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Sport: DFB Pokal: Der Wille zum Feiern

Am schönsten ist es, wenn der Schmerz nachlässt. Eine Woche nach der dramatischen Wende in der Bundesliga, als der FC Schalke 04 für vier Minuten Deutscher Meister war und dann von den Bayern abgefangen wurde, darf Schalke zum Abschluss der Saison doch noch einen Titel feiern.

Von Markus Hesselmann

Am schönsten ist es, wenn der Schmerz nachlässt. Eine Woche nach der dramatischen Wende in der Bundesliga, als der FC Schalke 04 für vier Minuten Deutscher Meister war und dann von den Bayern abgefangen wurde, darf Schalke zum Abschluss der Saison doch noch einen Titel feiern. 2:0 hat der Meisterschaftszweite am Samstagabend den Zweitligaaufsteiger 1. FC Union im Berliner Olympiastadion geschlagen. Der DFB-Pokal geht für ein Jahr in den Trophäenraum in der neuen Arena Auf Schalke. Die so denkbar knapp verpasste Meisterschale wäre den Schalkern als Dekorationsstück lieber gewesen. Doch der Pokalsieg hilft bei der Aufarbeitung des Traumas. Schalkes dänischer Torschützenkönig Ebbe Sand beschreibt in seiner entwaffnenden Art die besondere Dialektik dieses Abends: "Wir müssen das jetzt feiern."

"Abfahrt! Jetzt! Sofort!" Wenn der sonst nicht immer durch Entschlusskraft auffallende Andreas Möller nicht energisch zum Aufbruch gedrängt hätte, würden einige Schalker wohl jetzt noch im Olympiastadion ihre Runden drehen. Den Mittelfeldspieler zog es zum Mannschaftsbus und weiter ins Hotel Steigenberger am Los-Angeles-Platz, wo die große Pokalfeier steigen sollte.

Zwischen "Steht auf, wenn ihr Schalker seid", "Blau und weiß, wie lieb ich dich" und dem unvermeidlichen "We are the champions" hatten die Spieler und ihre Fans das ganze Repertoire königsblauer Glückseligkeit schon im Olympiastadion abgespielt. Sogar einen echten Sirtaki legten Mpenza und Co. auf den Rasen. Mehr erleichtert als überschwänglich wirkten sie dabei. "Wir können es doch", schienen sie den 40 000 Fans zurufen zu wollen, die noch lange nach dem Schlusspfiff mit ihnen ausharrten.

Im Steigenberger stürmte Gerald Asamoah mit blau-weißem Fanschal die Treppen hoch, brüllte wie entfesselt immer wieder "Schalke, Schalke" und brachte im Festsaal erst einmal eine La Ola auf den Weg. Doch vor die Welle und die hochfliegenden Hände hatte der Zeremonienmeister die Reden gesetzt. Wolfgang Clement war da, der Ministerpräsident und bekennende Bochumer, der den Schalker Erfolg landesväterlich gleich für ganz Nordrhein-Westfalen vereinnahmte. Da meinte Schalkes Manager Rudi Assauer doch schnell betonen zu müssen, dass die Schalker ihre großen Projekte allein auf die Beine stellen - "ohne Subventionen vom Staat". Damit spielte er vor allem auf die Arena Auf Schalke an, die der Pokalsieger im Sommer bezieht.

Angesichts von so viel Selbstbewusstsein leistete selbst Gerhard Mayer-Vorfelder, der in Schalke nicht über alle Maßen beliebte frühere Politiker und jetzige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Abbitte für vergangene Sünden (siehe Nachspiel). Auch Uwe Seeler beteiligte sich an der Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit. Der frühere Nationalmannschaftskapitän legitimierte sein Erscheinen damit, dass sein Hamburger SV gegen die Bayern doch alles gegeben habe an jenem denkwürdigen Samstag, als die Schalker Träume in den letzten Sekunden zerbröselten. Jürgen Möllemann blieb der Zukunft zugewandt. Ein Champions-League-Finale zwischen Bayern und Schalke - "Endergebnis 0:4" - prophezeite der Aufsichtsratschef der Schalker und 18-Prozent-Mann der FDP.

Die Alten saßen zufrieden am Tisch. Klaus Fischer und Klaus Fichtel hatten den wieder einmal am großen Erbe gescheiterten Jungen in ihrer schwierigen Woche Mut gemacht. An 1972 hatten sie erinnert, als Fischer, Fichtel und die anderen auch am letzten Tag die Meisterschaft verspielt, dann aber den Pokal geholt hatten. Günter Siebert, Mitglied der letzten Schalker Meistermannschaft von 1958 und langjähriger Präsident, saß bei den Helden aus den Siebzigern und schmetterte eine Version von "New York, New York", die irgendwo zwischen Sinatra und Juhnke lag.

Alles hat auf Schalke Symbolcharakter, selbst die Heimreise. An frühere Schalker sollte die gestrige Bahnfahrt von Berlin nach Gelsenkirchen erinnern. Immer waren die alten Helden Szepan und Kuzorra und später Siebert oder Berni Klodt von den Gelsenkirchener Bürgern am Bahnhof empfangen und dann im Triumphzug durch die Stadt geleitet worden. Das soll zu Zeiten von Sand und Mpenza nicht anders sein. Und mit dem Flugzeug hätte man ja in Düsseldorf oder - noch schlimmer - Dortmund landen müssen. Zehntausende jubelten am Nachmittag ihren neuen Helden zu, die nach durchtanzter Nacht in Berlin zum Bahnhof geeilt waren. Wie schon nach dem Uefa-Cup-Sieg 1997 ging es dann weiter ins Parkstadion. Nur dort können die Schalker ihren Pokal der Menge in angemessenem Rahmen präsentieren. Am Rathaus der Stadt gibt es nämlich immer noch keinen Balkon.

Nicht für alle Schalker Spieler hatte der ganze Trubel die gleiche Bedeutung. Einer wie Oliver Reck, der den größten Teil seiner Karriere hinter sich hat, genoss das Ganze vielleicht mehr als die Jüngeren, die noch viel vorhaben. "Ich werde nicht mehr viele solche Feiern erleben", sagte der 36-jährige Torwart, der in seiner Zeit in Schalke vom Buhmann und Pannen-Olli zum geachteten Routinier wurde. Stürmer Ebbe Sand freute sich auch. Doch um ein letztes Gedenken an das grandiose Scheitern vom Wochenende zuvor kam er dann doch nicht herum: "Ich werde das erst vergessen", sagte der Däne, "wenn ich die Meisterschale endlich in meinen Händen halte."

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