zum Hauptinhalt
Vier verliert: Philipp Lahm (r.) und sein Team kassierten gegen Schweden nach einem 4:0 noch ein 4:4.

© dpa

Deutsche Nationalelf: Joachim Löw und die Abwehrsorgen

Alle Augen nach hinten: Auch vor dem Paraguay-Spiel sucht Bundestrainer Joachim Löw in der Nationalelf noch immer die richtige Balance zwischen Offensivlust und Abwehrbereitschaft.

In einem Grundsatzreferat hat der Fußballlehrer Joachim Löw gerade die schöne italienische Vokabel Catenaccio in Erinnerung gebracht, ihr Wohlklang steht in bemerkenswerten Gegensatz zum Inhalt. Catenaccio bedeutet: Riegel. Abwehrbeton. Die Sicherung des eigenen Tores mit allen erlaubten Mitteln (und gern auch ein paar unerlaubten). Der Catenaccio adelt ein 0:0 zum zweitbegehrenswertesten aller Resultate – und steht damit für genau den Fußball, den Joachim Löw nicht sehen will und in dessen Richtung er sich auch nicht drängen lassen mag. Er hat darauf noch einmal ausdrücklich hingewiesen anlässlich des ersten Länderspiels in der WM-Saison in Kaiserslautern gegen Paraguay (20.45 Uhr/ZDF live). Die hohe Kunst des modernen Fußballs, referierte der Bundestrainer, „besteht darin, defensiv gut zu stehen, ohne Catenaccio zu spielen. Und vorne noch zwei, drei Tore zu schießen!“

Was den zweiten Teil dieser Vision betrifft, haben die Deutschen unter Löw zuletzt gewaltige Fortschritte gemacht. Und doch geht es, spätestens seit dem Halbfinal-K.-o. bei der EM 2012, um den noch nicht eingelösten ersten Teil. Die Deutschen sorgen sich um ihre Abwehrbereitschaft. Auch und gerade in diesen Tagen, da die Nationalmannschaft die Saison vor der Weltmeisterschaft in Brasilien eröffnet. Es fügt sich ganz gut, dass diese Diskussion vor dem Testspiel in Kaiserslautern gegen Paraguay Fahrt aufgenommen hat. Das liegt weniger an übergroßem Respekt vor den Offensivkünsten der Mannschaft um den einstigen Bayern-Stürmer Roque Santa Cruz. Es erinnert dieses zweite Länderspiel gegen die Paraguayos nur zwangsläufig an das erste, es liegt schon ein paar Turniere zurück und war das erste von drei 1:0-Schützenfesten, mit denen sich die Deutschen vom Achtelfinale bis ins Endspiel der Weltmeisterschaft 2002 wurschtelten.

Anders als in diesen Tagen war der deutsche Fußball damals nicht mit Kreativität im Angriffsspiel gesegnet, mal abgesehen von Michael Ballack, in dessen Zuständigkeit die raren schönen Momente fielen. Viel wichtiger war, dass hinten nichts passierte. Das garantierten Fußballarbeiter wie Torsten Frings, Thomas Linke oder Carsten Ramelow, angeleitet von Torhüter Oliver Kahn, der mit seiner Verbissenheit bestens passte zur Humorlosigkeit des deutschen Vortrags. In den sechs Spielen bis zum Finale gegen Brasilien gab es nur ein einziges Gegentor.

Joachim Löw spricht gerne von der Balance

Zehn Jahre später zauberten Philipp Lahm, Mesut Özil oder Marco Reus bei der Europameisterschaft wunderschöne Muster auf den ukrainischen Rasen. Jerome Boateng, Philipp Lahm, Mats Hummels oder Bastian Schweinsteiger: Das komplette defensiv ausgerichtete Personal überragt mit seinen offensiven Qualitäten die Kollegen von 2002. Aber mit der B-Note für den künstlerischen Bereich gewinnt man keine Titel. Torhüter Manuel Neuer kassierte in den fünf Spielen bis zum nicht erreichten Finale gleich sechs Gegentore. Die Balance, von der Joachim Löw so gern spricht, sie stimmte nicht in der deutschen Mannschaft. Am auffälligsten war das im vergangenen Herbst in Berlin. In der WM-Qualifikation spielten die Deutschen ihre schwedischen Gegner eine Stunde lang an die Wand, aber dann brach das Gefüge komplett in sich zusammen. Mit der bekannten Konsequenz, dass aus einer 4:0-Führung noch ein 4:4 wurde.

Die Kritik hat dieses Desaster hauptsächlich an Joachim Löw festgemacht, an seiner Tatenlosigkeit und seiner taktischen Reduktion auf schönen, spektakulären Fußball. Löw hat die Kritik akzeptiert: „Auch die Defensive muss stimmen, und natürlich haben wir zuletzt zu viele Gegentore zugelassen. Unsere Aufgabe muss es jetzt sein, Ausgewogenheit und Gleichgewicht herzustellen.“ Das ist leicht formuliert und doch so schwer umzusetzen. Löw sagt, er könne sich ja schlecht vor die Mannschaft stellen und anordnen: „Wir müssen besser verteidigen!“ Das sei eine komplizierte Angelegenheit und betreffe keineswegs allein die Verteidiger. Aber es sei durchaus zu hinterfragen, ob da in der Ausbildung nicht etwas verändert werden müsse – „wir haben die letzten Jahre sehr an der offensiven Ausrichtung der Verteidiger gearbeitet“, durchaus mit Erfolg, „aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen“.

Joachim Löw spricht von besonderen Trainingseinheiten

Löw spricht von besonderen Trainingsinhalten, von Videoanalysen und Einzelgesprächen. Mats Hummels spricht von Bayern München. So respektvoll wie der Dortmunder Innenverteidiger hat sich schon lange niemand mehr von der schwarz-gelben Belegschaft über den großen Rivalen geäußert. „Bei den Bayern hat man im vergangenen Jahr gesehen, wie wichtig eine Grundidee in der Abwehr ist“, sagt Hummels. „In der Offensive hatten sie schon im Jahr davor ihre Qualitäten.“ Aber erst mit ihrer Konzentration auf das defensive Element hätten die Münchner den entscheidenden Schritt gemacht „und das Triple gewonnen – drei Titel, und alle drei verdient“

Interessanterweise ist der Münchner Innenverteidiger Jerome Boateng auf seinem angestammten Platz in der Nationalmannschaft nur zweite Wahl. Doch auch die Bayern erfinden sich unter Josep Guardiola gerade wieder neu, mit nur noch einem defensiven Mittelfeldspieler und einer deutlichen Ausrichtung auf die Offensive. Das dürfte sehr im Sinne des Bundestrainers sein und seiner Vorliebe für die Schönheit des Spiels. In Kaiserslautern hat er noch mal darauf hingewiesen, dass es den Fußballtrainer Löw nur in der romantischen Version gibt: „Ich liebe das Risiko. Ich will eine Mannschaft, die im besten Fall immer in der gegnerischen Hälfte ist. Das liebe ich über alles!“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false