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Wo ist der Sturm? Herthas Offensivspiel funktionierte gegen die defensiven Augsburger nicht, Angreifer Adrian Ramos wurde von seinen Kollegen selten in Szene gesetzt.

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Nach dem 0:0 gegen Augsburg: Die Grenzen des Hertha-Systems

Das 0:0 gegen den FC Augsburg hat es wieder einmal gezeigt: Gegen defensive Gegner tut sich Hertha BSC schwer – doch genau darauf muss das Team sich einstellen.

Am Tag danach gab sich Änis Ben-Hatira angemessen zerknirscht. Als Mittel zur Selbstgeißelung wählte der Profi von Hertha BSC, dem Zeitgeist entsprechend, einen Eintrag bei Facebook: „Ich bin auch zurzeit einfach ein Chancentod!“ Ben-Hatira spielte auf eine Szene aus dem Spiel gegen den FC Augsburg an. Mitte der ersten Hälfte hatte sich Marcel Ndjeng auf der linken Seite durchgesetzt, seine Gegenspieler sogar mit einem Übersteiger genarrt und den Ball dann vorschriftsmäßig in die Mitte zurückgelegt. Es war an diesem Nachmittag im Olympiastadion, beim drögen 0:0 gegen die Augsburger, ein seltener Moment, in dem sich bei Hertha Entschlossenheit und Kunstfertigkeit paarten. Bis Ben-Hatira ins Spiel kam. Aus sechs Metern drosch er den Ball über die Latte.

„Wir müssen einfach die Chancen eiskalt nutzen“, sagte Herthas Kapitän Fabian Lustenberger. „Wenn wir das 1:0 gemacht hätten, hätten wir das Spiel gewonnen.“ Für diese Vermutung spricht einiges; beweisen lässt sie sich trotzdem nicht. Hertha hat eben das 1:0 gegen Augsburg nicht geschossen; Hertha hat auch in den beiden Heimspielen zuvor kein Tor geschossen.

Platz sieben und 19 Punkte nach 14 Spieltagen – für einen Aufsteiger in die Fußball-Bundesliga ist das eine mehr als ansehnliche Zwischenbilanz. Aber immer mehr werden die Berliner Opfer ihres eigenen Erfolgs. „Augsburg hatte eine einzige Strategie: nur zu verteidigen“, sagte Herthas Trainer Jos Luhukay. Die Gäste zogen sich weit zurück, sie verschoben geschickt und ließen Hertha dadurch so gut wie keinen Raum für das schnelle und gefährliche Umschaltspiel.

Luhukay: Verteidigen ist leichter als Angreifen

Die Strategie ging auf: Die Berliner kamen zwar auf fast 60 Prozent Ballbesitz, klare Chancen aber erspielten sie sich kaum. „Das ist der Respekt, den wir uns verdient haben“, sagt Luhukay. „Immer mehr ziehen sich die Mannschaften zurück.“ Bei einem Gegner wie Augsburg ist das keine Überraschung, aber selbst die Champions-League-Teilnehmer Schalke und Leverkusen traten zuletzt im Olympiastadion kaum anders auf.

„Verteidigen ist leichter als angreifen“, sagt Luhukay. „Wenn im Training die Offensive gegen die Defensive spielt, gewinnt meistens die Defensive.“ Auch bei Hertha ist das Spiel eher auf Balleroberung als auf Ballbesitz ausgelegt. Die Mannschaft ist stark, wenn sie schnell umschalten kann, wenn sie ihren Gegner im Zustand der Unordnung erwischt und sich dadurch Räume ergeben. „Ballbesitz allein bringt dir keine Möglichkeiten“, sagt Luhukay. „Man muss kreativ sein und bessere Lösungen finden.“ Doch das ist wohl eher ein Langzeitprojekt.

Herthas Spiel ist von seiner Anlage her reaktiv. Wenn die Mannschaft selbst initiativ werden muss, bekommt sie Probleme. Dazu mangelt es gerade im offensiven Mittelfeld an individueller Qualität. Fast zwangsläufig gelangt das System irgendwann an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Von den letzten sieben Tore fielen nur drei aus dem Spiel heraus. In acht Heimspielen traf Hertha elfmal. Das ist okay. Allerdings wird die Statistik ein wenig geschönt durch das 6:1 zum Saisonauftakt gegen Eintracht Frankfurt. Danach haben die Berliner in sieben Heimspielen nur noch fünf Tore erzielt.

Dass der Spielplan Hertha hintereinander die vergleichsweise leichten Gegner Augsburg, Braunschweig und Bremen beschert, könnte sich noch als zweifelhaftes Glück erweisen. Die Mannschaft dürfte erneut gezwungen sein, das Spiel zu machen. Dass Hertha damit Probleme hat, ist a) für einen Aufsteiger aus der Zweiten Liga nichts Ehrenrühriges und b) ein Phänomen, das den Berlinern schon aus der Vorsaison vertraut ist. „Letztes Jahr war es ähnlich“, sagt Fabian Lustenberger. Auch da verrammelten die Gegner den eigenen Strafraum; der Unterschied ist, dass die Spieler jetzt besser sind als in der Zweiten Liga; dass sie ihre Konzentration auch über 90 Minuten hochhalten können und nicht kurz vor Schluss noch einen Freistoß 20 Meter vor dem Tor verursachen, den Ronny dann ins Tor donnert.

Augsburgs Auftritt im Olympiastadion könnte anderen Mannschaften als Blaupause dienen, wie man Hertha das Leben schwermacht. Schon am Sonntag treffen die Berliner in Braunschweig auf einen Gegner von ähnlicher Qualität. Trotzdem glaubt Luhukay nicht, dass die Eintracht das Spiel der Augsburger originalgetreu kopieren wird. „Die Eintracht versteckt sich überhaupt nicht“, sagte Herthas Trainer. „Die Atmosphäre im Stadion treibt Braunschweig nach vorne.“

Es klang ein bisschen wie ein Wunsch.

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