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Sport: Die Kleinigkeit Klasse

Die deutsche Mannschaft spielt gegen den Weltmeister gut mit – ist aber noch ein gutes Stück von der Weltspitze entfernt

Als Lukas Podolski mit Ronaldinho das Trikot tauschen wollte, holte er sich eine freundliche, aber doch sehr deutliche Absage. Der brasilianische Mannschaftskapitän dachte gar nicht daran, sich nach dem Spiel ausgerechnet mit dem jungen Kölner Stürmer auf dieses besondere, weil gestenreiche Ritual einzulassen. Die Symbolik, die in dieser Szene steckt, war sinnbildlich für den deutschen Fußball des Jahres 2005. Denn es war nicht die einzige Abfuhr für die Mannschaft von Jürgen Klinsmann an diesem Samstagabend im Nürnberger Frankenstadion. Die 2:3-Niederlage im Halbfinale gegen den Weltmeister bedeutet nicht nur das Aus im Confed-Cup, sondern sie zeigt auch, dass den Deutschen in einem ernsthaften Kräftevergleich mit einem Großen des Weltfußballs noch ein Stück fehlt. Nun trifft die Mannschaft am Mittwoch in Leipzig (17.45 Uhr, live bei ARD und Premiere) im Spiel um Platz drei auf Mexiko.

Vielleicht war es die brütende Hitze, die den führenden Repräsentanten des deutschen Fußballs nach dem verlorenen Halbfinale ein wenig die Sicht verstellte. Klinsmanns Assistent Joachim Löw etwa wollte „in keiner Weise“ einen Klassenunterschied gesehen haben. Vor einem Jahr sei man „viel weiter weg gewesen von der Weltspitze“. Das mag gefühlt sogar zutreffend sein, ist aber nur die eine Hälfte der Wahrheit. Im WM-Finale von Yokohama vor drei Jahren war der Abstand zu den Brasilianern geringer als heute. Das Ergebnis (0:2) von damals fiel zwar einen Tick deutlicher aus, der Spielverlauf aber war ausgeglichener. Vor wenigen Tagen erst hat Rudi Völler gesagt, dass er das Finale gern noch einmal sehen würde, diesmal aber mit einem Michael Ballack.

Dieses Mal war der Münchner Spielmacher dabei, und es zeigte sich, dass ein Weltklassespieler allein nicht ausreicht, selbst zu einem günstigen Zeitpunkt nicht. Die Brasilianer waren zudem nicht in Bestbesetzung angetreten. Mexiko hat vor einer Woche gezeigt, dass sie bei diesem Turnier zu schlagen sind. Auf „allerhöchstem Niveau fehlt es uns noch ein bisschen Kraft, ein bisschen Cleverness und ein bisschen Klasse“, sagte Michael Ballack. Es ist die Klasse, in entscheidenden Phasen eines Spiels, wie beispielsweise beim Stand von 2:2, entscheidende Dinge zu tun. So wie Adriano das beim Tor zum 3:2 für Brasilien demonstrierte.

Die deutsche Mannschaft hat sich passabel präsentiert. Sie hat mit viel Energie und Elan gespielt. Sie hat ein paar gute Ergebnisse erzielt und das Volk wieder hinter sich gebracht. Das ist mit Blick auf die Weltmeisterschaft im kommenden Sommer wichtig. Und doch fällt auf, dass die Initiatoren des deutschen Projekts 2006, Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff, mit ihren fortdauernden Lobpreisungen dem tatsächlichen Leistungsstand der Mannschaft ein wenig vorausgeeilt sind. Wie anders ist der Teammanager zu verstehen, wenn er von „Kleinigkeiten“ spricht, „die heute solche Spiele entscheiden“. Doch nur insofern, als man argentinische Dominanz in Sachen Ballbesitz oder brasilianische Brillanz in Sachen Individualität ignoriert oder eben als zu vernachlässigende Kleinigkeiten ansieht. Dieses Mal war es eben die individuelle Klasse Adrianos. Diese Kleinigkeit schoss das erste und das dritte brasilianische Tor. Und vielleicht kommt es wiederum nur Spielern von Weltniveau wie Michael Ballack zu, die Dinge in reelle Relation zu setzen. Er sagt: „Diese individuelle Klasse haben wir nun mal nicht.“

Mit etwas Wohlwollen darf behauptet werden, dass die deutsche Elf innerhalb von vier Tagen zweimal dicht dran war, Mannschaften wie Argentinien und Brasilien zu besiegen. „Diesen Schritt wollten wir machen“, hat Klinsmann gesagt. Bleibt die Frage, die Assistenztrainer Joachim Löw stellte: „Wann schlagen wir solche Gegner mal?“ Die deutsche Nationalmannschaft hat sich entwickelt, sie hat in fast allen Belangen Fortschritte nachgewiesen. Sie hat im läuferischen Bereich verloren gegangenen Boden wieder aufgeholt, sie ist in der Lage, offensiven Tempofußball zu bieten, ja sogar im taktischen Verhalten ist sie wieder auf Augenhöhe. Wie aber lässt sich individuelle Klasse entwickeln?

„Wir müssen weiter Gas geben“, sagte Michael Ballack, „denn wir müssen uns weiterentwickeln, damit wir im nächsten Jahr sagen können: Wir haben das Zeug dazu, Weltmeister zu werden.“ Er hat das Zeug schon jetzt dazu. Mit ihm tauschte Ronaldinho auch sein Trikot.

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