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Deutsche Olympia-Bilanz: Viele Abstürze und ein Dopingfall

27 Medaillen hatte sich die Olympiamannschaft vorgenommen. Doch die deutsche Bilanz fällt bei diesen Winterspielen ernüchternd aus. Im deutschen Sport stehen Abrechnungen und Umbrüche an.

Es war ein Moment, auf den sich Michael Vesper vor einer Woche noch gefreut haben mag. Denn zu jenem Zeitpunkt war für den Chef de Mission des deutschen Olympiateams in Sotschi noch alles in bester sportlicher Ordnung. Seine Mannschaft führte im inoffiziellen Medaillenspiegel; einen offiziellen gibt es ja nicht. Aber wie auch immer die Orden für sportliche Höchstleistung zusammengezählt werden, Deutschland schien auf Kurs, die von Vesper immer wieder nach unten korrigierte gewünschte Vorgabe an Medaillen erreichbar. 27 waren das zuletzt.

Nun aber musste Vesper am Sonnabend auf der Bilanz-Pressekonferenz zu den Winterspielen von Russland verkünden, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) unzufrieden sei. Sehr sogar. Er flüchtete sich in eine Metapher aus einem Sommersport. „Die ersten elf Tage bei Olympia waren hervorragend, danach kam ich mir vor wie bei einem Fußballspiel, in dem man 4:0 führt und dann am Ende nur 4:4 spielt.“ Und noch eine Rote Karte mit sich anschließender Sperre kassiert, ließe sich ergänzen – durch den Dopingfall der Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle.

19 Medaillen hatten deutsche Wintersportler bis Samstag gewonnen, nachdem die Snowboarderinnen Anke Karstens und Amelie Kober die Statistik ein wenig freundlicher gefahren hatten, anschließend noch die Biathlon-Staffel. Im Medaillenspiegel liegt Deutschland hinter den Niederlanden. Nach den guten elf Tagen sei der „schwarze Mittwoch“ gekommen, sagte Vesper. An jenem Tag seien gleich sieben Chancen liegen gelassen worden.

Im Medaillenspiegel liegt sogar Holland vor Deutschland

In Erinnerung werden sicher die Bilder der Stürze bleiben: Stefan Luitz, der im Riesenslalom am letzten Tor hängenblieb. Langläufer Tim Tscharnke, der von einem Konkurrenten behindert und dadurch um die sicher geglaubte Medaille gebracht wurde oder die drei deutschen Nordischen Kombinierer Riessle, Rydzek und Kircheisen, die sich gegenseitig im Weg herumliefen und auch hier ein besseres Ergebnis verhinderten (siehe Fotostrecke unten).

All damit hatte niemand gerechnet. Und mit dem Fall Sachenbacher-Stehle erst recht nicht. Michael Vesper wirkte wenig glücklich, als er am Sonnabend darüber länger referieren musste als über nicht gewonnene Medaillen.

Und dann auch noch der Dopingfall Sachenbacher-Stehle

Die Biathletin wurde positiv auf Methylhexanamin getestet, das Stimulans soll in einem Nahrungsergänzungsmittel enthalten gewesen sein. Die Bayerin soll es von einem Mentaltrainer erhalten haben. Am Freitag war Sachenbacher-Stehle aus dem Team ausgeschlossen worden und dann aus Sotschi abgereist. Nun hat die Staatsanwaltschaft München Ermittlungen eingeleitet, und zur Sicherung von Beweismitteln wurde der Bundesstützpunkt der Biathleten in Ruhpolding bereits durchsucht. Vesper sagte: „Es ist klar, dass das Umfeld untersucht werden muss.“ Es müsse herauskommen, „wer das Zeug besorgt hat und mit welchen Kenntnissen“.

Für die Athleten seien die Spiele in Sotschi "die besten" jemals gewesen

Zur Sicherung möglicher Beweismittel durchsuchten Beamte auch zwei private Gebäude, teilte die Staatsanwaltschaft München mit. In einem der Häuser seien Nahrungsergänzungsmittel gefunden worden. Es sei noch unklar, ob sie in einem Zusammenhang mit dem Dopingfall Sachenbacher-Stehle stehen. Ermittelt werde allerdings nicht direkt gegen die Sportlerin, sondern wegen des In-den-Verkehr-Bringens von Mitteln zu Dopingzwecken im Sport.

Das deutsche Team im Dopingsumpf? Natürlich nicht. Vesper sagt, die Nahrungsergänzungsmittel seien nicht vom deutschen Team verabreicht worden: „Das war ihre persönliche Entscheidung. Sie hat gesagt, dass sie mit einem Mentaltrainer zusammenarbeitet, von dem sie die Produkte bekommen hat.“ Evi Sachenbacher-Stehles Management verbreitete eine Erklärung, in der steht: „Ich kann im Moment allen Beteiligten nur ausdrücklich versichern, dass ich zu keinem Zeitpunkt bewusst verbotene Substanzen zu mir genommen habe.“

DOSB-Generaldirektor Vesper musste nicht nur das Doping-Desaster erklären.

© AFP

DOSB-Präsident Alfons Hörmann sagte, er verstehe nicht, warum die Sportlerin gegen alle Empfehlungen verstoßen habe. „Das hätte in dieser Weise nicht passieren dürfen“, sagte er. Der Fall dürfte in der Nachbereitung noch spannend werden, weit über die am Sonntag endenden Winterspiele von Russland hinaus.

Waren die Erwartungen im Vorfeld vielleicht zu hoch?

Die haben Hörmann übrigens hervorragend gefallen. Für die Athleten seien sie „die besten“ gewesen, die es jemals gegeben habe. Sotschi hätte durch eine „beeindruckende Infrastruktur“ überzeugt. Nun sei allein das „Stichwort Nachhaltigkeit die Frage“, sagte Hörmann. „Die Voraussetzungen für eine gute Zukunft in der Region sind jedenfalls da.“

Während sich Russland ab Montag, oder spätestens nach den Paralympics um die Zukunft der Region Sotschi wieder im Alleingang kümmern darf, gibt es beim DOSB neben der Dopingaffäre Sachenbacher-Stehle viele sportliche Baustellen. „Wir sind mit dem Gesamtergebnis auf der Leistungssportebene nicht zufrieden“, sagte DOSB-Leistungssportdirektor Bernhard Schwank. Also zu viele Leistungen, die sich nicht gelohnt haben in Sotschi? Es klang so durch, als wollten sie beim DOSB über eine Umverteilung der Unterstützungen der einzelnen Sparten zumindest nachdenken. Als eine Möglichkeit, das mäßige Abschneiden deutscher Athleten zu verarbeiten, sieht Vesper, dass sich der DOSB bei den Fachverbänden mehr einbringt und auch eingreift, wenn es sein muss. „Wir müssen auf Veränderungsbedarf in den Sportarten, in denen es überhaupt nicht geklappt hat, hinweisen“, sagte Vesper. „Wir müssen die Vereinbarungen mit den Verbänden noch schärfer nachverfolgen.“

Oder waren die Erwartungen zu hoch? Nein, sagt Vesper. Er habe das alles vorher nach gutem Gewissen durchgerechnet. „Die anspruchsvollen Zielsetzungen waren nicht unrealistisch. Das Potenzial in der Mannschaft war definitiv vorhanden.“ Das sah aber bei den Spielen nicht danach aus – selbst das Minimalziel 27 wurde mit 19 Medaillen bis Samstag nur zu gut zwei Dritteln erreicht. Und ursprünglich wollte Vesper sogar 40 Medaillen im Besitz deutscher Sportler sehen.

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