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Sport: Die Ausnahme ist seine Regel

Volker Zerbe ist im Handball-Nationalteam einer der besten – nur will er nicht immer spielen

Koper. Volker Zerbe ließ sich nicht stören. Mitten in der Pressekonferenz in der Bonifika-Halle von Koper zog er eine Banane aus der Tasche, entfernte die Schale und verspeiste die Frucht. „Die brauche ich immer nach dem Training“, sagte er später. Nicht, dass Zerbe auf die Meinung seiner Umgebung nichts gibt, dazu ist er zu sensibel. Doch Zerbe ist anders als die anderen.

Manche Beobachter sagen, er sei ein Freizeit-Handballer. Das ist vielleicht ein wenig hart. Auf jeden Fall aber ist Zerbe ein Teilzeit-Handballer. Als seine Kollegen von der Nationalmannschaft kürzlich ein Turnier in Russland bestritten, machte Zerbe mit seiner Frau Urlaub. Und als er später in Hannover gegen Russland wieder mitspielte, waren 354 Tage seit seinem letzten Einsatz im Nationaltrikot vergangen. „Ich brauche die Regeneration – für mich und meine Familie“, sagt der Vater zweier Töchter, der seit 18 Jahren Leistungssport betreibt. „Es gibt noch andere Lebensinhalte als Handball.“ Die meisten Bundestrainer hätten einen Spieler mit solch einer Einstellung wohl längst davongejagt. Nicht so Heiner Brand. „Volker Zerbe ist für uns ein Glücksfall“, sagt Bundestrainer Brand. „Er spielt so, als wäre er immer dabei.“ Mit Zerbe gewannen Deutschlands Handballer Silber bei der Welt- und Europameisterschaft. Ob er sich bei der Europameisterschaft in Slowenien nach der Auftaktniederlage gegen Serbien und Montenegro noch den Traum vom Gold erfüllen kann?

Dass im 16-köpfigen Kader allein sechs Spieler des Bundesligisten TBV Lemgo stehen, dem Zerbe seit 20 Jahren die Treue hält, macht die Ausnahmeregelung für den Ausnahmespieler leichter vermittelbar. „Die kennen mein Spielverhalten und ich ihres“, sagt Zerbe. Die Mannschaft akzeptiert seine Extratouren. „Wenn sich ein Kollege beklagen würde, wäre meine Nationalmannschaftskarriere beendet.“ Das klingt schroff. Und ist wohl doch nicht so gemeint. Denn es gibt tatsächlich ein kritisches Zitat. Der Kieler Klaus-Dieter Petersen, ebenfalls 35 Jahre alt, soll über Zerbe gesagt haben: „Er war in der Vorbereitung nicht dabei, also sollte er auch nicht zur Europameisterschaft fahren.“ Zerbe sagt dazu nichts.

Für Trainer Brand stand ein Verzicht auf den 2,11 Meter langen Spitzenspieler nie zur Debatte. Das liegt sicher daran, dass er auf der halbrechten Rückraumposition keinen adäquaten Ersatz hat. Zerbe hat Routine wie kaum ein anderer – auch wenn er in der Vergangenheit bei Misserfolgen oft als einer der Schuldigen genannt wurde. Gestern Abend bestritt er beim EM-Auftakt gegen Serbien-Montenegro in Koper sein 271. Länderspiel. Er erzielte jedoch nur zwei Tore.

Bis zum ersten EM-Auftritt war Zerbe mit seinen 734 Toren fast so erfolgreich wie der beste deutsche Handballer, Christian Schwarzer (832). Doch bald soll Schluss sein mit dem Torewerfen. „Unwiderruflich höre ich nach Olympia auf“, sagt Zerbe. Aber das mit dem „unwiderruflich“ ist so eine Sache. Schon nach den Spielen 1996 und 2000 war angeblich unwiderruflich Schluss. Bis wieder ein Anruf vom Bundestrainer kam. Und Zerbe nicht Nein sagen konnte.

Zerbes Zukunftsplanung außerhalb des Handballs nimmt indes feste Formen an. Bei der Sparkasse Lemgo, wo er seit einiger Zeit einen Teilzeitjob hat, will sich der gelernte Bankkaufmann bald intensiver engagieren. Dem Handball will er dennoch treu bleiben, „irgendwie in der Organisation für den TBV Lemgo“. Oder gar als Trainer? „Dafür bin ich nicht der Typ. Da muss man ja auch mal hart sein. Das liegt mir nicht.“ Einen Wunsch will sich Volker Zerbe erfüllen, sobald er mehr Freizeit hat: quer durch Amerika fahren. Es sei denn, Heiner Brand ruft vorher wieder an.

Klaus Rocca

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