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Sport: Die enttäuschte Nation

Sprinterin Muriel Hurtis sollte für Frankreich Gold holen – es reichte nur zu Platz vier

Paris. Muriel Hurtis konnte die 200 Kinder nicht ausmachen unter den 57 166 Zuschauern im Stade de France. Irgendwo saßen sie: die Kinder, die nur ihretwegen gekommen waren. Die Sprinterin hatte sie eingeladen für diesen Abend, für ihr Rennen, das 200-Meter-Finale. Sie wollte Gold holen. Hurtis ist WM-Botschafterin für den Bezirk Seine-St.-Denis, in dem auch die Weltmeisterschaft stattfindet. Sie wohnt in St. Denis, und weil sie oft an Schulen geht, lernt sie viele Kinder kennen. An diesem Abend wollte sie die Nation beglücken, und natürlich wollte sie den 200 Kindern eine ganz spezielle Freude bereiten.

Aber dann sahen ihre Anhänger nur, dass Muriel Hurtis hinterherlief, obwohl sie doch 200-Meter-Europameisterin ist und in den Zeitungen stand, dass Hurtis Gold holen könne und bestimmt auch werde. Die Kinder erkannten natürlich nicht, dass die Hallen-Europameisterin von 2002 beim Lauf ihre „Arme wie Flügel schwenkte und überhaupt nicht mehr richtig vorwärts kam“. Das erzählte die Sprinterin später über sich selbst. Die Kinder und die anderen entsetzten Zuschauer im Stadion sahen nur, dass Hurtis nach 22,59 Sekunden als Vierte hinter durchs Ziel rannte, gescheitert an dem Druck, unter dem sie stand: „Ich kam mit den Erwartungen nicht klar.“

Hurtis war nicht stark genug für die Rolle, in der Medien und Fans sie gerne gesehen hätten: als Nachfolgerin von Marie-Jose Perec, der 400-Meter-Legende aus Frankreich. Perec ist das Symbol der französischen Leichtathletik. Bei der WM sitzt sie wegen einer Verletzung nur am Mikrofon des französischen Fernsehens, aber sie hatte vor der WM erklärt: „Muriel könnte meine Nachfolgerin werden.“

Perecs Nachfolgerin? Das ist eine motivierende Ehre für jemanden mit starken Nerven. Für eine Frau wie Muriel Hurtis ist es eine zu schwere Belastung. Sie musste enormen Druck gespürt haben. Überall war ihr Gesicht vor der WM zu sehen: auf Plakatwänden, in TV-Spots, in den Zeitungen.

Und dann erzählte ihr Trainer auch noch immer wieder von dem mörderischen Blick, den Muriel Hurtis beim Laufen habe. Als könnte sie allein mit ihren Augen alle Gegnerinnen lähmen. Aber dann stand sie nach dem Vorlauf in der Mixed Zone, gab reihenweise Interviews und schrieb Autogramme. Eine konzentrierte Vorbereitung sieht anders aus.

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