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Sport: Die gestohlene Idylle

Irans Team will bei der WM nur Fußball spielen – doch längst ist der Sport Teil der politischen Debatte

Branko Ivankovic war die hoteleigene Schnapsbrennerei am Wegesrand egal, Hauptsache, der Trainingsplatz ist schnell zu erreichen. In Schnetzenhausen, einem dörflichen Vorort von Friedrichshafen am Bodensee, hat der Trainer der iranischen Nationalmannschaft ein Hotel als WM-Quartier gewählt, zu dem ein feiner Fußballplatz gehört. Vom Hotel läuft man bergab durch eine Obstplantage keine fünf Minuten dorthin, der Rasen wird begrenzt von Wiesen, Feldern und einem Wald. Leider darf Ivankovics Team die Idylle nicht betreten, die Fifa war dagegen – aus Sicherheitsgründen. Man könne das Areal nicht abriegeln, lautete die Begründung. Jetzt trainieren die Iraner ab dem 4. Juni im Zeppelinstadion des VfB Friedrichshafen, das ist auch nur fünf Kilometer entfernt und lässt sich mit dem Polizeihubschrauber bestens beobachten.

Nun ist es keineswegs so, dass wie bei Brasilianern oder Holländern Tausende von Fans erwartet werden. Genau genommen erwartet die örtliche Polizei gar keine iranischen Fans. Doch seit der neue Präsident Mahmud Ahmadinedschad Iran regiert, seit die Atomfrage die Weltpolitik bestimmt und seit Ahmadinedschad leugnete, dass es den Holocaust gab und mit der Vernichtung Israels drohte, ist auch für Irans Nationalteam nichts mehr, wie es mal war oder sein sollte. Der Sport kann sich nicht raushalten.

Prominente Vertreter Israels wie Botschafter Shimon Stein oder Ministerpräsident Ehud Olmert haben direkt oder indirekt den Ausschluss Irans von der WM gefordert. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland sind wütend auf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, weil der Irans Präsident in Deutschland willkommen heißen würde. Jüdische Gruppen haben angekündigt, während der Spiele auf die Situation aufmerksam machen zu wollen, zusammen mit Exiliranern. Der Protest, heißt es, soll kreativ sein, aber gewaltfrei. Im Internet kursieren Listen, auf denen über 1500 Unterzeichner einen Ausschluss fordern.

Am Bodensee ist von dieser Debatte noch am wenigsten zu spüren. Im Rathaus beteuern die Stadtoberen, dass sie sich freuen, auf grünen Flyern wirbt man: „Wir sind dabei.“ Der Juniormanager des Hotels, Guido Rueß, erwartet „auf jeden Fall“ einen Imagegewinn, egal, welche Mannschaft im Hotel wohnt. Für die rund vierzigköpfige Delegation hat Rueß einen separaten Hoteltrakt reserviert und ließ eine Satellitenschüssel für iranisches Fernsehen einbauen, eine Playstation und einen ordentlichen Kicker. Rueß: „Wir denken nicht an Politik, wir wollen gute Gastgeber sein.“

Das WM-Motto lautet bekanntlich „Zu Gast bei Freunden“, aber in Friedrichshafen fürchtet man, dass sich ausgerechnet Neonazis zu Freunden erklären. Weil Ahmadinedschad den Holocaust leugnet, könnte es zu Solidaritätskundgebungen kommen. Aus Imagegründen, das gibt man auch im Rathaus zu, wäre das der „Worst Case“. Im Hotel Krone jedenfalls gehen längst Beamte des LKA und des BND ein und aus. Das liegt auch daran, dass ein Besuch des iranischen Präsidenten nicht auszuschließen ist. Johannes Reissner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kann sich zwar nicht vorstellen, dass der Präsident wirklich kommt, weil er Gegendemonstrationen fürchten muss, „aber bei den Iranern weiß man nie, die entscheiden in letzter Minute“. Reissner hält die Iran-Debatte in Deutschland für hysterisch und findet: „Wir sind unfähig, mit Iran einen angemessenen Umgang zu finden.“ Reissner meint damit den Versuch, Iran einzuordnen als Schurkenstaat, so werde ein ganzes Volk diskreditiert. Iraner, die lange schon in Deutschland leben, sagen, sie verstehen nicht, warum man sie jetzt so distanziert betrachte. Sie seien die Volksgruppe in Deutschland, die am besten integrierbar sei und den höchsten Akademikeranteil aufweise.

Der Islamexperte Bassam Tibi bestreitet das nicht, trotzdem würde er die Nationalmannschaft ausladen. Wenn das Nationalteam komme, dann als Vertreter des iranischen Staates. „Eine Ausladung wäre ein Signal an den iranischen Staat, keine Beleidigung der Zivilgesellschaft“, findet Tibi. Die Spieler Irans,Volkshelden, viele von ihnen aus der Bundesliga, äußern sich nicht. Ali Karimi, populärster Spieler in Iran und frisch gebackener Pokalsieger und Deutscher Meister vom FC Bayern, sagte immerhin: „Wir sind stolz, bei einem solchen Turnier dabei zu sein, wir haben nicht Politik, sondern Fußball im Kopf.“ Auch Karimis Berater, Reza Fazeli, ein gebürtiger Iraner mit deutschem Pass, der auch Hamburgs Mahdavikia berät, plädiert für die strikte Trennung von Sport und Politik.

Bahman Nirumand ist da ganz anderer Meinung. Der Publizist findet, der Fußball in Iran habe für die Zivilbevölkerung eine wichtige politische Funktion: „Fußball bringt ein Stück Freiheit“, sagt Nirumand und verweist auf die ausgelassenen Straßenfeste nach erfolgreicher Qualifikation. Andere wie der iranische Filmemacher Ayat Najafi glauben, dass das Regime diese Funktion des Fußballs für sich vereinnahme. „Im Gegensatz zu den Feiern nach dem 1:0-Sieg über die USA bei der WM in Frankreich 1998 sind die letzten Feste bei der Qualifikation auch von der Regierung gesteuert worden“, erzählt Najafi am Telefon aus Teheran.

Najafi hat einen der zahlreichen „Fußball-Filme“ gedreht („Move it“), der wie auch „Offside“ von Jafar Panahis bei der letzten Berlinale zu sehen war und sich damit beschäftigt, dass Frauen öffentlich in Iran nicht Fußball spielen und auch nicht in Stadien gehen dürfen. Die Ankündigung Ahmadinedschads, Frauen doch in die Stadien zu lassen, „um sich beliebt zu machen“, wie Nirumand sagt, musste der Präsident auf Druck der Religionsführer sehr schnell wieder zurücknehmen.

Der Grünen-Politiker und gebürtige Iraner Omid Nouripour hält den Fußball in Iran neben dem Internet für das zentrale Modernisierungselement in der Gesellschaft. Eine Ausladung hätte aus Nouripours Sicht fatale Folgen. Die Menschen, die sich auch durch die Teilnahme an der WM als ein Teil der Welt sehen, würden sich zurückziehen. Genau um den gegenteiligen Effekt zu erzielen, nämlich um den Menschen Mut zu machen, würde es Bahman Nirumand begrüßen, würde Bundestrainer Jürgen Klinsmann den iranischen Fußball öffentlich loben. „Die Menschen wären stolz, es würde ihren Freiheitsdrang nur stärken.“

Regisseur Ayat Najafi warnt allerdings davor, den Fußball mit Erwartungen zu überfrachten. „Aber“, sagt er geheimnisvoll, „es ist eine Zeit, in der alles passieren kann. Das jedenfalls fühlen viele Menschen im Iran. Es kann sogar passieren, dass wir ins Finale kommen.“

Die iranischen Fußballer als Heilsbringer – ein bisschen Hoffnung ist da schon. Und damit die Gäste für diese Aufgabe gewappnet sind, legt sich das Hotel Krone mächtig ins Zeug. Guido Rueß hat seinen Chefkoch angewiesen, die iranische Küche zu studieren, auch ein Gebetszimmer wurde eingerichtet. Die übrigen Zimmer, mit viel dunklem Holz ausgestattet, sind geräumig, aber nicht luxuriös, grüner Teppich liegt in den Fluren, und neben den Doppelzimmern für die Spieler gibt es noch zwei Suiten für den Trainer und den Fußball-Verbandschef. In den Minibars werden die alkoholischen Getränke fehlen. Das Hotel, direkt an einer befahrenen Straße und mit Blick auf die alte Dorfkirche gelegen, ist voll von architektonischen Schnörkeln, Säulen, Verzierungen. Das gefiel den Iranern. Das Hotel wirke so orientalisch, hieß es.

Hermetisch abgeriegelt sein wird die Mannschaft aber nicht. Zwar gibt es reservierte Zeiten für den Wellness- und Schwimmbereich. Wollen die Iraner aber den Pool im Hotelgarten nutzen, müssen sie ihn sich schon mit den restlichen Gästen teilen.

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