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Nicht mehr beste Freunde: Jos Luhukay (links) und Michael Preetz

© dpa

Krise bei Hertha BSC: Die hohe Kunst der Selbstdemontage

Die Entlassung von Jos Luhukay ist der Höhepunkt unter den Offenbarungseiden bei Hertha BSC. Nun steht der Klub vor einem kompletten Neuanfang. Ein Kommentar.

Der Offenbarungseid ist ein bisschen aus der Mode gekommen, als juristisch korrekten Terminus hat es ihn ohnehin nie gegeben. Aber wie anders lässt sich beschreiben, was bei Hertha BSC in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten passiert ist? Berlins führendes Fußballunternehmen pflegt die hohe Kunst der Selbstdemontage, sie fand am Donnerstag ihren vorläufigen Höhepunkt in der Trennung von Jos Luhukay, mithin in einer Offenlegung sämtlicher Vermögenswerte.

Da ist nicht viel.

Luhukay war Herthas Versprechen in eine bessere, eine von Kontinuität und Demut gezeichnete Zukunft. Präsidium und Geschäftsführung haben sich lange wohl gefühlt im Windschatten des kleinen Niederländers, der nach außen Bescheidenheit vorlebte und allen Druck nach innen weitergab. Luhukays Verdienst bleibt der souveräne Aufstieg in die Bundesliga, gefolgt von einer großartigen ersten Saisonhälfte in der Erstklassigkeit, aber das war es auch schon.

Seit einem Jahr zeigt die sportliche Kurve dramatisch nach unten. Luhukay gefiel sich zunehmend in der Rolle als taktischer Spin Doctor, der den Erfolg mit verwirrenden Eingebungen erzwingen wollte. Zum Schluss allerdings verwirrte er bevorzugt die eigene Seite. Kostspielige Verstärkungen platzierte Luhukay auf der Bank oder auf der Tribüne, dazu würfelte er die Aufstellung immer wieder durcheinander, zu seinem Abschiedsspiel gegen Leverkusen bot er fünf neue Spieler auf. Als in den finalen Tagen des vergangenen Jahres offensichtlich war, wie sehr diese Mannschaft personelle Veränderung benötigte, beharrte der Trainer auf seiner Version, er werde den Umschwung mit den vorhandenen Spielern schaffen. Es war seine letzte und vielleicht folgenschwerste Fehleinschätzung.

Eine sportliche Leitung, die diese Bezeichnung verdient, hätte es besser wissen müssen.

Werder Bremen etwa verstärkte die Innenverteidigung mit Jannik Vestergaard, der Hamburger SV setzt auf mehr Ordnung und Gefahr durch Marcelo Diaz und Ivica Olic, Borussia Dortmund hofft auf neuen Schwung mit Kevin Kampl. Hertha BSC vertraute Jos Luhukay – und tat es doch wieder nicht. Wer nach dem 17. Spieltag von seinem Trainer überzeugt ist, der kann und darf zwei Spiele später nicht diametral entgegengesetzter Meinung sein. Hertha hat den richtigen Zeitpunkt zum Gegensteuern verpasst.

Zurück bleibt ein Verein, der sich komplett ausgeliefert hat. Jos Luhukay bestückte die Mannschaft mit Spielern, die ihm persönlich zur Loyalität verpflichtet waren. Dazu legte er großen Wert darauf, auch um die Mannschaft herum alle Positionen mit Vertrauensleuten zu besetzen. Nach seinem Abschied steht Hertha BSC vor der anspruchsvollen Aufgabe eines kompletten Neuanfangs. Dieses Projekt wird nicht eben einfacher dadurch, dass es vom vorletzten Tabellenplatz aus gestartet wird.

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