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Sport: Die bronzene Ananas

Von Martín E. Hiller Man schrieb das Jahr 1934, und ganz Deutschland fieberte der Partie gegen Österreich entgegen.

Von Martín E. Hiller

Man schrieb das Jahr 1934, und ganz Deutschland fieberte der Partie gegen Österreich entgegen. Ganz Deutschland? Das wohl gerade nicht, denn obwohl ein Spiel gegen den gerne mal aufgezogenen kleineren Nachbarn anstand, ging es nicht um die allerhöchsten sportlichen Weihen: Bei der Weltmeisterschaft in Italien spielten die Verlierer der Halbfinalbegegnungen zum ersten Mal den dritten Platz aus. Deutschland gewann mit dem einschlägigen Ergebnis von 3:2, doch hatte der Triumph keine Autokorsos auf dem Kurfürstendamm zur Folge. Das mag damit zusammenhängen, dass die Anzahl der WM-Fanatiker damals ähnlich überschaubar war wie die der Automobile, doch die geringe Begeisterung lag vor allem an dem nicht unumstrittenen Status des so genannten kleinen Finales, an dem sich bis heute nichts geändert hat.

Nach 72 Jahren Fußball-Weltmeisterschaft kann konstatiert werden, der dritte Platz ist vor allem für jene Nationen von Bedeutung, denen noch kein vergleichbarer Erfolg bei einer Endrunde geglückt ist. So ist der polnische Fußballverband stolz darauf, in seinem Briefkopf zwei dritte Plätze – errungen 1974 und 1982 – führen zu dürfen, die daran erinnern, dass die Osteuropäer bei den vergangenen Titelkämpfen erfolgreicher waren als etwa Spanien oder Portugal. Als der dreimalige Weltmeister Italien 1990 dagegen nach der Semifinalniederlage gegen Argentinien noch das kleine Finale gegen England gewann, animierte das niemanden zu überbordenden Jubelfeiern.

Im Gedächtnis des gemeinen Fußballfans bleibt ohnehin nicht nur im Falle Italiens das Abschneiden „Halbfinale erreicht“ haften, unabhängig vom Ausgang des Spiels um Platz drei. Angesichts dieser Gleichsetzung wäre doch ernsthaft zu überlegen, künftig beide Halbfinalverlierer in den Rang von Bronzemedaillengewinnern zu erheben - wie es im olympischen Boxturnier auch gehandhabt wird. Dem Ruhm der Beteiligten täte das keinen Bruch: Als Kroatien 1998 im Viertelfinale Deutschland schlug, löste das riesige Begeisterung in dem kleinen Land aus, die durch das Erreichen des dritten Platzes im Spiel gegen die Niederlande nicht mehr gesteigert werden konnte.

Um die mit 1,4 Millionen Euro dotierte kleine Krone streiten heute mit der Türkei und Südkorea (13 Uhr MESZ, live in Premiere und ARD) zwei Länder, die zuvor noch nie ins Halbfinale gekommen waren. Dementsprechend dürfte ihr Wunsch, dieses Spiel unbedingt zu gewinnen, schwerer wiegen als das Gefühl, auf das bisher Erreichte auf jeden Fall stolz zu sein. Der Sieger der heutigen Begegnung zöge dann auch mit Österreich gleich, das nach der Niederlage von 1934 doch noch einen dritten Platz holen sollte – 1954 war das, als Deutschland Weltmeister wurde.

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