben in den letzten Jahren sechs deutsche Talente abgeworben. Das wird in deutschen Klubs skeptisch beobachtet. Die nächste Europameisterschaft der Unter 16-Jährigen findet im Mai in England statt. Die Scouts werden den Supermarkt direkt vor der Tür haben, und so mancher deutsche Jugendkoordinator bangt jetzt schon um seine Talente.

Darüber müssen sich Robert und Sebastian keine Gedanken machen. "Beim 1. FC Union in Berlin habe ich 100 Mark bekommen. Nicht pro Spiel - im Monat," sagt sich Robert. Sebastian bekam in Frankfurt 500 Mark. Dagegen sollen die englischen Klubs ihren Nachwuchskickern Summen zwischen 360 000 und 600 000 Mark im Jahr bezahlen. Das wollen die beiden zwar nicht bestätigen, doch Sebastian gibt zu, dass sich der Wechsel gelohnt hat. "Ich bin schließlich in ein völlig anderes Land gegangen. Das muss auch honoriert werden."

Chelsea bietet auch sportlich eine bessere Perspektive. Profis und Junioren essen nicht nur zusammen, sie trainieren auch nebeneinander. Nur die Schuhe der Stars putzt der Nachwuchs allein, was Kneißl ein wenig ärgert, weil er ausgerechnet die Stiefel von Desailly putzen muss, der zu jedem Spiel immer gleich vier Paar mitnimmt. "Wenn ich bei der Eintracht Grüß Gott zu einem Spieler gesagt habe, dann hat der nur geguckt: Was willst denn du?", erzählt Kneißl. "Hier geben sich die Spieler als ganz normale Menschen, die als Fußballer halt ein bisschen mehr verdienen." Vielleicht schaffen in England wegen dieser Nähe mehr Jugendspieler den Durchbruch. Zum Beispiel Michael Owen. Der 21-jährige Stürmer spielte schon mit 18 seine erste Weltmeisterschaft. Moritz Volz vom FC Arsenal und Thomas Hitzlsperger von Aston Villa hatten auch schon Einsätze in der Premier League.

Huth und Kneißl haben es schwerer. Bei Chelsea laufen regelmäßig neun Ausländer auf. Statistisch schafft es von 20 Talenten nur eines in die Premier League. Und doch glauben die beiden Deutschen fest an ihre Chance. "Wir spielen jetzt bei den Junioren, aber irgendwann wollen wir in der ersten Mannschaft spielen. Wenn wir hart arbeiten, dann schaffen wir das auch", sagt Kneißl. Wie Huth hat er auch keine Angst, Chelsea könne ihn als Spekulationsobjekt betrachten: Setzt sich nur einer der Jungen durch, spart er das Geld für einen neuen Spieler, die Investition hat sich gelohnt. "Da habe ich keinen Zweifel. Die haben sich so viel Mühe gegeben, haben mich jede Woche angerufen," sagt Sebastian. Und Robert berichtet, dass Chelsea ihn zu einem Zeitpunkt verpflichtete, als er gerade verletzt war.

Der Verein überlässt nichts dem Zufall. Der FC Chelsea bemüht sich auch um soziale Integration, alle ausländischen Junioren werden nach ihrer Ankunft bei englischen Gastfamilien untergebracht. "Die lieben mich über alles," sagt Huth, "die machen alles für mich." Kneißl aber wird bald umziehen. Der 18-Jährige hat sich ein eigenes Haus gemietet, "mit drei Schlafzimmern!" Auch das Hobby der beiden ist standesgemäß. Sie gehen jeden Tag auf den Golfplatz.

Ihr Selbstbewusstsein bekommt jedoch beim Spiel gegen den Nachwuchs von Tottenham einen Dämpfer. Sebastian ist verletzt, Robert spielt nicht, obwohl sein Name auf dem Spielbericht steht. Zwei italienische Spielervermittler bieten zwei Talente an, die getestet werden. Während die Italiener in Anzügen und geliehenen Turnschuhen im Matsch stehen und ihre Schützlinge anfeuern, steht Huth daneben und trägt es sportlich. Bei gelungen Aktionen ruft er akzentfrei: "great ball". Er wird später eingewechselt und ist doch ein wenig enttäuscht.

Den Wechsel nach England aber mag er deshalb nicht in Frage stellen, "ich würde wieder alles genauso machen und jedem dazu raten". Denn selbst wenn es zum Premier-League-Star nicht reicht, die Erfahrung kann ihm niemand mehr nehmen. "Andere Jugendliche betteln doch darum, ins Ausland gehen zu können. Wir haben die Möglichkeit und bekommen sogar noch ein bisschen Geld dafür." Und ein tägliches Essen mit dem Weltmeister.

Heinrich Geiselberger

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