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Herz und Rasen. Viele Fans fiebern bei Fußballspielen so sehr mit, dass es den Kreislauf belastet.

© Imago

Tipps fürs Herz beim Halbfinale: Wenn's mal wieder spannend wird

Nicht nur beim Elfmeterschießen treibt ein Fußballspiel den Puls hoch. Der Kardiologe Thomas Meinertz verrät, wie Sie das Halbfinale ruhigen Blutes überstehen.

Herr Professor Meinertz, vielen Fernseh-Zuschauern ging beim dramatischen Elfmeterschießen gegen Italien die Pumpe. Konnten Sie als Kardiologe beobachten, dass auch bei Ihnen der Puls hoch schnellte?

Das Herz konnte bei mir nicht viel schneller schlagen, da ich vorher schon etwas eingenommen hatte.

Was haben Sie denn genommen?

Ich weiß, dass mich so etwas unheimlich aufregt und ich habe wie viele Menschen einen hohen Blutdruck. Der ist gut behandelt, aber wenn es zu solchen seelischen Belastungen kommt, wie das spannende Spiel ja eine war, dann nehme ich vorbeugend eine Stunde vorher eine erhöhte Dosis eines Medikamentes, das verhindert, dass die Herzfrequenz stark ansteigt. Dann kann ich das Spiel besser genießen.

Was würde sonst geschehen?

Ich bekäme einen Blutdruck bis zu 180 und eine Herzfrequenz bis zu 120. Und das in Ruhe, das ist unangenehm.

Auch riskant?

Für einen Herzgesunden nicht, für einen Herzkranken kann das riskant werden. Man weiß ja aus Untersuchungen: Wenn Deutschland bei Welt- oder Europameisterschaften spielt, steigt die Zahl der Todesfälle durch Herzinfarkte und Rhythmusstörungen deutlich. Für einen Herzkranken kann es durchaus besser sein, das Spiel nicht zu schauen oder vorher mit dem Arzt zu sprechen und prophylaktisch etwas einzunehmen.

"Fans unterschätzen die Belastung"

Zuschauen ist ja eigentlich keine aktive Anstrengung. Warum schlägt das Herz trotzdem schneller?

Über das vegetative Nervensystem. Wenn man sich aufregt, sich ärgert oder sehr angespannt ist, geht der Puls schneller, bei positiven wie bei negativen Erlebnissen. Das kennt jeder aus dem Alltag. Das ist genauso eine Belastung wie die körperliche, manchmal sogar noch mehr.

Ein Fanherz schlägt also wirklich mit der Mannschaft?

So ist es. Man unterschätzt die Belastung, die das für den Kreislauf bedeutet. Und da 50 Prozent der Bevölkerung tendenziell einen zu hohen Blutdruck hat – der oft nicht gut eingestellt ist, man merkt es nur im Alltag nicht – kann man messen, wie der Wert unter diesen Bedingungen in die Höhe schnellt.

Sind Medikamente eine Lösung?

Man sollte das nicht machen, wenn man nicht vorher mit seinem Doktor gesprochen hat.

Haben Sie vorher mit Ihrem Doktor gesprochen?

Ich habe mit mir selbst gesprochen (lacht). Was schlecht ist – der Doktor ist meist ein schlechter Arzt für sich selbst. Aber ich nehme eine höhere Dosis eines Betablockers und manchmal eines Kalziumantangonisten, weil ich mich wohler fühle, wenn der Blutdruck nicht über 150 ansteigt. Unabhängig davon, ob es gefährlich ist.

Die Deutsche Herzstiftung gibt auf ihrer Webseite Herzstiftung.de Tipps für Fußballfans. Was raten Sie?

Man könnte natürlich sagen: Schauen Sie das Spiel nicht. Oder: Bleiben Sie ruhig. Aber das ist unrealistisch. Die Leute gucken das Spiel, trinken und essen etwas dabei. Ich empfehle eigentlich, nicht zu essen, zumindest keine Chips und Ähnliches, weil man herunterschlingt, ohne zu genießen, um seine Nervosität abzureagieren. Deshalb lieber mal aufstehen und herumgehen, das entspannt auch. Bewegung ist besser, als starr in die Röhre zu schauen. Mit unseren Tipps wollen wir erreichen, dass die EM-Spannung Zuschauern mit oder ohne Herzproblemen nicht auf ihr Herz schlägt.

Hat ungesundes Essen direkte Auswirkungen?

Nein, in Maßen nicht. Aber wenn man sich den Bauch richtig vollschlägt, ist das auch für das Herz-Kreislauf-System nicht gut. Man weiß, dass man dann leichter einen Infarkt bekommt, also sollte man auf ein reichliches Essen verzichten, bevor man sich vor den Fernseher setzt.

Wie ist es beim Zuschauen im Stadion?

Im Stadion ist es meist gesünder, man steht ja viel, oder sitzt und steht wieder auf. Und es gehen ja nicht gerade die kränkesten Leute ins Stadion. Ich habe aber auch schon erlebt, dass Leute dort einen Herzinfarkt bekommen haben. Ein Stadionbesuch schützt also nicht.

In der EM-Vorrunde erlitt ein Nordirland-Fan mit Anfang 60 einen Herzinfarkt im Stadion.

Genau, das habe ich gelesen. Das fällt natürlich auf dramatische Weise mehr auf, als wenn das zu Hause passiert. Aber im Prinzip ist auch die Stimmung im Stadion eine Belastung. Man kann also nicht sagen, man bewältigt das besser im Stadion oder Zuhause. Hier vielleicht doch noch ein Ratschlag.

Bitte.

Ob man Fan ist oder nicht, man sollte sich überlegen, wie relativ das Ganze doch ist. Wenn man gegen Italien gesehen hat, dass der letzte Elfmeter praktisch unter dem Torwart weggerutscht ist und er ihn fast gehabt hätte, dann hätte das Spiel auch anders ausgehen können. Wenn das dann eine Nation in Freudentaumel versetzt und Italien ins Gegenteil, gibt das schon zu denken. Es ist doch nur ein Spiel.

Diese Sichtweise ist schwierig, jetzt wo es im Halbfinale und Finale um noch mehr geht.

Gegen Italien war es glaube ich schlimmer, weil es dieses Trauma-Spiel war. Wenn man das Halbfinale gegen Frankreich erreicht hat, kann man es etwas lässiger nehmen.

Gelingt Ihnen das?

Bei uns Zuhause ist das eher ein Problem, weil meine Frau Französin ist, die Kinder sind Franzosen. Wenn wir gemeinsam gucken, dann geht diese Partie durch die Familie.

"Es ist doch nur ein Spiel"

Es schlagen also zwei Herzen in Ihrer Brust?

So ist es. Ich kann mit beiden Ausgängen leben, aber ich bin klar parteiisch für Deutschland, auch meine Frau ist ganz parteiisch. Sie schaut sonst keinen Fußball, aber wenn Deutschland gegen Frankreich spielt, dann schaut und schreit sie bestimmt auch (lacht).

Noch ein ernstes Thema: Es gib auch Fußballer, die auf dem Feld zusammenbrechen. Wie kann das sein?

Meistens geschieht so etwas in Amateur-Klassen oder Senioren-Mannschaften, weil dort die medizinischen Kontrollen nicht so intensiv und engmaschig erfolgen wie bei den Profimannschaften. Aber auch im Profibereich kann es dazu kommen, weil man an der absoluten körperlichen Leistungsgrenze arbeitet. Da kann es auch zu einem plötzlichen Herztod bei einem vermeintlich Gesunden kommen. Aber das ist eine absolute Rarität. Meistens ist doch eine nicht-erkannte Herzkrankheit die Ursache. Aber die Gefahr, dass in der deutschen Nationalmannschaft jemand tot umfällt, ist sehr gering. Die Spieler sind gut voruntersucht.

Sind Hobby-Kicker und Senioren gefährdeter?

Senior ist man im Ü-Fußball schon ab 30. Alle sollten vorher eine Herzuntersuchung im Rahmen einer Sporttauglichkeitsuntersuchung gemacht haben, bevor sie intensiver Fußball spielen. Das ist gar keine Frage. Und wir haben in der Deutschen Herzstiftung gemeinsam mit dem DFB ein Projekt gestartet, wo wir Ü-Fußballer in den Vereinen die Wiederbelebung bei plötzlichem Herzstillstand vermitteln. Nicht, weil sie gefährdeter wären, sondern damit sie das Wissen weitergeben. Entscheidend ist, dass Sport viele positive Effekte auf die Gesundheit hat und damit auch dem Herzen hilft.

Bei aller Aufklärung wollen wir keine Ängste schüren. Bleibt Fußball schauen und spielen eher ungefährlich?

Absolut. Wenn man das statistisch anschaut, da tun die Leute sonst Dinge, die sehr viel gefährlicher sind.

Also schauen Sie sich das Halbfinale unbesorgt an?

Ja, ich empfehle auch meinen Patienten, das Spiel zu schauen, mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen. Niemand muss auf Fußball verzichten.

Prof. Dr. med. Thomas Meinertz, 72, ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung und Kardiologe am Klinikum Stephansplatz Hamburg.

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