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Sport: Die Herren der Zahlen

Das einflussreiche Elias Sports Bureau bestimmt in den USA die Statistiken aller großen Sportarten

Die Stimme am anderen Ende des Telefons klang alt und ein wenig genervt. „Wir fühlen uns sehr geehrt von Ihrem Interesse“, sagte sie, „aber wir wollen keine Publicity. Die ganze Aufmerksamkeit gehört unseren Kunden. Und alles, was uns das bringen würde, wären noch mehr Anrufe.“ Dann kommt der Mann doch ein wenig ins Plaudern. Er habe gehört, es gebe in Italien eine Tageszeitung, die sich nur mit Sport beschäftige und eine Auflage von 800 000 habe. „So etwas gibt es ja nicht einmal bei uns in den USA“, wundert er sich, „aber wahrscheinlich dreht sich alles nur um Fußball.“ Wenig später schmettert er auch einen zweiten Anlauf ab. Das Argument, der Artikel erscheine nur auf Deutsch, zähle nicht. Sie bekämen Anrufe aus der ganzen Welt. „Und diese Fantasie-Sportligen sind die absolut schlimmsten.“ Dann verabschiedet er sich höflich, aber bestimmt – und legt auf.

Viel näher ist bislang noch kaum einer an Seymour Siwoff herangekommen, den Chef des sagenumwobenen und einflussreichen Elias Sports Bureaus, dem Gralshüter der Statistiken aller großen US-Sportarten. Nur was dort in die Computer in dem kleinen Büro an der Fifth Avenue in New York eingespeist wird, findet den Weg in die Annalen der Major League Baseball, der National Football League, der National Basketball Association, der National Hockey League, der Major League Soccer und einer Reihe kleinerer Ligen. Alle großen TV-Sender, Sportmagazine, Tageszeitungen und Webseiten sind Kunden bei Elias. Alan Schwarz, Autor des Buches „The Numbers Game – Baseball’s Lifelong Fascination with Statistics“ sagt: „Siwoff, der seit langem an der Spitze des Bureaus steht, ist eine ausgesprochen wichtige Figur in der Geschichte des US-Sports.“

Die Wurzeln des Büros gehen zurück in das Jahr 1913, als die Brüder Al Munro und Walter Elias, beides fanatische Baseball-Fans, anfingen, die Statistiken ihres Lieblingssports systematisch zu sammeln. Bald bedienten sich die Sportjournalisten und schließlich auch die Ligen selbst ihrer Dienste, aus dem Hobby war ein Beruf geworden. Siwoff, ein gelernter Buchhalter, übernahm das Archiv 1961. Schon 14 Jahre später führte er Computer ein. Eine speziell für die Zwecke des Büros geschriebene Software ermöglichte es ihm fortan, auch die absurdesten Anfragen zu bedienen. Die Erfolgsquote eines Werfers im Baseball gegen einen linkshändigen Rückschläger zu bestimmen, dauerte zuvor noch Tage, mit den Computern nur noch Minuten. Mittlerweile lassen sich so viele Variablen miteinander verbinden, dass sich das wie eine mathematische Aufgabe liest. Etwa so: Noch nie startete ein Basketballteam mit 10:0 in die Saison, nachdem es drei neue Spieler eingekauft hatte, deren Großmütter aus Mississippi stammen.

Das Büro beschäftigt um die 30 Mitarbeiter und ist eine 24-Stunden-Operation. Siwoff hat sich aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und die Führung drei sportverrückten Brüdern aus Queens überlassen, die er in den Achtzigerjahren anheuerte: Steve, Peter und Tom Hirdt. „Ich glaube, wir waren die einzigen Jungs, die ihrer Mutter eine genaue Zahl entgegenschleuderten, wenn die mal wieder stöhnte: Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr eurer Zimmer aufräumen sollt?“, scherzt Steve Hirdt. Das Büro habe die Verantwortung für einen Bereich, den Ligen und Fans sehr wichtig nehmen: „Wir sind die Kuratoren eines Kunstmuseum, die nach verlorenen Stücken fahnden und es auf dem Laufenden halten.“ Und sie sind letzte Instanz, wenn es um Zweifelsfälle geht. Was dem Büro nicht selten eine Flut wütender Proteste einträgt, in erster Linie von den Spieler der Fantasie-Ligen, in den USA ein Milliarden-Geschäft. Dabei stellen sich Fans als virtuelle Manager Teams mit aktuellen Spielern zusammen, die dann auf der Grundlage der jüngsten Zahlen miteinander verglichen werden. Der mit der – statistisch gesehen – besten Mannscaft gewinnt. Da kann bereits ein einziges Yard entscheiden, das einem Spieler zu- oder aberkannt wird.

„Schätzungen sind nicht gut genug“, sagt Steve Hirdt, „die Ligen haben uns schließlich die Verantwortung für ihre Geschichte übertragen.“ Es kommt sogar vor, dass er in der Halbzeit eines Footballspieles auf das Feld rennt und nachmisst. So geschehen beim Aufeinandertreffen der Baltimore Ravens und der Denver Broncos 2002, in dem Chris McAlister einen missglückten Feldtor-Versuch der Broncos mit einem rekordverdächtigen Lauf in einen Touchdown der Ravens verwandelte. Zunächst hieß es, er habe den Ball 108 Yards getragen. Doch nachdem Hirdt persönlich Maß nahm und TV- Aufnahmen sowie Fotos zu Rate zog, ging der Rekord mit 107 Yards in die Annalen ein. Die wütenden Anrufe der Fans am nächsten Tag waren wieder einmal gesichert.

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