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Stützpunkttrainer. „Wir müssen uns steigern, wenn wir den Titel holen wollen“, sagt Löw.

© Reuters/Balibouse

Deutschland nach dem EM-Achtelfinale: Das sind ja schöne Aussichten!

Beim 3:0 gegen die Slowakei besteht die deutsche Mannschaft den ersten Stresstest dieser EM und geht selbstbewusst in das nächste Spiel gegen Angstgegner Italien.

Auch Reinhard Grindel lief gestern aus. Der 54 Jahre alte Präsident des Deutschen Fußball-Bundes kam gegen Mittag den Übungsplatz entlang spaziert, wo Joachim Löw jene zwölf Spieler zum Training bat, die nicht in der Startelf gegen die Slowakei gestanden hatten. Grindel trug zu knappen, schwarzen Wildlederschuhen eine helle Hose und ein noch helleres Hemd. Er drehte sich kurz zufrieden in der Sonne und suchte, ganz der alte ZDF-Mann, ein Kamerateam seines früheren Senders, um sich nach der Quote zu erkundigen.

Mehr als 28 Millionen Deutsche sahen ein eindrucksvolles 3:0 über die Slowaken, der Spitzenwert bei dieser EM. Die Zahlen kannte Grindel natürlich schon vorher, aber nach so einem erspielten Erfolg lässt sich auch der erste Mann des deutschen Fußballs gern blicken. Sein Gesicht jedenfalls sagte, wenn der Boateng jetzt auch noch Tore schießt, ist das deutsche Team nicht mehr aufzuhalten.

„Normalerweise ist der Jerome immer nur zur Absicherung eingestellt, aber den Ball nimmt er natürlich überragend. Es war ein Super-Auftakt", hatte Joachim Löw gleich nach dem Spiel in Lille gesagt und konnte sich ein Schmunzeln dabei nicht verkneifen. Da hat dieser Kerl aus Berlin-Charlottenburg über 60 Mal für Deutschland gespielt und dabei nie ein Tor erzielt. Und dann was für eins! Mit dem Vollspann nahm er eine slowakische Kopfabwehr nach einer Ecke kurz vor der Strafraumgrenze volley. Der Ball schlug unhaltbar im Tor ein.

Es war das schnellste deutsche EM-Tor in der Historie. Nicht mal acht Minuten waren gespielt, als Boateng mit seinem rechten Bein abzog. Dabei hatte die Wade dieses Beins zuvor die halbe Nation in Atem gehalten. Wird sie halten, die Wade, wird der Abwehrchef spielen können? Sie hielt.

Allein schon wegen seines Tores wird Boateng sein 63. Länderspiel nicht mehr vergessen. Wie auch sein erstes im Herbst 2009, als er gegen Russland die Rote Karte sah. Für seinen ersten Platzverweis im Nationalteam hat Boateng keine 70 Spielminuten gebraucht, auf sein erstes Tor hat er dagegen fast sieben Jahre lang warten müssen. „Ich habe gesagt, ich hebe mir das erste Tor für das Turnier auf“, sagte der 27 Jahre alte Innenverteidiger und lächelte.

Für das Spiel gegen die letztlich überforderten Slowaken war es der ideale Dosenöffner. Mit der frühen Führung im Rücken zog die Mannschaft von Löw ein dynamisches wie durchkomponiertes Spiel auf, wie sie es seit der WM 2014 selten auf den Rasen hat bringen können. Aber das dürfe nicht zu dem Schluss führen, „das Turnier nun zu dominieren“, wie Löw sagte.

Okay, es war nur die Slowakei - "aber es hat Spaß gemacht", sagte Thomas Müller

Okay, es war nur die Slowakei, kein Gegner aus den Top Ten, wie Löw anmerkte. Zuvor hatte er die Slowaken noch gelobt, wie sie immerhin England ein 0:0 abgetrotzt hatten. Aber anders als die Engländer fanden die Deutschen spielerische Lösungen und Wege durch die dichte Defensive des Nachbarn. „Die Deutschen sind eine Turniermannschaft, sie wissen, wann sie aufdrehen müssen“, sagte der slowakische Nationaltrainer Jan Kozak. Man müsse ihnen ein Kompliment aussprechen. „Sie haben exzellent gespielt.“ Seine Mannschaft habe sich aufgelehnt, aber den Deutschen keine Probleme bereiten können.

„Nach heute müssen wir selbstbewusst sein“, war der schönste Satz des Abends. Gesagt hatte ihn Jerome Boateng. In der Gruppenphase habe das Team vielleicht nicht so tollen Fußball gespielt, aber das sehe jetzt schon anders aus. „Aber das passiert nur, wenn man als Team zusammenarbeitet und in Laufwege investiert. Das haben wir heute sehr gut gemacht.“ Gerade in der Offensive.

„Wir müssen uns schon noch steigern, wenn wir das Turnier gewinnen wollen“, sagte Löw. Das mag sein, die Gegner, die nun kommen, sind von anderer Qualität, gerade auch was deren Offensive anbelangt. „Egal, wer kommt, wir müssen dem Gegner unser Spiel aufdrücken und mit dieser Begeisterung spielen, dann kommen wir auch weiter", sagte Mario Gomez. Der 30-Jährige hatte in seinem zweiten Startelf-Spiel sein zweites Turniertor erzielt. Als „genial“ bezeichnete er die Flexibilität der Offensive in den beiden zurückliegenden Spielen. „Ich will gar nicht zurückdenken“, sagte er. „Ich freue mich, dass die Mannschaft mir vertraut.“ Oder wie es Boateng ausdrückte: „Ein Vollbluttorjäger – der steht richtig und macht die Dinger rein.“

Ein echten Stresstest hatten die Deutschen noch nicht zu bestehen bei dieser EM. Der aber wird kommen am nächsten Samstag in Bordeaux. Doch die internationale Konkurrenz hat schon mal vernommen, dass sich der bisher immer noch gegentorlose Weltmeister so langsam wieder in Stimmung gebracht hat. Einzig Thomas Müller läuft noch einem Torerfolg hinterher. „Ich arbeite daran, dass es auch bei mir selber wieder scheppert“, sagte der Bayer und schlug derweil vor: „Lösen wir uns einfach mal von den Toren los und beobachten wir einfach mal die Leistung der Mannschaft. Das hat Spaß gemacht heute.“

Anderntags stand der Spaß noch Reinhard Grindel im Gesicht. Während im Mannschaftshotel wieder an Jerome Boatengs Wade gewerkelt wurde, die wie vor einer Woche wieder etwas verhärtet aus dem Spiel kam, blinzelte Reinhard Grindel der Sonne entgegen. Mindestens eine Woche wird er noch die Aussicht auf den Genfer See genießen und auf den ersten großen Triumph als DFB-Chef hoffen können.

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