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Vier Innenverteidiger, aber keiner köpft.

© Reuters

Deutschland nach dem 2:2 gegen Ghana: WM 2014: Muss Joachim Löw sein System wieder ändern?

Die neue Taktik von Bundestrainer Joachim Löw bewährt sich beim 2:2 gegen Ghana nicht. Diesmal gehen seine Experimente nicht auf, weil die Verbindung zwischen Defensive und Offensive fehlt.

Ganz am Ende, als die Szenerie immer wilder wurde, bewegte Joachim Löw sich nicht mehr. Der Bundestrainer stand an der Seitenlinie wie jemand, der nach einer langen Reise überlegen muss, ob er im Himmel oder in der Hölle angekommen ist. Vor seinen Augen tobte gerade ein chaotisches Hin und Her zwischen seiner Mannschaft und dem Team Ghanas. 2:2 stand es, doch in jeder Minute hätte ein Tor fallen können. Auf beiden Seiten.

Ein Spiel zwischen Lust und Hölle sei es für ihn gewesen, sagte Löw über den Schlussakt. Nach einer gespielten Stunde hatte die Hitze von Fortaleza auch den letzten Rest Taktik versenkt. Übrig blieb ein Alles-oder-Nichts-Fußball – „Barfuß oder Lackschuh“, wie einst Harald Juhnke sang: „Leg ich mir nen Frack zu, oder komm ich vor Gericht?“ Vermutlich hätte es Löw am liebsten den drei Affen gleichgetan: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Seine Mannschaft erreichte er sowieso nicht mehr.

„Beide Mannschaften haben bedingungslos auf Sieg gespielt. Als Trainer hätte ich mir gewünscht, dass wir in einigen Situationen besser reagiert hätten“, sagte Löw, was die diplomatischste aller Umschreibungen war. Nach einer sortierten ersten Halbzeit verlor seine Mannschaft in den letzten zwanzig Minuten vollends die Kontrolle über ihre Spielweise. Nichts war mehr zu sehen vom mitreißenden Fußball, den sie fünf Tage zuvor gegen Portugal zeigte. Dieses Mal war sie es, die sich mitreißen ließ. Mitreißen von der aufreibenden Gangart der Ghanaer, die ein Spiel bis aufs Blut angekündigt hatten.

„Wir sind nicht zufrieden, das haben wir nicht gut gemacht“, sagte Philipp Lahm kleinlaut, der einen schlechten Tag erwischt hatte. Mit seinem Ballverlust bei eigenem Spielaufbau hatte er das zweite Gegentor zum 1:2 eingeleitet. „So etwas darf uns nicht passieren, wenn wir Weltmeister werden wollen“, sagte Mesut Özil. Weltmeister?

Eben noch Titelkandidat, dann der Rückfall in alte Muster

Was soll man nun halten von den Deutschen? Eben noch Titelkandidat, dann der Rückfall in längst hinter sich geglaubte Muster: nach vorn nicht richtig zupackend und hinten Auflösungserscheinungen und Ohnmachtsfußball. Ist Löws neues System doch nicht so gut?

Vielleicht erzählt das Spiel auch die Geschichte, dass Innenverteidiger innen spielen sollten und nicht, wie es Löw gerade beim wichtigsten Turnier der Welt probiert, auf den Außen. Es ist ein Probieren im laufenden Wettbewerb. Bis zum Ghana-Spiel gab es zwei Testläufe. Das 6:1 gegen Armenien, bei dem diese aus vier Innenverteidigern zusammengeknotete Abwehrreihe ihre Premiere erlebte, fällt schon deshalb nicht ins Gewicht, weil der Gegner eben Armenien war. Das 4:0 zum WM-Auftakt wirkte stabil, weil a) die gesamte Mannschaft taktisch klug und leidenschaftlich verteidigte und sie b) vom Spielverlauf profitierte.

In Fortaleza hatte Löws Team dieses Moment gegen sich. Spätestens nach dem 2:1-Führungstor der Ghanaer sah sich die Mannschaft getrieben und geriet in einen offenen Schlagabtausch. „Das ist nicht unser Spiel“, sagte Toni Kroos. Der Taktgeber bemängelte vor allem die kollektive Verführung. Das sei unnötig gewesen, „weil es für uns kein Spiel war, wo es um alles oder nichts ging“. Das sei es für Ghana gewesen. „Wir können die Spiele auch anders gewinnen.“

Die Auswechslung von Jerome Boateng schwächte die Mannschaft

Auch mit vier Innenverteidigern. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass Jerome Boateng zur Halbzeit raus musste, was die Mannschaft schwächte. Sein Ersatz Shkodran Mustafi patzte im entscheidenden Moment, als er vor dem Kopfball zum 1:1 auf dem Rasen des Etadio Casteloa kleben blieb. Aus welchen Gründen auch immer. Diese Szene spielte sich in jenem Bereich des Feldes ab, wo Innenverteidiger wie er gewöhnlich Dienst schieben.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Verteidigung in der eigenen Offensive beginnt. Dem Mittelfeld kommt hier eine zentrale, weil Trichterfunktion zu. Es soll Druck von der letzten Reihe fernhalten, vor allem aber Tempogegenstöße des Gegners unterbinden. Stimmt hier die Abstimmung und Staffelung nicht, wird es brenzlig.

„Wir haben’s taktisch insgesamt nicht so gut gemacht“, sagte Lahm. Tatsächlich ließ die Raumaufteilung und Raumorganisation zu wünschen übrig. Nach vorn hat die Mannschaft zu selten Überzahl kreieren können, nach hinten gab es zu oft Unterzahlsituationen. „Dann kriegt man gegen eine aggressive Mannschaft ein bisschen Probleme.“

Aber wo war das Verbindungsstück?

Noch stellt niemand aus der Mannschaft das neue System infrage

Es ist ein gewisses Wagnis, welches Löw eingegangen ist. Er beorderte Lahm in die defensive Zentrale, weil er dort in Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger nur noch über zwei Spieler verfügt, die sich im Stadium der Rekonvaleszenz befinden. „Es war schon so, dass der Sami bei diesem Tempo an seine körperlichen Grenzen gestoßen ist“, sagte Löw. Khediras Einsatz gegen die USA ist nun durch eine Innenbandzerrung im linken Knie ebenso gefährdet wie bei Boateng, der an einer Muskelverhärtung leidet. Ersatzmann Schweinsteiger, der Khedira in der 70. Spielminute erlöste, wirkte nach seinem Kurzeinsatz wie ein Boxer vor der finalen zwölften Runde.

Dennoch wollte niemand der deutschen Spieler das System infrage stellen. Für Mats Hummels etwa hätten die Schwächen, die sich ins Spiel mogelten, weniger mit Taktik als mit individuellen Fehlern zu tun. Doch zu augenscheinlich war die fehlende taktische Robustheit. Löws Mannschaft ist noch nicht systemfest. Sie geriet wieder einmal ins Schleudern, als sich ihr unvorhergesehene Dinge und Widerstände in den Weg stellten. Und das riss das neuformierte Gebilde in zwei Teile – in Offensive und Defensive. Oder wie Philipp Lahm es ausdrückte: „So wie es aussah, haben wir nicht überlegt.“

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